statt finden. Jch hoffe daher gewiß, den Winter in Ber- lin zu sein.
14. Reise nach Brussa.
Pera, den 16. Juni 1836.
Gestern bin ich von einer kleinen Ausflucht nach Asien zurückgekehrt, die ich Dir eigentlich in Versen beschreiben müßte, da ich dabei den Olymp bestiegen. Weil ich aber nicht weit hinaufgekommen, sondern nur den Fuß oder ei- gentlich nur die kleine Zehe des Riesen erklettert, so kommst Du mit der Prosa davon. Am 11. Nachmittags schiffte ich mich auf einem türkischen Fahrzeuge ein, und ein fri- scher Nordwind führte uns in vier Stunden nach dem acht Meilen entfernten Felsvorgebirge Posidoni (jetzt Bus-bu- run, die Eisspitze). Hier ging die See so hoch, daß un- ser Reis oder Steuermann, der auf dem hohen, zierlich ge- schnitzten Hintertheil des Schiffs kauerte, schon anfing, sein Allah ekber -- "Gott ist barmherzig" -- zu rufen, als mit der Dunkelheit der Wind sich so gänzlich legte, daß wir erst den andern Morgen um 8 Uhr das nahe Mada- nia erreichen konnten. Bald waren die Pferde bereit, und ich durchstreifte nun bis Brussa eine Gegend, die, wenn man seit Monaten nichts, als die Einöden Rumeliens ge- sehen hat, doppelt reizend erscheint. Alles ist hier bebaut, weniger mit Korn, als mit Reben und Maulbeerbäumen. Diese letztern werden niedrig als Buschwerk gehalten und geköpft, wie bei uns die Weiden, um den Seidenwürmern zum Futter zu dienen. Jhre großen hellgrünen Blätter bedecken weit und breit die Felder. Der Olivenbaum bil- det hier ansehnliche Waldungen, doch ist er gepflanzt. Die ganze reich bebaute Gegend erinnert sehr an die Lombardei, namentlich an die hügelige Gegend von Verona. So lieb- lich wie der Vordergrund des Gemäldes, so prächtig ist
ſtatt finden. Jch hoffe daher gewiß, den Winter in Ber- lin zu ſein.
14. Reiſe nach Bruſſa.
Pera, den 16. Juni 1836.
Geſtern bin ich von einer kleinen Ausflucht nach Aſien zuruͤckgekehrt, die ich Dir eigentlich in Verſen beſchreiben muͤßte, da ich dabei den Olymp beſtiegen. Weil ich aber nicht weit hinaufgekommen, ſondern nur den Fuß oder ei- gentlich nur die kleine Zehe des Rieſen erklettert, ſo kommſt Du mit der Proſa davon. Am 11. Nachmittags ſchiffte ich mich auf einem tuͤrkiſchen Fahrzeuge ein, und ein fri- ſcher Nordwind fuͤhrte uns in vier Stunden nach dem acht Meilen entfernten Felsvorgebirge Poſidoni (jetzt Bus-bu- run, die Eisſpitze). Hier ging die See ſo hoch, daß un- ſer Reis oder Steuermann, der auf dem hohen, zierlich ge- ſchnitzten Hintertheil des Schiffs kauerte, ſchon anfing, ſein Allah ekber — „Gott iſt barmherzig“ — zu rufen, als mit der Dunkelheit der Wind ſich ſo gaͤnzlich legte, daß wir erſt den andern Morgen um 8 Uhr das nahe Mada- nia erreichen konnten. Bald waren die Pferde bereit, und ich durchſtreifte nun bis Bruſſa eine Gegend, die, wenn man ſeit Monaten nichts, als die Einoͤden Rumeliens ge- ſehen hat, doppelt reizend erſcheint. Alles iſt hier bebaut, weniger mit Korn, als mit Reben und Maulbeerbaͤumen. Dieſe letztern werden niedrig als Buſchwerk gehalten und gekoͤpft, wie bei uns die Weiden, um den Seidenwuͤrmern zum Futter zu dienen. Jhre großen hellgruͤnen Blaͤtter bedecken weit und breit die Felder. Der Olivenbaum bil- det hier anſehnliche Waldungen, doch iſt er gepflanzt. Die ganze reich bebaute Gegend erinnert ſehr an die Lombardei, namentlich an die huͤgelige Gegend von Verona. So lieb- lich wie der Vordergrund des Gemaͤldes, ſo praͤchtig iſt
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ſtatt finden. Jch hoffe daher gewiß, den Winter in Ber-
lin zu ſein.
14.
Reiſe nach Bruſſa.
Pera, den 16. Juni 1836.
Geſtern bin ich von einer kleinen Ausflucht nach Aſien
zuruͤckgekehrt, die ich Dir eigentlich in Verſen beſchreiben
muͤßte, da ich dabei den Olymp beſtiegen. Weil ich aber
nicht weit hinaufgekommen, ſondern nur den Fuß oder ei-
gentlich nur die kleine Zehe des Rieſen erklettert, ſo kommſt
Du mit der Proſa davon. Am 11. Nachmittags ſchiffte
ich mich auf einem tuͤrkiſchen Fahrzeuge ein, und ein fri-
ſcher Nordwind fuͤhrte uns in vier Stunden nach dem acht
Meilen entfernten Felsvorgebirge Poſidoni (jetzt Bus-bu-
run, die Eisſpitze). Hier ging die See ſo hoch, daß un-
ſer Reis oder Steuermann, der auf dem hohen, zierlich ge-
ſchnitzten Hintertheil des Schiffs kauerte, ſchon anfing, ſein
Allah ekber — „Gott iſt barmherzig“ — zu rufen, als
mit der Dunkelheit der Wind ſich ſo gaͤnzlich legte, daß
wir erſt den andern Morgen um 8 Uhr das nahe Mada-
nia erreichen konnten. Bald waren die Pferde bereit, und
ich durchſtreifte nun bis Bruſſa eine Gegend, die, wenn
man ſeit Monaten nichts, als die Einoͤden Rumeliens ge-
ſehen hat, doppelt reizend erſcheint. Alles iſt hier bebaut,
weniger mit Korn, als mit Reben und Maulbeerbaͤumen.
Dieſe letztern werden niedrig als Buſchwerk gehalten und
gekoͤpft, wie bei uns die Weiden, um den Seidenwuͤrmern
zum Futter zu dienen. Jhre großen hellgruͤnen Blaͤtter
bedecken weit und breit die Felder. Der Olivenbaum bil-
det hier anſehnliche Waldungen, doch iſt er gepflanzt. Die
ganze reich bebaute Gegend erinnert ſehr an die Lombardei,
namentlich an die huͤgelige Gegend von Verona. So lieb-
lich wie der Vordergrund des Gemaͤldes, ſo praͤchtig iſt
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/73>, abgerufen am 25.11.2024.
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