Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik verfolgen konnten.
Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn- ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie- deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva, Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim- fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab des Elpenor heisst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heisst den Wil- den und den Latinos, die ,im innersten Winkel der heiligen Inseln' die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See- fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See gedachten. -- Dass die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver- steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ,Feuerinsel' mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer Flösse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon- nenen Element: Aethalia und Populonia musste verlassen werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru- skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich
ERSTES BUCH. KAPITEL X.
Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik verfolgen konnten.
Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn- ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie- deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva, Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim- fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab des Elpenor heiſst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heiſst den Wil- den und den Latinos, die ‚im innersten Winkel der heiligen Inseln‘ die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See- fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See gedachten. — Daſs die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver- steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ‚Feuerinsel‘ mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer Flöſse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon- nenen Element: Aethalia und Populonia muſste verlassen werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru- skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0110"n="96"/><fwplace="top"type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL X.</fw><lb/>
Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik<lb/>
verfolgen konnten.</p><lb/><p>Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die<lb/>
Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken<lb/>
der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn-<lb/>
ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie-<lb/>
deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen<lb/>
längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten<lb/>
Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva,<lb/>
Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen<lb/>
besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des<lb/>
Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich<lb/>
die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim-<lb/>
fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn<lb/>
bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das<lb/>
isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab<lb/>
des Elpenor heiſst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit<lb/>
der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heiſst den Wil-<lb/>
den und den Latinos, die ‚im innersten Winkel der heiligen<lb/>
Inseln‘ die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas<lb/>
der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind<lb/>
das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See-<lb/>
fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See<lb/>
gedachten. — Daſs die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit<lb/>
sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver-<lb/>
steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen<lb/>
so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich<lb/>
aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ‚Feuerinsel‘ mit<lb/>
ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste<lb/>
Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und<lb/>
Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen<lb/>
der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne<lb/>
Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die<lb/>
Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden<lb/>
Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und<lb/>
von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die<lb/>
Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer<lb/>
Flöſse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald<lb/>
wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon-<lb/>
nenen Element: Aethalia und Populonia muſste verlassen<lb/>
werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru-<lb/>
skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[96/0110]
ERSTES BUCH. KAPITEL X.
Nationen unabhängig blieben und eine eigene Handelspolitik
verfolgen konnten.
Als die Kaufleute aus dem Osten zuerst einfuhren in die
Westsee, trafen sie nirgends auf Segelschiffe; die Ruderbarken
der Eingebornen drohten keine Gefahr und ungehindert konn-
ten sich die Fremden auf den Inseln und Landspitzen ansie-
deln. So die Poener in Sicilien; so gleichfalls die Hellenen
längs der ganzen italischen Westküste. Spuren dieser ältesten
Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva,
Elba), die nächst Aenaria zu den am frühesten von Griechen
besetzten Plätzen zu gehören scheint, und vielleicht auch des
Hafenplatzes Telamon in Etrurien. Eben daraus erklärt sich
die frühe Localisirung der Odysseussagen und anderer Heim-
fahrten troischer Helden an den campanischen Gestaden; wenn
bei Formiae und Caieta die Laestrygonen hausen, wenn das
isolirte Vorgebirg von Tarracina schon bei Skylax das Grab
des Elpenor heiſst, wenn schon bei Hesiodos Odysseus mit
der Kirke zwei Söhne erzeugt, den Agrios das heiſst den Wil-
den und den Latinos, die ‚im innersten Winkel der heiligen
Inseln‘ die Tyrsener beherrschen, wenn den troischen Aeneas
der König Latinus in Laurentum freundlich empfängt, so sind
das alte Schiffermährchen kymaeischer und phokischer See-
fahrer, welche der lieben Heimath auf der tyrrhenischen See
gedachten. — Daſs die Küstenbewohner, wenn die Gelegenheit
sich bot, die fremden Schiffer überfielen und plünderten, ver-
steht sich von selbst und spricht sich auch in diesen Sagen
so wie in der Wahl der ältesten Ansiedlungsplätze deutlich
aus. In diesem Verkehr mag Aethalia, die ‚Feuerinsel‘ mit
ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben die erste
Rolle gespielt und hier sich der Verkehr wie der Land- und
Seeraub concentrirt haben; um so mehr als das Schmelzen
der Metalle auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne
Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die
Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenüberliegenden
Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und
von ihnen in Betrieb genommen. Hier zuerst scheinen die
Küstenbewohner, lernend von den Fremden, anstatt ihrer
Flöſse und Ruderbarken Segelschiffe gebaut zu haben. Bald
wurden sie gefährliche Mitbewerber auf dem neu gewon-
nenen Element: Aethalia und Populonia muſste verlassen
werden und die reichen Gruben wurden nun von den Etru-
skern ausgebeutet. Aber schon beschränkten die Etrusker sich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/110>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.