Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ERSTES BUCH. KAPITEL X. Vor allem merkwürdig aber ist die Stellung von Caere, dasnicht wie Rom und Spina durch seine Lage von der Natur zum Emporium bestimmt ist; sein Hafen ist schlecht und Gruben giebt es nicht in der Nähe. Aber dort bestand eine Art von Freihafen für die Griechen wie für die Poener, wovon die drei caeritischen Hafenstädte: zwei griechische Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo) einerseits, ,die punische' (Punicum, bei S. Marinella) andrerseits das Andenken bewahrt haben. Ja Caere selbst führt seinen zweiten Namen Agylla nicht, wie man meint, von den Pelasgern, sondern von den Puniern; denn im Punischen heisst dies die ,Rundstadt', wie eben Caere vom Ufer aus gesehen sich darstellt. ,Die Caeri- ten, sagt Strabon, galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit und weil sie, so mächtig sie waren, doch des Raubes sich enthielten'; nicht des Seeraubes, der in jener Zeit vom Seehandel untrennbar war, sondern der Beraubung der hellenischen Gäste in Alsion und Pyrgi. Es schliesst dies übrigens nicht aus, vielmehr ist nicht daran zu zweifeln, dass diese drei Hafenplätze den fremden Schiffern wohl geöffnet, aber wenigstens in der späteren Zeit nicht mehr im Besitz der Fremden waren; mögen die Mauern von Pyrgi auch von Griechen erbaut sein, wie die sehr eigenthümliche von der Architektur der caeritischen und überhaupt der etru- skischen Stadtmauern wesentlich abweichende Bauart der- selben anzudeuten scheint, so ward die Stadt doch, so wie die Caeriten zu eigener Macht gelangten, von der Metro- pole in Besitz genommen. Fortan ward in Caere und ebenso in den Städten gleicher Stellung der fremde Schiffer wohl ge- duldet; allein daneben erblühte ein eigener Handel, der unter dem Schutz der etruskischen Piraterie, gleichsam einer rohen Navigationsacte, bald den der Fremden in diesen Gewässern überflügeln mochte. So wurden diese Städte, wo die Italiker friedlich schalteten und den fremden Kaufmann duldeten, vor allen reich und mächtig und wie für die hellenischen Waaren so auch für die Keime der hellenischen Civilisation die rech- ten Stapelplätze. Es mussten die Etrusker und in minderem Grade die ERSTES BUCH. KAPITEL X. Vor allem merkwürdig aber ist die Stellung von Caere, dasnicht wie Rom und Spina durch seine Lage von der Natur zum Emporium bestimmt ist; sein Hafen ist schlecht und Gruben giebt es nicht in der Nähe. Aber dort bestand eine Art von Freihafen für die Griechen wie für die Poener, wovon die drei caeritischen Hafenstädte: zwei griechische Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo) einerseits, ‚die punische‘ (Punicum, bei S. Marinella) andrerseits das Andenken bewahrt haben. Ja Caere selbst führt seinen zweiten Namen Agylla nicht, wie man meint, von den Pelasgern, sondern von den Puniern; denn im Punischen heiſst dies die ‚Rundstadt‘, wie eben Caere vom Ufer aus gesehen sich darstellt. ‚Die Caeri- ten, sagt Strabon, galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit und weil sie, so mächtig sie waren, doch des Raubes sich enthielten‘; nicht des Seeraubes, der in jener Zeit vom Seehandel untrennbar war, sondern der Beraubung der hellenischen Gäste in Alsion und Pyrgi. Es schlieſst dies übrigens nicht aus, vielmehr ist nicht daran zu zweifeln, daſs diese drei Hafenplätze den fremden Schiffern wohl geöffnet, aber wenigstens in der späteren Zeit nicht mehr im Besitz der Fremden waren; mögen die Mauern von Pyrgi auch von Griechen erbaut sein, wie die sehr eigenthümliche von der Architektur der caeritischen und überhaupt der etru- skischen Stadtmauern wesentlich abweichende Bauart der- selben anzudeuten scheint, so ward die Stadt doch, so wie die Caeriten zu eigener Macht gelangten, von der Metro- pole in Besitz genommen. Fortan ward in Caere und ebenso in den Städten gleicher Stellung der fremde Schiffer wohl ge- duldet; allein daneben erblühte ein eigener Handel, der unter dem Schutz der etruskischen Piraterie, gleichsam einer rohen Navigationsacte, bald den der Fremden in diesen Gewässern überflügeln mochte. So wurden diese Städte, wo die Italiker friedlich schalteten und den fremden Kaufmann duldeten, vor allen reich und mächtig und wie für die hellenischen Waaren so auch für die Keime der hellenischen Civilisation die rech- ten Stapelplätze. Es muſsten die Etrusker und in minderem Grade die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0112" n="98"/><fw place="top" type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL X.</fw><lb/> Vor allem merkwürdig aber ist die Stellung von Caere, das<lb/> nicht wie Rom und Spina durch seine Lage von der Natur<lb/> zum Emporium bestimmt ist; sein Hafen ist schlecht und<lb/> Gruben giebt es nicht in der Nähe. Aber dort bestand eine<lb/> Art von Freihafen für die Griechen wie für die Poener, wovon<lb/> die drei caeritischen Hafenstädte: zwei griechische Pyrgi (bei<lb/> S. Severa) und Alsion (bei Palo) einerseits, ‚die punische‘<lb/> (Punicum, bei S. Marinella) andrerseits das Andenken bewahrt<lb/> haben. Ja Caere selbst führt seinen zweiten Namen Agylla<lb/> nicht, wie man meint, von den Pelasgern, sondern von den<lb/> Puniern; denn im Punischen heiſst dies die ‚Rundstadt‘, wie<lb/> eben Caere vom Ufer aus gesehen sich darstellt. ‚Die Caeri-<lb/> ten, sagt Strabon, galten viel bei den Hellenen wegen ihrer<lb/> Tapferkeit und Gerechtigkeit und weil sie, so mächtig sie<lb/> waren, doch des Raubes sich enthielten‘; nicht des Seeraubes,<lb/> der in jener Zeit vom Seehandel untrennbar war, sondern der<lb/> Beraubung der hellenischen Gäste in Alsion und Pyrgi. Es<lb/> schlieſst dies übrigens nicht aus, vielmehr ist nicht daran zu<lb/> zweifeln, daſs diese drei Hafenplätze den fremden Schiffern<lb/> wohl geöffnet, aber wenigstens in der späteren Zeit nicht mehr<lb/> im Besitz der Fremden waren; mögen die Mauern von Pyrgi<lb/> auch von Griechen erbaut sein, wie die sehr eigenthümliche<lb/> von der Architektur der caeritischen und überhaupt der etru-<lb/> skischen Stadtmauern wesentlich abweichende Bauart der-<lb/> selben anzudeuten scheint, so ward die Stadt doch, so wie<lb/> die Caeriten zu eigener Macht gelangten, von der Metro-<lb/> pole in Besitz genommen. Fortan ward in Caere und ebenso<lb/> in den Städten gleicher Stellung der fremde Schiffer wohl ge-<lb/> duldet; allein daneben erblühte ein eigener Handel, der unter<lb/> dem Schutz der etruskischen Piraterie, gleichsam einer rohen<lb/> Navigationsacte, bald den der Fremden in diesen Gewässern<lb/> überflügeln mochte. So wurden diese Städte, wo die Italiker<lb/> friedlich schalteten und den fremden Kaufmann duldeten, vor<lb/> allen reich und mächtig und wie für die hellenischen Waaren<lb/> so auch für die Keime der hellenischen Civilisation die rech-<lb/> ten Stapelplätze.</p><lb/> <p>Es muſsten die Etrusker und in minderem Grade die<lb/> ihnen hier sich anschlieſsenden Latiner wohl mächtig werden<lb/> zur See im Handel wie im Krieg. Sie hatten am westlichen<lb/> Meer den groſsen italischen Freihafen inne, am östlichen die<lb/> Pomündungen und ihre Lagunenstadt, das Venedig jener<lb/> Zeit; von Meer zu Meer wohnend beherrschten sie die Land-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [98/0112]
ERSTES BUCH. KAPITEL X.
Vor allem merkwürdig aber ist die Stellung von Caere, das
nicht wie Rom und Spina durch seine Lage von der Natur
zum Emporium bestimmt ist; sein Hafen ist schlecht und
Gruben giebt es nicht in der Nähe. Aber dort bestand eine
Art von Freihafen für die Griechen wie für die Poener, wovon
die drei caeritischen Hafenstädte: zwei griechische Pyrgi (bei
S. Severa) und Alsion (bei Palo) einerseits, ‚die punische‘
(Punicum, bei S. Marinella) andrerseits das Andenken bewahrt
haben. Ja Caere selbst führt seinen zweiten Namen Agylla
nicht, wie man meint, von den Pelasgern, sondern von den
Puniern; denn im Punischen heiſst dies die ‚Rundstadt‘, wie
eben Caere vom Ufer aus gesehen sich darstellt. ‚Die Caeri-
ten, sagt Strabon, galten viel bei den Hellenen wegen ihrer
Tapferkeit und Gerechtigkeit und weil sie, so mächtig sie
waren, doch des Raubes sich enthielten‘; nicht des Seeraubes,
der in jener Zeit vom Seehandel untrennbar war, sondern der
Beraubung der hellenischen Gäste in Alsion und Pyrgi. Es
schlieſst dies übrigens nicht aus, vielmehr ist nicht daran zu
zweifeln, daſs diese drei Hafenplätze den fremden Schiffern
wohl geöffnet, aber wenigstens in der späteren Zeit nicht mehr
im Besitz der Fremden waren; mögen die Mauern von Pyrgi
auch von Griechen erbaut sein, wie die sehr eigenthümliche
von der Architektur der caeritischen und überhaupt der etru-
skischen Stadtmauern wesentlich abweichende Bauart der-
selben anzudeuten scheint, so ward die Stadt doch, so wie
die Caeriten zu eigener Macht gelangten, von der Metro-
pole in Besitz genommen. Fortan ward in Caere und ebenso
in den Städten gleicher Stellung der fremde Schiffer wohl ge-
duldet; allein daneben erblühte ein eigener Handel, der unter
dem Schutz der etruskischen Piraterie, gleichsam einer rohen
Navigationsacte, bald den der Fremden in diesen Gewässern
überflügeln mochte. So wurden diese Städte, wo die Italiker
friedlich schalteten und den fremden Kaufmann duldeten, vor
allen reich und mächtig und wie für die hellenischen Waaren
so auch für die Keime der hellenischen Civilisation die rech-
ten Stapelplätze.
Es muſsten die Etrusker und in minderem Grade die
ihnen hier sich anschlieſsenden Latiner wohl mächtig werden
zur See im Handel wie im Krieg. Sie hatten am westlichen
Meer den groſsen italischen Freihafen inne, am östlichen die
Pomündungen und ihre Lagunenstadt, das Venedig jener
Zeit; von Meer zu Meer wohnend beherrschten sie die Land-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |