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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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RELIGION.
ihnen zugegebenen Quinctiliern im Monat Februar gefeiert
ward; ein rechtes Hirtencarneval, bei dem die Wolfswehrer
(,luperci') nackt mit dem Bocksfell umgürtet herumsprangen
und die Leute mit Riemen klatschten. Ebenso lag der Dienst
des ,Beschliessers' Hercules, der den eingefriedigten Bauerhof
schirmte, den Geschlechtern der Potitier und Pinarier ob, und
so war unzweifelhaft noch bei zahlreichen andern gentilicischen
Culten zugleich die Gemeinde mit vertreten und betheiligt. --
Zu diesem ältesten Gottesdienst der römischen Gemeinde traten
allmählich neue Verehrungen hinzu; so der Diana, der der
Aventin angewiesen ward, als der Repräsentantin der latini-
schen Eidgenossenschaft, für die aber eben darum ein besondrer
römischer Priester nicht bestellt ward; und zahlreicher an-
derer Götterbegriffe, denen in bestimmter Weise durch allge-
meine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte
Geschlechter oder Genossenschaften zu huldigen die Gemeinde
sich gewöhnte, einzelnen auch wohl einen eigenen Zünder
bestellte, so dass deren zuletzt fünfzehn gezählt wurden. Aber
sorgfältig unterschied man darunter jene drei Altzünder (fla-
mines maiores
), die bis in die späteste Zeit nur aus den
Altbürgern genommen werden konnten, ebenso wie die drei
alten Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen
Salier und der Arvalen stets den Vorrang vor allen übrigen
Priestercollegien behaupteten. -- Während also den Kreis der
Götter zu vermehren nur von der Vorstellung der Menschen
abhing, blieben doch die abgeschiedenen Geister streng von
ihnen ausgeschlossen. Zwar glaubte man auch an deren Fort-
leben und brachten ihnen Speise und Trank; allein sie hausten
in den Räumen der Tiefe, während die Götter droben walte-
ten, und keine Brücke führte aus der unteren in die obere
Welt. Der griechische Heroencult ist den Römern völlig fremd
und wie jung und schlecht die Romulussage erfunden ist,
zeigt schon die ganz unrömische Verwandlung desselben in
den Quirinus. Numa, der älteste und ehrwürdigste Name in
der römischen Sage, ist nie als Gott in Rom verehrt worden
wie Theseus in Athen.

Die Verehrung der Götter geschieht unmittelbar, so dass
der Anrufende selber redet zu dem Gott, die Gemeinde natür-
lich durch den Mund des Königs wie die Curie durch den
des Curio und die Ritterschaft durch den des Anführers der
Reiter; kein Symboldienst und keine Priestervermittlung soll
diese ursprüngliche und einfache Beziehung verdecken und

Röm. Gesch. I. 8

RELIGION.
ihnen zugegebenen Quinctiliern im Monat Februar gefeiert
ward; ein rechtes Hirtencarneval, bei dem die Wolfswehrer
(‚luperci‘) nackt mit dem Bocksfell umgürtet herumsprangen
und die Leute mit Riemen klatschten. Ebenso lag der Dienst
des ‚Beschlieſsers‘ Hercules, der den eingefriedigten Bauerhof
schirmte, den Geschlechtern der Potitier und Pinarier ob, und
so war unzweifelhaft noch bei zahlreichen andern gentilicischen
Culten zugleich die Gemeinde mit vertreten und betheiligt. —
Zu diesem ältesten Gottesdienst der römischen Gemeinde traten
allmählich neue Verehrungen hinzu; so der Diana, der der
Aventin angewiesen ward, als der Repräsentantin der latini-
schen Eidgenossenschaft, für die aber eben darum ein besondrer
römischer Priester nicht bestellt ward; und zahlreicher an-
derer Götterbegriffe, denen in bestimmter Weise durch allge-
meine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte
Geschlechter oder Genossenschaften zu huldigen die Gemeinde
sich gewöhnte, einzelnen auch wohl einen eigenen Zünder
bestellte, so daſs deren zuletzt fünfzehn gezählt wurden. Aber
sorgfältig unterschied man darunter jene drei Altzünder (fla-
mines maiores
), die bis in die späteste Zeit nur aus den
Altbürgern genommen werden konnten, ebenso wie die drei
alten Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen
Salier und der Arvalen stets den Vorrang vor allen übrigen
Priestercollegien behaupteten. — Während also den Kreis der
Götter zu vermehren nur von der Vorstellung der Menschen
abhing, blieben doch die abgeschiedenen Geister streng von
ihnen ausgeschlossen. Zwar glaubte man auch an deren Fort-
leben und brachten ihnen Speise und Trank; allein sie hausten
in den Räumen der Tiefe, während die Götter droben walte-
ten, und keine Brücke führte aus der unteren in die obere
Welt. Der griechische Heroencult ist den Römern völlig fremd
und wie jung und schlecht die Romulussage erfunden ist,
zeigt schon die ganz unrömische Verwandlung desselben in
den Quirinus. Numa, der älteste und ehrwürdigste Name in
der römischen Sage, ist nie als Gott in Rom verehrt worden
wie Theseus in Athen.

Die Verehrung der Götter geschieht unmittelbar, so daſs
der Anrufende selber redet zu dem Gott, die Gemeinde natür-
lich durch den Mund des Königs wie die Curie durch den
des Curio und die Ritterschaft durch den des Anführers der
Reiter; kein Symboldienst und keine Priestervermittlung soll
diese ursprüngliche und einfache Beziehung verdecken und

Röm. Gesch. I. 8
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[113/0127] RELIGION. ihnen zugegebenen Quinctiliern im Monat Februar gefeiert ward; ein rechtes Hirtencarneval, bei dem die Wolfswehrer (‚luperci‘) nackt mit dem Bocksfell umgürtet herumsprangen und die Leute mit Riemen klatschten. Ebenso lag der Dienst des ‚Beschlieſsers‘ Hercules, der den eingefriedigten Bauerhof schirmte, den Geschlechtern der Potitier und Pinarier ob, und so war unzweifelhaft noch bei zahlreichen andern gentilicischen Culten zugleich die Gemeinde mit vertreten und betheiligt. — Zu diesem ältesten Gottesdienst der römischen Gemeinde traten allmählich neue Verehrungen hinzu; so der Diana, der der Aventin angewiesen ward, als der Repräsentantin der latini- schen Eidgenossenschaft, für die aber eben darum ein besondrer römischer Priester nicht bestellt ward; und zahlreicher an- derer Götterbegriffe, denen in bestimmter Weise durch allge- meine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte Geschlechter oder Genossenschaften zu huldigen die Gemeinde sich gewöhnte, einzelnen auch wohl einen eigenen Zünder bestellte, so daſs deren zuletzt fünfzehn gezählt wurden. Aber sorgfältig unterschied man darunter jene drei Altzünder (fla- mines maiores), die bis in die späteste Zeit nur aus den Altbürgern genommen werden konnten, ebenso wie die drei alten Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen Salier und der Arvalen stets den Vorrang vor allen übrigen Priestercollegien behaupteten. — Während also den Kreis der Götter zu vermehren nur von der Vorstellung der Menschen abhing, blieben doch die abgeschiedenen Geister streng von ihnen ausgeschlossen. Zwar glaubte man auch an deren Fort- leben und brachten ihnen Speise und Trank; allein sie hausten in den Räumen der Tiefe, während die Götter droben walte- ten, und keine Brücke führte aus der unteren in die obere Welt. Der griechische Heroencult ist den Römern völlig fremd und wie jung und schlecht die Romulussage erfunden ist, zeigt schon die ganz unrömische Verwandlung desselben in den Quirinus. Numa, der älteste und ehrwürdigste Name in der römischen Sage, ist nie als Gott in Rom verehrt worden wie Theseus in Athen. Die Verehrung der Götter geschieht unmittelbar, so daſs der Anrufende selber redet zu dem Gott, die Gemeinde natür- lich durch den Mund des Königs wie die Curie durch den des Curio und die Ritterschaft durch den des Anführers der Reiter; kein Symboldienst und keine Priestervermittlung soll diese ursprüngliche und einfache Beziehung verdecken und Röm. Gesch. I. 8

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/127>, abgerufen am 21.11.2024.