Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.AUSGLEICHUNG DER STAENDE. sein solle wie die nach Centurien, was angeblich schon dasvalerische Gesetz von 305, sicher das publilische von 415 und das hortensische von 467 verordneten. Eine wesentliche Neuerung lag hierin nicht, da im Ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren. Von weit grösserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Pe- riode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansässigkeit in Frage gestellt zu werden anfing. Der erste, der hieran rüttelte, war Appius Claudius, der kühnste Neuerer, den die römische Geschichte kennt. Er legte, ohne den Senat oder das Volk zu fragen, in seiner Censur 442 die Bürgerliste so an, dass der nicht grundsässige Mann in die Tribus, die ihm gefiel, und alsdann nach seinem Vermögen in die entspre- chende Centurie aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor um vollständig Bestand zu haben. Einer der nächsten Nachfolger des Appius, der berühmte Besieger der Samniten Quintus Fabius Rullianus übernahm es in seiner Censur 449 sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass die Macht in den Händen der Grundsässigen und Vermögen- den blieb. Er wies die nicht grundsässigen Leute und ebenso die grundsässigen Freigelassenen der drei letzten Klassen sämmtlich in die vier städtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten wurden; so dass seitdem in den Districtsversammlungen die sämmtlichen ansässigen freigebor- nen Leute nebst den ansässigen Freigelassenen der beiden ersten Klassen die ländlichen Districte allein inne hatten. Die Zahl dieser Landtribus, ursprünglich 17, stieg allmählich, bis sie jedoch erst in der folgenden Periode auf 31 festgestellt ward, In den Centurien wurden die nicht ansässigen Freigeborenen geduldet, dagegen die Freigelassenen, mit Ausnahme der An- sässigen der beiden ersten Klassen, des Stimmrechts beraubt. Auf diese Weise ward dafür gesorgt, dass in den Tributcomi- tien die Ansässigen überwogen, in den Centuriatcomitien, für die bei dem entschiedenen Uebergewicht der Vermögenden geringere Vorsichtsmassregeln ausreichten, wenigstens die Frei- gelassenen nicht schaden konnten. Durch diese weise und gemässigte Festsetzung, wegen deren das Volk ihrem Urheber den Namen des Grossen verlieh, ward einerseits die Kriegs- pflicht wie billig auch den nicht ansässigen Bürgern aufgelegt, andrerseits der steigenden Macht der gewesenen Sclaven ein Riegel vorgeschoben, welcher in einem Staat, der Sclaverei AUSGLEICHUNG DER STAENDE. sein solle wie die nach Centurien, was angeblich schon dasvalerische Gesetz von 305, sicher das publilische von 415 und das hortensische von 467 verordneten. Eine wesentliche Neuerung lag hierin nicht, da im Ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren. Von weit gröſserer Bedeutung war es, daſs gegen das Ende dieser Pe- riode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansässigkeit in Frage gestellt zu werden anfing. Der erste, der hieran rüttelte, war Appius Claudius, der kühnste Neuerer, den die römische Geschichte kennt. Er legte, ohne den Senat oder das Volk zu fragen, in seiner Censur 442 die Bürgerliste so an, daſs der nicht grundsässige Mann in die Tribus, die ihm gefiel, und alsdann nach seinem Vermögen in die entspre- chende Centurie aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor um vollständig Bestand zu haben. Einer der nächsten Nachfolger des Appius, der berühmte Besieger der Samniten Quintus Fabius Rullianus übernahm es in seiner Censur 449 sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschlieſsen, daſs die Macht in den Händen der Grundsässigen und Vermögen- den blieb. Er wies die nicht grundsässigen Leute und ebenso die grundsässigen Freigelassenen der drei letzten Klassen sämmtlich in die vier städtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten wurden; so daſs seitdem in den Districtsversammlungen die sämmtlichen ansässigen freigebor- nen Leute nebst den ansässigen Freigelassenen der beiden ersten Klassen die ländlichen Districte allein inne hatten. Die Zahl dieser Landtribus, ursprünglich 17, stieg allmählich, bis sie jedoch erst in der folgenden Periode auf 31 festgestellt ward, In den Centurien wurden die nicht ansässigen Freigeborenen geduldet, dagegen die Freigelassenen, mit Ausnahme der An- sässigen der beiden ersten Klassen, des Stimmrechts beraubt. Auf diese Weise ward dafür gesorgt, daſs in den Tributcomi- tien die Ansässigen überwogen, in den Centuriatcomitien, für die bei dem entschiedenen Uebergewicht der Vermögenden geringere Vorsichtsmaſsregeln ausreichten, wenigstens die Frei- gelassenen nicht schaden konnten. Durch diese weise und gemäſsigte Festsetzung, wegen deren das Volk ihrem Urheber den Namen des Groſsen verlieh, ward einerseits die Kriegs- pflicht wie billig auch den nicht ansässigen Bürgern aufgelegt, andrerseits der steigenden Macht der gewesenen Sclaven ein Riegel vorgeschoben, welcher in einem Staat, der Sclaverei <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0211" n="197"/><fw place="top" type="header">AUSGLEICHUNG DER STAENDE.</fw><lb/> sein solle wie die nach Centurien, was angeblich schon das<lb/> valerische Gesetz von 305, sicher das publilische von 415<lb/> und das hortensische von 467 verordneten. Eine wesentliche<lb/> Neuerung lag hierin nicht, da im Ganzen dieselben Individuen<lb/> in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren. Von weit<lb/> gröſserer Bedeutung war es, daſs gegen das Ende dieser Pe-<lb/> riode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansässigkeit<lb/> in Frage gestellt zu werden anfing. 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AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
sein solle wie die nach Centurien, was angeblich schon das
valerische Gesetz von 305, sicher das publilische von 415
und das hortensische von 467 verordneten. Eine wesentliche
Neuerung lag hierin nicht, da im Ganzen dieselben Individuen
in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren. Von weit
gröſserer Bedeutung war es, daſs gegen das Ende dieser Pe-
riode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansässigkeit
in Frage gestellt zu werden anfing. Der erste, der hieran
rüttelte, war Appius Claudius, der kühnste Neuerer, den die
römische Geschichte kennt. Er legte, ohne den Senat oder
das Volk zu fragen, in seiner Censur 442 die Bürgerliste so
an, daſs der nicht grundsässige Mann in die Tribus, die ihm
gefiel, und alsdann nach seinem Vermögen in die entspre-
chende Centurie aufgenommen ward. Allein diese Aenderung
griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor um vollständig Bestand
zu haben. Einer der nächsten Nachfolger des Appius, der
berühmte Besieger der Samniten Quintus Fabius Rullianus
übernahm es in seiner Censur 449 sie zwar nicht ganz zu
beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschlieſsen, daſs
die Macht in den Händen der Grundsässigen und Vermögen-
den blieb. Er wies die nicht grundsässigen Leute und ebenso
die grundsässigen Freigelassenen der drei letzten Klassen
sämmtlich in die vier städtischen Tribus, die jetzt aus den
ersten im Range die letzten wurden; so daſs seitdem in den
Districtsversammlungen die sämmtlichen ansässigen freigebor-
nen Leute nebst den ansässigen Freigelassenen der beiden
ersten Klassen die ländlichen Districte allein inne hatten. Die
Zahl dieser Landtribus, ursprünglich 17, stieg allmählich, bis sie
jedoch erst in der folgenden Periode auf 31 festgestellt ward,
In den Centurien wurden die nicht ansässigen Freigeborenen
geduldet, dagegen die Freigelassenen, mit Ausnahme der An-
sässigen der beiden ersten Klassen, des Stimmrechts beraubt.
Auf diese Weise ward dafür gesorgt, daſs in den Tributcomi-
tien die Ansässigen überwogen, in den Centuriatcomitien, für
die bei dem entschiedenen Uebergewicht der Vermögenden
geringere Vorsichtsmaſsregeln ausreichten, wenigstens die Frei-
gelassenen nicht schaden konnten. Durch diese weise und
gemäſsigte Festsetzung, wegen deren das Volk ihrem Urheber
den Namen des Groſsen verlieh, ward einerseits die Kriegs-
pflicht wie billig auch den nicht ansässigen Bürgern aufgelegt,
andrerseits der steigenden Macht der gewesenen Sclaven ein
Riegel vorgeschoben, welcher in einem Staat, der Sclaverei
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