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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL IV.
weise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Heerden sich
nährend und in den Eichenwäldern mit ihnen Tag und Nacht
verweilend. Die Anhänglichkeit an die eigene Scholle, wie sie
den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kel-
ten; wogegen das Zusammenleben in Städten und Flecken
ihnen willkommen ist und diese bei ihnen früher, wie es
scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen
haben. Ihre bürgerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht
bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches
Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen alten Na-
tionen gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Ge-
meinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Bür-
gersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der
sie sich schicken, ist die militärische, in der die Bande der
Disciplin dem Einzelnen die schwere Mühe abnehmen sich
selber zu bezwingen. ,Die hervorstechenden Eigenschaften der
keltischen Race -- sagt ihr Geschichtsschreiber Thierry --
sind die persönliche Tapferkeit, in der sie es allen (?)
Völkern zuvorthun; ein freier, stürmischer, jedem Eindruck
zugänglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die äusserste
Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht
und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der
grenzenlosen Eitelkeit'. Kürzer sagt ungefähr dasselbe der
alte Cato: , auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das
Fechten und auf den Esprit'. Solche Eigenschaften guter
Soldaten und schlechter Bürger erklären die geschichtliche
Thatsache, dass die Kelten alle Staaten erschüttert und keinen
gegründet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern,
das heisst zu marschiren; dem Grundstück die bewegliche
Habe vorziehend, allem andern aber das Gold; das Waffen-
werk betreibend als organisirtes Raubwesen oder gar als Hand-
werk um Lohn. Es sind die rechten Lanzknechte des Alter-
thums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen:
grosse, nicht sehnige Körper, mit zottigem Haupthaar und
langem Schnauzbart -- recht im Gegensatz zu Griechen und
Römern, die das Haupt und die Oberlippe stets schoren --,
in bunten gestickten Gewändern, die beim Kampf nicht selten
abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals,
unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafür mit un-
geheurem Schild nebst dem langen schlechtgestählten Schwert,
dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold
geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bear-

ZWEITES BUCH. KAPITEL IV.
weise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Heerden sich
nährend und in den Eichenwäldern mit ihnen Tag und Nacht
verweilend. Die Anhänglichkeit an die eigene Scholle, wie sie
den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kel-
ten; wogegen das Zusammenleben in Städten und Flecken
ihnen willkommen ist und diese bei ihnen früher, wie es
scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen
haben. Ihre bürgerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht
bloſs wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches
Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen alten Na-
tionen gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Ge-
meinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Bür-
gersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der
sie sich schicken, ist die militärische, in der die Bande der
Disciplin dem Einzelnen die schwere Mühe abnehmen sich
selber zu bezwingen. ‚Die hervorstechenden Eigenschaften der
keltischen Race — sagt ihr Geschichtsschreiber Thierry —
sind die persönliche Tapferkeit, in der sie es allen (?)
Völkern zuvorthun; ein freier, stürmischer, jedem Eindruck
zugänglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die äuſserste
Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht
und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der
grenzenlosen Eitelkeit‘. Kürzer sagt ungefähr dasselbe der
alte Cato: ‚ auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das
Fechten und auf den Esprit‘. Solche Eigenschaften guter
Soldaten und schlechter Bürger erklären die geschichtliche
Thatsache, daſs die Kelten alle Staaten erschüttert und keinen
gegründet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern,
das heiſst zu marschiren; dem Grundstück die bewegliche
Habe vorziehend, allem andern aber das Gold; das Waffen-
werk betreibend als organisirtes Raubwesen oder gar als Hand-
werk um Lohn. Es sind die rechten Lanzknechte des Alter-
thums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen:
groſse, nicht sehnige Körper, mit zottigem Haupthaar und
langem Schnauzbart — recht im Gegensatz zu Griechen und
Römern, die das Haupt und die Oberlippe stets schoren —,
in bunten gestickten Gewändern, die beim Kampf nicht selten
abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals,
unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafür mit un-
geheurem Schild nebst dem langen schlechtgestählten Schwert,
dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold
geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bear-

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[208/0222] ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. weise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Heerden sich nährend und in den Eichenwäldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhänglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kel- ten; wogegen das Zusammenleben in Städten und Flecken ihnen willkommen ist und diese bei ihnen früher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre bürgerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloſs wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen alten Na- tionen gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Ge- meinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Bür- gersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die militärische, in der die Bande der Disciplin dem Einzelnen die schwere Mühe abnehmen sich selber zu bezwingen. ‚Die hervorstechenden Eigenschaften der keltischen Race — sagt ihr Geschichtsschreiber Thierry — sind die persönliche Tapferkeit, in der sie es allen (?) Völkern zuvorthun; ein freier, stürmischer, jedem Eindruck zugänglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die äuſserste Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit‘. Kürzer sagt ungefähr dasselbe der alte Cato: ‚ auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit‘. Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Bürger erklären die geschichtliche Thatsache, daſs die Kelten alle Staaten erschüttert und keinen gegründet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das heiſst zu marschiren; dem Grundstück die bewegliche Habe vorziehend, allem andern aber das Gold; das Waffen- werk betreibend als organisirtes Raubwesen oder gar als Hand- werk um Lohn. Es sind die rechten Lanzknechte des Alter- thums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: groſse, nicht sehnige Körper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart — recht im Gegensatz zu Griechen und Römern, die das Haupt und die Oberlippe stets schoren —, in bunten gestickten Gewändern, die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafür mit un- geheurem Schild nebst dem langen schlechtgestählten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bear-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/222>, abgerufen am 21.11.2024.