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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL IV.
Thoren entfernt am Bache Allia standen, am 18. Juli 364
vertrat ihnen eine römische Heeresmacht den Weg. Auch
jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern
wie gegen Räuber, übermüthig und tolldreist in den Kampf
unter unerprobten Feldherrn -- Camillus hatte in Folge
des Ständehaders von den Geschäften sich zurückgezogen.
Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was
bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rückzugs? Die
Niederlage blieb nicht aus; sie war nicht bloss vollständig,
sondern die wilde Flucht der Römer, die zwischen sich und
die nachsetzenden Barbaren den Fluss zu bringen eilten,
führte den grösseren Theil des geschlagenen Heeres auf
das rechte Tiberufer und nach Veii, womit man ohne alle
Noth die Hauptstadt preisgab. Die geringe dort zurückgeblie-
bene oder dorthin geflüchtete Mannschaft reichte nicht aus
um die Mauern zu besetzen und drei Tage nach der Schlacht
zogen die Sieger in Rom ein durch die offenen Thore. Hätten
sie es am ersten gethan, wie sie es konnten, so war Rom
verloren. Jetzt gewann man Zeit die Heiligthümer zu flüchten
oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu be-
setzen und nothdürftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was
die Waffen nicht tragen konnte, liess man in der Stadt --
man hatte kein Brot für alle. Die Menge der Wehrlosen ver-
lief sich in die Nachbarstädte; aber mancher, vor allem eine
Anzahl angesehener Greise mochten den Untergang der Stadt
nicht überleben und erwarteten in ihren Häusern den Tod
durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und
plünderten was an Menschen und Gut sich vorfand und zün-
deten schliesslich vor den Augen der römischen Besatzung auf
dem Capitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungs-
kunst verstanden sie nicht; es blieb ihnen nichts übrig als
die Blokade des steilen Burgfelsens, die schwierig war, da die
Lebensmittel für den grossen Heeresschwarm nur durch be-
waffnete nicht selten von den latinischen Bürgerschaften, na-
mentlich von den Ardeaten mit Muth und Glück zurückge-
schlagene Streifpartien sich herbeischaffen liessen. Dennoch
harrten sie mit einer unter ihren Verhältnissen beispiellosen
Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon be-
gannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer
dunklen Nacht nur durch das Schnattern der heiligen Gänse
im capitolinischen Tempel und das zufällige Erwachen des
tapfern Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf

ZWEITES BUCH. KAPITEL IV.
Thoren entfernt am Bache Allia standen, am 18. Juli 364
vertrat ihnen eine römische Heeresmacht den Weg. Auch
jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern
wie gegen Räuber, übermüthig und tolldreist in den Kampf
unter unerprobten Feldherrn — Camillus hatte in Folge
des Ständehaders von den Geschäften sich zurückgezogen.
Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was
bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rückzugs? Die
Niederlage blieb nicht aus; sie war nicht bloſs vollständig,
sondern die wilde Flucht der Römer, die zwischen sich und
die nachsetzenden Barbaren den Fluſs zu bringen eilten,
führte den gröſseren Theil des geschlagenen Heeres auf
das rechte Tiberufer und nach Veii, womit man ohne alle
Noth die Hauptstadt preisgab. Die geringe dort zurückgeblie-
bene oder dorthin geflüchtete Mannschaft reichte nicht aus
um die Mauern zu besetzen und drei Tage nach der Schlacht
zogen die Sieger in Rom ein durch die offenen Thore. Hätten
sie es am ersten gethan, wie sie es konnten, so war Rom
verloren. Jetzt gewann man Zeit die Heiligthümer zu flüchten
oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu be-
setzen und nothdürftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was
die Waffen nicht tragen konnte, lieſs man in der Stadt —
man hatte kein Brot für alle. Die Menge der Wehrlosen ver-
lief sich in die Nachbarstädte; aber mancher, vor allem eine
Anzahl angesehener Greise mochten den Untergang der Stadt
nicht überleben und erwarteten in ihren Häusern den Tod
durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und
plünderten was an Menschen und Gut sich vorfand und zün-
deten schlieſslich vor den Augen der römischen Besatzung auf
dem Capitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungs-
kunst verstanden sie nicht; es blieb ihnen nichts übrig als
die Blokade des steilen Burgfelsens, die schwierig war, da die
Lebensmittel für den groſsen Heeresschwarm nur durch be-
waffnete nicht selten von den latinischen Bürgerschaften, na-
mentlich von den Ardeaten mit Muth und Glück zurückge-
schlagene Streifpartien sich herbeischaffen lieſsen. Dennoch
harrten sie mit einer unter ihren Verhältnissen beispiellosen
Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon be-
gannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer
dunklen Nacht nur durch das Schnattern der heiligen Gänse
im capitolinischen Tempel und das zufällige Erwachen des
tapfern Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf

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[214/0228] ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. Thoren entfernt am Bache Allia standen, am 18. Juli 364 vertrat ihnen eine römische Heeresmacht den Weg. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Räuber, übermüthig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherrn — Camillus hatte in Folge des Ständehaders von den Geschäften sich zurückgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rückzugs? Die Niederlage blieb nicht aus; sie war nicht bloſs vollständig, sondern die wilde Flucht der Römer, die zwischen sich und die nachsetzenden Barbaren den Fluſs zu bringen eilten, führte den gröſseren Theil des geschlagenen Heeres auf das rechte Tiberufer und nach Veii, womit man ohne alle Noth die Hauptstadt preisgab. Die geringe dort zurückgeblie- bene oder dorthin geflüchtete Mannschaft reichte nicht aus um die Mauern zu besetzen und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger in Rom ein durch die offenen Thore. Hätten sie es am ersten gethan, wie sie es konnten, so war Rom verloren. Jetzt gewann man Zeit die Heiligthümer zu flüchten oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu be- setzen und nothdürftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, lieſs man in der Stadt — man hatte kein Brot für alle. Die Menge der Wehrlosen ver- lief sich in die Nachbarstädte; aber mancher, vor allem eine Anzahl angesehener Greise mochten den Untergang der Stadt nicht überleben und erwarteten in ihren Häusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und plünderten was an Menschen und Gut sich vorfand und zün- deten schlieſslich vor den Augen der römischen Besatzung auf dem Capitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungs- kunst verstanden sie nicht; es blieb ihnen nichts übrig als die Blokade des steilen Burgfelsens, die schwierig war, da die Lebensmittel für den groſsen Heeresschwarm nur durch be- waffnete nicht selten von den latinischen Bürgerschaften, na- mentlich von den Ardeaten mit Muth und Glück zurückge- schlagene Streifpartien sich herbeischaffen lieſsen. Dennoch harrten sie mit einer unter ihren Verhältnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon be- gannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunklen Nacht nur durch das Schnattern der heiligen Gänse im capitolinischen Tempel und das zufällige Erwachen des tapfern Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/228>, abgerufen am 24.11.2024.