stritten sich emporgeschwungen zu einer Machtstellung, die zu erschüttern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Kraft besass. Zwar drohte die Gefahr römischer Unterjochung ihnen allein und man mochte noch ihr entgehen, wenn die schwächeren Völker gegen Rom sich vereinigten. Aber die Klarheit, der Muth, die Hingebung, wie eine solche Coalition unzähliger bisher grossentheils feindlich oder doch sich fremd gegenüberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich erst, als es schon zu spät war.
Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwä- chung der griechischen Republiken war nächst Rom unzweifel- haft die bedeutendste Macht in Italien die samnitische Eidge- nossenschaft und zugleich war sie es, die von den römischen Uebergriffen am nächsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu in dem Kampf um die Freiheit und Na- tionalität, den die Italiker gegen Rom zu führen hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu übernehmen. Sie durfte rechnen auf den Beistand der kleineren sabellischen Völker- schaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in bäuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Auf- ruf eines verwandten Stammes sie mahnte zur Vertheidigung der gemeinsamen Güter unter die Waffen zu treten. Die Marser dagegen scheinen als die nächsten Nachbarn der Römer im Gan- zen neutral geblieben zu sein; die Apuler, die alten und erbit- terten Gegner der Sabeller, waren die natürlichen Verbünde- ten der Römer. Um die mächtigeren, aber in sich zerrissenen Lucaner und Brettier zu gewinnen mussten die in ihren Gren- zen eingeschlossenen Griechenstädte zweiten und dritten Ranges preisgegeben werden; wogegen die Samniten zählen konnten auf die Beihülfe Tarents und der campanischen Griechen. Dass auch die fernen Etrusker, wenn ein erster Erfolg er- rungen war, dem Bunde sich anschliessen würden, liess sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- land lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den übrigen Völkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kräfte; ein einziger glück- licher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzünden. Die Geschichte darf dem edlen
ZWEITES BUCH. KAPITEL VI.
stritten sich emporgeschwungen zu einer Machtstellung, die zu erschüttern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Kraft besaſs. Zwar drohte die Gefahr römischer Unterjochung ihnen allein und man mochte noch ihr entgehen, wenn die schwächeren Völker gegen Rom sich vereinigten. Aber die Klarheit, der Muth, die Hingebung, wie eine solche Coalition unzähliger bisher groſsentheils feindlich oder doch sich fremd gegenüberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich erst, als es schon zu spät war.
Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwä- chung der griechischen Republiken war nächst Rom unzweifel- haft die bedeutendste Macht in Italien die samnitische Eidge- nossenschaft und zugleich war sie es, die von den römischen Uebergriffen am nächsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu in dem Kampf um die Freiheit und Na- tionalität, den die Italiker gegen Rom zu führen hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu übernehmen. Sie durfte rechnen auf den Beistand der kleineren sabellischen Völker- schaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in bäuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Auf- ruf eines verwandten Stammes sie mahnte zur Vertheidigung der gemeinsamen Güter unter die Waffen zu treten. Die Marser dagegen scheinen als die nächsten Nachbarn der Römer im Gan- zen neutral geblieben zu sein; die Apuler, die alten und erbit- terten Gegner der Sabeller, waren die natürlichen Verbünde- ten der Römer. Um die mächtigeren, aber in sich zerrissenen Lucaner und Brettier zu gewinnen muſsten die in ihren Gren- zen eingeschlossenen Griechenstädte zweiten und dritten Ranges preisgegeben werden; wogegen die Samniten zählen konnten auf die Beihülfe Tarents und der campanischen Griechen. Daſs auch die fernen Etrusker, wenn ein erster Erfolg er- rungen war, dem Bunde sich anschlieſsen würden, lieſs sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- land lag nicht auſser der Berechnung. Vor allen Dingen aber muſsten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den übrigen Völkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefaſster Ueberlegung, zum Sammeln der Kräfte; ein einziger glück- licher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzünden. Die Geschichte darf dem edlen
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ZWEITES BUCH. KAPITEL VI.
stritten sich emporgeschwungen zu einer Machtstellung, die
zu erschüttern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Kraft
besaſs. Zwar drohte die Gefahr römischer Unterjochung
ihnen allein und man mochte noch ihr entgehen, wenn die
schwächeren Völker gegen Rom sich vereinigten. Aber die
Klarheit, der Muth, die Hingebung, wie eine solche Coalition
unzähliger bisher groſsentheils feindlich oder doch sich fremd
gegenüberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte,
fanden sich erst, als es schon zu spät war.
Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwä-
chung der griechischen Republiken war nächst Rom unzweifel-
haft die bedeutendste Macht in Italien die samnitische Eidge-
nossenschaft und zugleich war sie es, die von den römischen
Uebergriffen am nächsten und unmittelbarsten bedroht war.
Ihr also kam es zu in dem Kampf um die Freiheit und Na-
tionalität, den die Italiker gegen Rom zu führen hatten, die
erste Stelle und die schwerste Last zu übernehmen. Sie durfte
rechnen auf den Beistand der kleineren sabellischen Völker-
schaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer
kleinerer Gaue, die in bäuerlicher Abgeschiedenheit zwischen
ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Auf-
ruf eines verwandten Stammes sie mahnte zur Vertheidigung
der gemeinsamen Güter unter die Waffen zu treten. Die Marser
dagegen scheinen als die nächsten Nachbarn der Römer im Gan-
zen neutral geblieben zu sein; die Apuler, die alten und erbit-
terten Gegner der Sabeller, waren die natürlichen Verbünde-
ten der Römer. Um die mächtigeren, aber in sich zerrissenen
Lucaner und Brettier zu gewinnen muſsten die in ihren Gren-
zen eingeschlossenen Griechenstädte zweiten und dritten Ranges
preisgegeben werden; wogegen die Samniten zählen konnten
auf die Beihülfe Tarents und der campanischen Griechen.
Daſs auch die fernen Etrusker, wenn ein erster Erfolg er-
rungen war, dem Bunde sich anschlieſsen würden, lieſs sich
erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker-
land lag nicht auſser der Berechnung. Vor allen Dingen aber
muſsten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die
nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die
eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche
den übrigen Völkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefaſster
Ueberlegung, zum Sammeln der Kräfte; ein einziger glück-
licher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und Aufruhrsflammen
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/248>, abgerufen am 24.11.2024.
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