Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

KOENIG PYRRHOS.
war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende
und dienende Stämme lebten dort seit langem neben einander
und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevölke-
rung gleichgültig oder gar erwünscht. Im Occident konnten
die Römer, die Samniten, die Karthager auch überwunden
werden; aber kein Eroberer mochte die Italiker in ägypti-
sche Fellahs verwandeln oder aus den römischen Bauern Zins-
pflichtige der hellenischen Barone machen. Was man auch ins
Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kräfte
der Gegner -- überall erscheint der Plan des Makedoniers
als eine ausführbare, der des Epeiroten als eine unmögliche
Unternehmung; jener als die Vollziehung einer grossen ge-
schichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwürdiger Fehlgriff;
jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und
einer neuen Culturepoche, dieser als eine geschichtliche Epi-
sode. Alexanders Werk überlebte ihn, obwohl der Schöpfer
zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Schei-
tern aller seiner Pläne, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide
waren kühne und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste
Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner
Zeit; und wenn es die Einsicht in das Mögliche und Unmög-
liche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss
Pyrrhos diesen zugezählt und darf seinem grösseren Verwand-
ten so wenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable
von Bourbon Ludwig dem Elften. -- Und dennoch knüpft sich
ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epeiroten, eine
eigene Theilnahme, die allerdings zum Theil der ritterlichen
und liebenswürdigen Persönlichkeit desselben gilt, aber mehr
noch dem Umstand, dass er der erste Grieche ist, der den
Römern im Kampfe gegenübertritt. Mit ihm beginnen jene
Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze
spätere Entfaltung der antiken Civilisation und ein wesent-
licher Theil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Pha-
langen und Cohorten, zwischen der Söldnerarmee und der
Landwehr, zwischen dem Heerkönigthum und dem Senatoren-
regiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationa-
len Kraft -- dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenis-
mus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen
Pyrrhos und den römischen Feldherren; und wenn auch die
unterliegende Partei noch oft nachher appellirt hat an neue
Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spätere Schlacht-
tag das Urtheil nur bestätigt. Wenn aber hier die Griechen

KOENIG PYRRHOS.
war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende
und dienende Stämme lebten dort seit langem neben einander
und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevölke-
rung gleichgültig oder gar erwünscht. Im Occident konnten
die Römer, die Samniten, die Karthager auch überwunden
werden; aber kein Eroberer mochte die Italiker in ägypti-
sche Fellahs verwandeln oder aus den römischen Bauern Zins-
pflichtige der hellenischen Barone machen. Was man auch ins
Auge faſst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kräfte
der Gegner — überall erscheint der Plan des Makedoniers
als eine ausführbare, der des Epeiroten als eine unmögliche
Unternehmung; jener als die Vollziehung einer groſsen ge-
schichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwürdiger Fehlgriff;
jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und
einer neuen Culturepoche, dieser als eine geschichtliche Epi-
sode. Alexanders Werk überlebte ihn, obwohl der Schöpfer
zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Schei-
tern aller seiner Pläne, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide
waren kühne und groſse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste
Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner
Zeit; und wenn es die Einsicht in das Mögliche und Unmög-
liche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muſs
Pyrrhos diesen zugezählt und darf seinem gröſseren Verwand-
ten so wenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable
von Bourbon Ludwig dem Elften. — Und dennoch knüpft sich
ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epeiroten, eine
eigene Theilnahme, die allerdings zum Theil der ritterlichen
und liebenswürdigen Persönlichkeit desselben gilt, aber mehr
noch dem Umstand, daſs er der erste Grieche ist, der den
Römern im Kampfe gegenübertritt. Mit ihm beginnen jene
Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze
spätere Entfaltung der antiken Civilisation und ein wesent-
licher Theil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Pha-
langen und Cohorten, zwischen der Söldnerarmee und der
Landwehr, zwischen dem Heerkönigthum und dem Senatoren-
regiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationa-
len Kraft — dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenis-
mus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen
Pyrrhos und den römischen Feldherren; und wenn auch die
unterliegende Partei noch oft nachher appellirt hat an neue
Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spätere Schlacht-
tag das Urtheil nur bestätigt. Wenn aber hier die Griechen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0269" n="255"/><fw place="top" type="header">KOENIG PYRRHOS.</fw><lb/>
war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende<lb/>
und dienende Stämme lebten dort seit langem neben einander<lb/>
und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevölke-<lb/>
rung gleichgültig oder gar erwünscht. Im Occident konnten<lb/>
die Römer, die Samniten, die Karthager auch überwunden<lb/>
werden; aber kein Eroberer mochte die Italiker in ägypti-<lb/>
sche Fellahs verwandeln oder aus den römischen Bauern Zins-<lb/>
pflichtige der hellenischen Barone machen. Was man auch ins<lb/>
Auge fa&#x017F;st, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kräfte<lb/>
der Gegner &#x2014; überall erscheint der Plan des Makedoniers<lb/>
als eine ausführbare, der des Epeiroten als eine unmögliche<lb/>
Unternehmung; jener als die Vollziehung einer gro&#x017F;sen ge-<lb/>
schichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwürdiger Fehlgriff;<lb/>
jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und<lb/>
einer neuen Culturepoche, dieser als eine geschichtliche Epi-<lb/>
sode. Alexanders Werk überlebte ihn, obwohl der Schöpfer<lb/>
zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Schei-<lb/>
tern aller seiner Pläne, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide<lb/>
waren kühne und gro&#x017F;se Naturen, aber Pyrrhos nur der erste<lb/>
Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner<lb/>
Zeit; und wenn es die Einsicht in das Mögliche und Unmög-<lb/>
liche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so mu&#x017F;s<lb/>
Pyrrhos diesen zugezählt und darf seinem grö&#x017F;seren Verwand-<lb/>
ten so wenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable<lb/>
von Bourbon Ludwig dem Elften. &#x2014; Und dennoch knüpft sich<lb/>
ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epeiroten, eine<lb/>
eigene Theilnahme, die allerdings zum Theil der ritterlichen<lb/>
und liebenswürdigen Persönlichkeit desselben gilt, aber mehr<lb/>
noch dem Umstand, da&#x017F;s er der erste Grieche ist, der den<lb/>
Römern im Kampfe gegenübertritt. Mit ihm beginnen jene<lb/>
Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze<lb/>
spätere Entfaltung der antiken Civilisation und ein wesent-<lb/>
licher Theil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Pha-<lb/>
langen und Cohorten, zwischen der Söldnerarmee und der<lb/>
Landwehr, zwischen dem Heerkönigthum und dem Senatoren-<lb/>
regiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationa-<lb/>
len Kraft &#x2014; dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenis-<lb/>
mus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen<lb/>
Pyrrhos und den römischen Feldherren; und wenn auch die<lb/>
unterliegende Partei noch oft nachher appellirt hat an neue<lb/>
Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spätere Schlacht-<lb/>
tag das Urtheil nur bestätigt. Wenn aber hier die Griechen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0269] KOENIG PYRRHOS. war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Stämme lebten dort seit langem neben einander und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevölke- rung gleichgültig oder gar erwünscht. Im Occident konnten die Römer, die Samniten, die Karthager auch überwunden werden; aber kein Eroberer mochte die Italiker in ägypti- sche Fellahs verwandeln oder aus den römischen Bauern Zins- pflichtige der hellenischen Barone machen. Was man auch ins Auge faſst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kräfte der Gegner — überall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausführbare, der des Epeiroten als eine unmögliche Unternehmung; jener als die Vollziehung einer groſsen ge- schichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwürdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Culturepoche, dieser als eine geschichtliche Epi- sode. Alexanders Werk überlebte ihn, obwohl der Schöpfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Schei- tern aller seiner Pläne, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kühne und groſse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das Mögliche und Unmög- liche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muſs Pyrrhos diesen zugezählt und darf seinem gröſseren Verwand- ten so wenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften. — Und dennoch knüpft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epeiroten, eine eigene Theilnahme, die allerdings zum Theil der ritterlichen und liebenswürdigen Persönlichkeit desselben gilt, aber mehr noch dem Umstand, daſs er der erste Grieche ist, der den Römern im Kampfe gegenübertritt. Mit ihm beginnen jene Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spätere Entfaltung der antiken Civilisation und ein wesent- licher Theil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Pha- langen und Cohorten, zwischen der Söldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkönigthum und dem Senatoren- regiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationa- len Kraft — dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenis- mus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den römischen Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher appellirt hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spätere Schlacht- tag das Urtheil nur bestätigt. Wenn aber hier die Griechen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/269
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/269>, abgerufen am 25.11.2024.