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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
kurz alle Künste der Cabinetspolitik, wie sie an den Höfen
von Alexandria und Antiochia erprobt waren, gegen die Rö-
mer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien
es der Klugheit gemäss einen Schritt zurück zu thun, abzu-
warten, bis der gefährliche Gegner sich weiter verwickelt ha-
ben oder nicht mehr sein würde. Indess der Altcensor Appius
Claudius (Censor 442, Consul 447. 458), der wegen Alters
und Blindheit sich von den Staatsgeschäften zurückgezogen
hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den
Senat führen liess, hauchte die ungebrochene Energie einer
gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem jüngeren
Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem König das
stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staats-
grundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, so lange aus-
wärtige Truppen auf italischem Gebiet ständen, und das Wort
wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der
Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der ge-
wandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effect zu machen,
hatte vielmehr sich selber imponiren lassen durch diesen männ-
lichen Ernst nach so schwerer Niederlage -- er erklärte da-
heim, dass in dieser Stadt jeder Bürger ihm erschienen sei
wie ein König; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu
Gesicht bekommen. -- Pyrrhos, der während dieser Ver-
handlungen in Campanien eingerückt war, brach auf die Nach-
richt von ihrem Ausgang sogleich auf gegen Rom, um den
Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms
zu erschüttern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Rö-
mer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den
Ruf des Heroldes ,sich einschreiben zu lassen an die Stelle
der Gefallenen' hatte die junge Mannschaft sich gleich nach
der Schlacht von Herakleia zur Aushebung schaarenweise her-
beigedrängt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem
aus Lucanien zurückgezogenen Corps war Laevinus stärker
als vorher und folgte dem Marsch des Königs. Er vermochte
Capua zu decken und einen Versuch des Gegners mit Neapel Ver-
bindungen anzuknüpfen zu vereiteln; so straff war die Haltung
der Römer, dass ausser den unteritalischen Griechen kein nam-
hafter Bundesstaat es wagte vom römischen Bündniss abzufallen.
Da wandte Pyrrhos sich durch die reiche Landschaft, deren
blühenden Zustand er bewunderte, Fregellae überrumpelnd
und den Uebergang über den Liris erzwingend, gegen Rom
selbst. Der Weg ward ihm nicht verlegt; er gelangte bis Anag-

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
kurz alle Künste der Cabinetspolitik, wie sie an den Höfen
von Alexandria und Antiochia erprobt waren, gegen die Rö-
mer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien
es der Klugheit gemäſs einen Schritt zurück zu thun, abzu-
warten, bis der gefährliche Gegner sich weiter verwickelt ha-
ben oder nicht mehr sein würde. Indeſs der Altcensor Appius
Claudius (Censor 442, Consul 447. 458), der wegen Alters
und Blindheit sich von den Staatsgeschäften zurückgezogen
hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den
Senat führen lieſs, hauchte die ungebrochene Energie einer
gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem jüngeren
Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem König das
stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staats-
grundsatz ward, daſs Rom nicht unterhandle, so lange aus-
wärtige Truppen auf italischem Gebiet ständen, und das Wort
wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der
Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der ge-
wandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effect zu machen,
hatte vielmehr sich selber imponiren lassen durch diesen männ-
lichen Ernst nach so schwerer Niederlage — er erklärte da-
heim, daſs in dieser Stadt jeder Bürger ihm erschienen sei
wie ein König; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu
Gesicht bekommen. — Pyrrhos, der während dieser Ver-
handlungen in Campanien eingerückt war, brach auf die Nach-
richt von ihrem Ausgang sogleich auf gegen Rom, um den
Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms
zu erschüttern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Rö-
mer lieſsen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den
Ruf des Heroldes ‚sich einschreiben zu lassen an die Stelle
der Gefallenen‘ hatte die junge Mannschaft sich gleich nach
der Schlacht von Herakleia zur Aushebung schaarenweise her-
beigedrängt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem
aus Lucanien zurückgezogenen Corps war Laevinus stärker
als vorher und folgte dem Marsch des Königs. Er vermochte
Capua zu decken und einen Versuch des Gegners mit Neapel Ver-
bindungen anzuknüpfen zu vereiteln; so straff war die Haltung
der Römer, daſs auſser den unteritalischen Griechen kein nam-
hafter Bundesstaat es wagte vom römischen Bündniſs abzufallen.
Da wandte Pyrrhos sich durch die reiche Landschaft, deren
blühenden Zustand er bewunderte, Fregellae überrumpelnd
und den Uebergang über den Liris erzwingend, gegen Rom
selbst. Der Weg ward ihm nicht verlegt; er gelangte bis Anag-

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[268/0282] ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. kurz alle Künste der Cabinetspolitik, wie sie an den Höfen von Alexandria und Antiochia erprobt waren, gegen die Rö- mer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der Klugheit gemäſs einen Schritt zurück zu thun, abzu- warten, bis der gefährliche Gegner sich weiter verwickelt ha- ben oder nicht mehr sein würde. Indeſs der Altcensor Appius Claudius (Censor 442, Consul 447. 458), der wegen Alters und Blindheit sich von den Staatsgeschäften zurückgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat führen lieſs, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem jüngeren Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem König das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staats- grundsatz ward, daſs Rom nicht unterhandle, so lange aus- wärtige Truppen auf italischem Gebiet ständen, und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der ge- wandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effect zu machen, hatte vielmehr sich selber imponiren lassen durch diesen männ- lichen Ernst nach so schwerer Niederlage — er erklärte da- heim, daſs in dieser Stadt jeder Bürger ihm erschienen sei wie ein König; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht bekommen. — Pyrrhos, der während dieser Ver- handlungen in Campanien eingerückt war, brach auf die Nach- richt von ihrem Ausgang sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschüttern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Rö- mer lieſsen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes ‚sich einschreiben zu lassen an die Stelle der Gefallenen‘ hatte die junge Mannschaft sich gleich nach der Schlacht von Herakleia zur Aushebung schaarenweise her- beigedrängt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurückgezogenen Corps war Laevinus stärker als vorher und folgte dem Marsch des Königs. Er vermochte Capua zu decken und einen Versuch des Gegners mit Neapel Ver- bindungen anzuknüpfen zu vereiteln; so straff war die Haltung der Römer, daſs auſser den unteritalischen Griechen kein nam- hafter Bundesstaat es wagte vom römischen Bündniſs abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich durch die reiche Landschaft, deren blühenden Zustand er bewunderte, Fregellae überrumpelnd und den Uebergang über den Liris erzwingend, gegen Rom selbst. Der Weg ward ihm nicht verlegt; er gelangte bis Anag-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/282>, abgerufen am 22.11.2024.