Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ERSTES BUCH. KAPITEL II. und Sage, Gesetz und Sitte um die Wette bekunden. DasHaus und der feste Heerd, den der Ackerbauer sich gründet anstatt der leichten Hütte und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisirt in der Göttin Vesta oder Estia, fast der einzigen, die beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der ältesten itali- schen Stammsagen legt dem König Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben müssen, Vitalus oder Vitulus die Ueber- führung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knüpft sinnig die ursprünglich italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Führer der Urcolonien den Ackerstier macht oder wenn die ältesten latinischen Volksnamen das Volk be- zeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci). Es gehört zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten römischen Ursprungssage, dass darin ein Hirten- und Jägervolk auftritt, das dennoch Städte gründet. -- Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flächenmasse und die Weise der Limitation bei beiden Völ- kern auf gleicher Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn gleich rohe Vermessung desselben nicht ge- dacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron; es darf danach, so wie nach dem Stehenbleiben der Zahlwörter bei Hundert angenommen werden, dass das durch die Natur selbst dem Menschen angegebene Decimalsystem auch das älteste graecoitalische und das künstlichere duodeci- male späteren Ursprungs ist. Dass der römische Fuss, der einzige unter den italischen, den wir genau kennen, um ein Geringes kleiner als der griechische ( desselben ist 1 rö- mischer Fuss) ist, erklärt sich daraus, dass die mathematisch genaue Bestimmung des Fusses unzweifelhaft einer viel spä- teren Epoche angehört. Das Princip der Limitation ist ein- fach; der Feldmesser orientirt sich nach einer der Himmels- gegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Süden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum, temenos von temno) er steht, alsdann in gewissen festen Abständen den Hauptschneidelinien parallele Linien, wo- durch eine Reihe rechtwinklichter Grundstücke entsteht, deren Ecken die Grenzpfähle (termini, in sicilischen Inschriften ter- mones, gewöhnlich oroi) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ur- ERSTES BUCH. KAPITEL II. und Sage, Gesetz und Sitte um die Wette bekunden. DasHaus und der feste Heerd, den der Ackerbauer sich gründet anstatt der leichten Hütte und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisirt in der Göttin Vesta oder Ἑστία, fast der einzigen, die beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der ältesten itali- schen Stammsagen legt dem König Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben müssen, Vitalus oder Vitulus die Ueber- führung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knüpft sinnig die ursprünglich italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Führer der Urcolonien den Ackerstier macht oder wenn die ältesten latinischen Volksnamen das Volk be- zeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci). Es gehört zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten römischen Ursprungssage, daſs darin ein Hirten- und Jägervolk auftritt, das dennoch Städte gründet. — Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flächenmaſse und die Weise der Limitation bei beiden Völ- kern auf gleicher Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn gleich rohe Vermessung desselben nicht ge- dacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuſs ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron; es darf danach, so wie nach dem Stehenbleiben der Zahlwörter bei Hundert angenommen werden, daſs das durch die Natur selbst dem Menschen angegebene Decimalsystem auch das älteste graecoitalische und das künstlichere duodeci- male späteren Ursprungs ist. Daſs der römische Fuſs, der einzige unter den italischen, den wir genau kennen, um ein Geringes kleiner als der griechische ( desselben ist 1 rö- mischer Fuſs) ist, erklärt sich daraus, daſs die mathematisch genaue Bestimmung des Fuſses unzweifelhaft einer viel spä- teren Epoche angehört. Das Princip der Limitation ist ein- fach; der Feldmesser orientirt sich nach einer der Himmels- gegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Süden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht, alsdann in gewissen festen Abständen den Hauptschneidelinien parallele Linien, wo- durch eine Reihe rechtwinklichter Grundstücke entsteht, deren Ecken die Grenzpfähle (termini, in sicilischen Inschriften τέϱ- μονες, gewöhnlich ὅϱοι) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ur- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0030" n="16"/><fw place="top" type="header">ERSTES BUCH. 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ERSTES BUCH. KAPITEL II.
und Sage, Gesetz und Sitte um die Wette bekunden. Das
Haus und der feste Heerd, den der Ackerbauer sich gründet
anstatt der leichten Hütte und der unsteten Feuerstelle des
Hirten, werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisirt
in der Göttin Vesta oder Ἑστία, fast der einzigen, die beiden
Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der ältesten itali-
schen Stammsagen legt dem König Italus, oder, wie die Italiker
gesprochen haben müssen, Vitalus oder Vitulus die Ueber-
führung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und
knüpft sinnig die ursprünglich italische Gesetzgebung daran;
nur eine andere Wendung davon ist es, wenn die samnitische
Stammsage zum Führer der Urcolonien den Ackerstier macht
oder wenn die ältesten latinischen Volksnamen das Volk be-
zeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als
Feldarbeiter (Opsci). Es gehört zum sagenwidrigen Charakter
der sogenannten römischen Ursprungssage, daſs darin ein
Hirten- und Jägervolk auftritt, das dennoch Städte gründet. —
Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der
Flächenmaſse und die Weise der Limitation bei beiden Völ-
kern auf gleicher Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens
ohne eine wenn gleich rohe Vermessung desselben nicht ge-
dacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von
100 Fuſs ins Gevierte entspricht genau dem griechischen
Plethron; es darf danach, so wie nach dem Stehenbleiben der
Zahlwörter bei Hundert angenommen werden, daſs das durch
die Natur selbst dem Menschen angegebene Decimalsystem
auch das älteste graecoitalische und das künstlichere duodeci-
male späteren Ursprungs ist. Daſs der römische Fuſs, der
einzige unter den italischen, den wir genau kennen, um ein
Geringes kleiner als der griechische ([FORMEL] desselben ist 1 rö-
mischer Fuſs) ist, erklärt sich daraus, daſs die mathematisch
genaue Bestimmung des Fuſses unzweifelhaft einer viel spä-
teren Epoche angehört. Das Princip der Limitation ist ein-
fach; der Feldmesser orientirt sich nach einer der Himmels-
gegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach
Süden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt
(templum, τέμενος von τέμνω) er steht, alsdann in gewissen
festen Abständen den Hauptschneidelinien parallele Linien, wo-
durch eine Reihe rechtwinklichter Grundstücke entsteht, deren
Ecken die Grenzpfähle (termini, in sicilischen Inschriften τέϱ-
μονες, gewöhnlich ὅϱοι) bezeichnen. Diese Limitationsweise,
die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ur-
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