Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.INNERE VERHAELTNISSE. bestimmten Civilisation, die wieder dringt auf weichere undmannichfaltigere Laute. -- Eher noch lässt sich einiges er- kennen über die Anfänge der Wissenschaft und der Litteratur. Zwar in den exacten Wissenschaften haben es die Römer nie weit gebracht; selbst in dem Theil des Militärwesens, der mathematische Kenntnisse voraussetzt, wie in der Befestigung, dem Festungskrieg, dem Maschinenbau, ja sogar im Schlagen des Lagers sind die Römer durchaus Schüler der Griechen gewesen und geblieben; das kunstmässige Lagerabstecken lernten sie zunächst von ihrem grossen Gegner Pyrrhos. Die Unfähigkeit der Römer auf diesem Gebiet zeigt sich in der Regulirung des Kalenders, die die Decemvirn versuchten. Sie wollten den damaligen attischen vormetonischen Kalender, der auf der Gleichsetzung von 99 Mondmonaten (zu 29 Tagen 12 Stunden) und 8 Sonnenjahren (zu 365 Tagen 6 Stunden) beruhte und in acht Jahren 90 Tage einschaltete, bei sich einführen und hiessen jedes andere Jahr einen Monat abwech- selnd von 22 und 23 Tagen einschalten; allein man setzte aus irgend einem Versehen den Mondmonat um zwei Stun- den länger an, wodurch natürlich der Kalender bald in die ärgste Verwirrung gerieth und man genöthigt war gelegentlich einen Schaltmonat ausfallen zu lassen. Die Theilung des Tages nach Stunden blieb den Römern unbekannt bis auf den An- fang der folgenden Periode (491), wo eine für Sicilien be- stimmte Sonnenuhr auf dem römischen Markt aufgestellt ward und der griechische Name (hora) den Römern geläufig zu werden anfing; bis dahin richtete man sich nach dem Stande der Sonne. -- Bedeutendere und eigenthümlichere Leistungen begegnen uns auf anderen geistigen Gebieten, namentlich auf dem der Rechtswissenschaft und der Geschichte. Das von den Zehnmännern aufgezeichnete Stadtrecht ist wohl das älteste römische Schriftstück, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel jünger mag der Kern der sogenannten königlichen Gesetze sein, das heisst gewisser vorzugsweise sacraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahr- scheinlich von dem Collegium der Pontifices, das selbst zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form königlicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ueberhaupt sind vermuthlich schon seit dem Anfang dieser Periode die wichtigeren Gesetze und öffentlichen Beschlüsse regelmässig schriftlich verzeichnet wor- den; wozu den Anstoss wohl die Bestellung einer Privilegien- INNERE VERHAELTNISSE. bestimmten Civilisation, die wieder dringt auf weichere undmannichfaltigere Laute. — Eher noch läſst sich einiges er- kennen über die Anfänge der Wissenschaft und der Litteratur. Zwar in den exacten Wissenschaften haben es die Römer nie weit gebracht; selbst in dem Theil des Militärwesens, der mathematische Kenntnisse voraussetzt, wie in der Befestigung, dem Festungskrieg, dem Maschinenbau, ja sogar im Schlagen des Lagers sind die Römer durchaus Schüler der Griechen gewesen und geblieben; das kunstmäſsige Lagerabstecken lernten sie zunächst von ihrem groſsen Gegner Pyrrhos. Die Unfähigkeit der Römer auf diesem Gebiet zeigt sich in der Regulirung des Kalenders, die die Decemvirn versuchten. Sie wollten den damaligen attischen vormetonischen Kalender, der auf der Gleichsetzung von 99 Mondmonaten (zu 29 Tagen 12 Stunden) und 8 Sonnenjahren (zu 365 Tagen 6 Stunden) beruhte und in acht Jahren 90 Tage einschaltete, bei sich einführen und hieſsen jedes andere Jahr einen Monat abwech- selnd von 22 und 23 Tagen einschalten; allein man setzte aus irgend einem Versehen den Mondmonat um zwei Stun- den länger an, wodurch natürlich der Kalender bald in die ärgste Verwirrung gerieth und man genöthigt war gelegentlich einen Schaltmonat ausfallen zu lassen. Die Theilung des Tages nach Stunden blieb den Römern unbekannt bis auf den An- fang der folgenden Periode (491), wo eine für Sicilien be- stimmte Sonnenuhr auf dem römischen Markt aufgestellt ward und der griechische Name (hora) den Römern geläufig zu werden anfing; bis dahin richtete man sich nach dem Stande der Sonne. — Bedeutendere und eigenthümlichere Leistungen begegnen uns auf anderen geistigen Gebieten, namentlich auf dem der Rechtswissenschaft und der Geschichte. Das von den Zehnmännern aufgezeichnete Stadtrecht ist wohl das älteste römische Schriftstück, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel jünger mag der Kern der sogenannten königlichen Gesetze sein, das heiſst gewisser vorzugsweise sacraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahr- scheinlich von dem Collegium der Pontifices, das selbst zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form königlicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ueberhaupt sind vermuthlich schon seit dem Anfang dieser Periode die wichtigeren Gesetze und öffentlichen Beschlüsse regelmäſsig schriftlich verzeichnet wor- den; wozu den Anstoſs wohl die Bestellung einer Privilegien- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0315" n="301"/><fw place="top" type="header">INNERE VERHAELTNISSE.</fw><lb/> bestimmten Civilisation, die wieder dringt auf weichere und<lb/> mannichfaltigere Laute. — Eher noch läſst sich einiges er-<lb/> kennen über die Anfänge der Wissenschaft und der Litteratur.<lb/> Zwar in den exacten Wissenschaften haben es die Römer nie<lb/> weit gebracht; selbst in dem Theil des Militärwesens, der<lb/> mathematische Kenntnisse voraussetzt, wie in der Befestigung,<lb/> dem Festungskrieg, dem Maschinenbau, ja sogar im Schlagen<lb/> des Lagers sind die Römer durchaus Schüler der Griechen<lb/> gewesen und geblieben; das kunstmäſsige Lagerabstecken<lb/> lernten sie zunächst von ihrem groſsen Gegner Pyrrhos. Die<lb/> Unfähigkeit der Römer auf diesem Gebiet zeigt sich in der<lb/> Regulirung des Kalenders, die die Decemvirn versuchten. Sie<lb/> wollten den damaligen attischen vormetonischen Kalender, der<lb/> auf der Gleichsetzung von 99 Mondmonaten (zu 29 Tagen<lb/> 12 Stunden) und 8 Sonnenjahren (zu 365 Tagen 6 Stunden)<lb/> beruhte und in acht Jahren 90 Tage einschaltete, bei sich<lb/> einführen und hieſsen jedes andere Jahr einen Monat abwech-<lb/> selnd von 22 und 23 Tagen einschalten; allein man setzte<lb/> aus irgend einem Versehen den Mondmonat um zwei Stun-<lb/> den länger an, wodurch natürlich der Kalender bald in die<lb/> ärgste Verwirrung gerieth und man genöthigt war gelegentlich<lb/> einen Schaltmonat ausfallen zu lassen. Die Theilung des Tages<lb/> nach Stunden blieb den Römern unbekannt bis auf den An-<lb/> fang der folgenden Periode (491), wo eine für Sicilien be-<lb/> stimmte Sonnenuhr auf dem römischen Markt aufgestellt ward<lb/> und der griechische Name (<hi rendition="#i">hora</hi>) den Römern geläufig zu<lb/> werden anfing; bis dahin richtete man sich nach dem Stande<lb/> der Sonne. — Bedeutendere und eigenthümlichere Leistungen<lb/> begegnen uns auf anderen geistigen Gebieten, namentlich auf<lb/> dem der Rechtswissenschaft und der Geschichte. Das von<lb/> den Zehnmännern aufgezeichnete Stadtrecht ist wohl das<lb/> älteste römische Schriftstück, das den Namen eines Buches<lb/> verdient. Nicht viel jünger mag der Kern der sogenannten<lb/> königlichen Gesetze sein, das heiſst gewisser vorzugsweise<lb/> sacraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahr-<lb/> scheinlich von dem Collegium der Pontifices, das selbst zur<lb/> Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war,<lb/> unter der Form königlicher Verordnungen zu allgemeiner<lb/> Kunde gebracht wurden. Ueberhaupt sind vermuthlich schon<lb/> seit dem Anfang dieser Periode die wichtigeren Gesetze und<lb/> öffentlichen Beschlüsse regelmäſsig schriftlich verzeichnet wor-<lb/> den; wozu den Anstoſs wohl die Bestellung einer Privilegien-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0315]
INNERE VERHAELTNISSE.
bestimmten Civilisation, die wieder dringt auf weichere und
mannichfaltigere Laute. — Eher noch läſst sich einiges er-
kennen über die Anfänge der Wissenschaft und der Litteratur.
Zwar in den exacten Wissenschaften haben es die Römer nie
weit gebracht; selbst in dem Theil des Militärwesens, der
mathematische Kenntnisse voraussetzt, wie in der Befestigung,
dem Festungskrieg, dem Maschinenbau, ja sogar im Schlagen
des Lagers sind die Römer durchaus Schüler der Griechen
gewesen und geblieben; das kunstmäſsige Lagerabstecken
lernten sie zunächst von ihrem groſsen Gegner Pyrrhos. Die
Unfähigkeit der Römer auf diesem Gebiet zeigt sich in der
Regulirung des Kalenders, die die Decemvirn versuchten. Sie
wollten den damaligen attischen vormetonischen Kalender, der
auf der Gleichsetzung von 99 Mondmonaten (zu 29 Tagen
12 Stunden) und 8 Sonnenjahren (zu 365 Tagen 6 Stunden)
beruhte und in acht Jahren 90 Tage einschaltete, bei sich
einführen und hieſsen jedes andere Jahr einen Monat abwech-
selnd von 22 und 23 Tagen einschalten; allein man setzte
aus irgend einem Versehen den Mondmonat um zwei Stun-
den länger an, wodurch natürlich der Kalender bald in die
ärgste Verwirrung gerieth und man genöthigt war gelegentlich
einen Schaltmonat ausfallen zu lassen. Die Theilung des Tages
nach Stunden blieb den Römern unbekannt bis auf den An-
fang der folgenden Periode (491), wo eine für Sicilien be-
stimmte Sonnenuhr auf dem römischen Markt aufgestellt ward
und der griechische Name (hora) den Römern geläufig zu
werden anfing; bis dahin richtete man sich nach dem Stande
der Sonne. — Bedeutendere und eigenthümlichere Leistungen
begegnen uns auf anderen geistigen Gebieten, namentlich auf
dem der Rechtswissenschaft und der Geschichte. Das von
den Zehnmännern aufgezeichnete Stadtrecht ist wohl das
älteste römische Schriftstück, das den Namen eines Buches
verdient. Nicht viel jünger mag der Kern der sogenannten
königlichen Gesetze sein, das heiſst gewisser vorzugsweise
sacraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahr-
scheinlich von dem Collegium der Pontifices, das selbst zur
Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war,
unter der Form königlicher Verordnungen zu allgemeiner
Kunde gebracht wurden. Ueberhaupt sind vermuthlich schon
seit dem Anfang dieser Periode die wichtigeren Gesetze und
öffentlichen Beschlüsse regelmäſsig schriftlich verzeichnet wor-
den; wozu den Anstoſs wohl die Bestellung einer Privilegien-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |