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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KARTHAGO.
zweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles
ausdrücklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehre-
rer Aemter in einer Person bei den Karthagern üblich und
so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich
als Feldherr und als Schofet erscheint. -- Aber über der
Gerusia und über den Beamten stand die Körperschaft der
Hundertundvier-, kürzer Hundertmänner oder der Richter,
das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der ur-
sprünglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht,
sondern sie war hervorgegangen gleich dem spartanischen
Ephorat aus der aristokratischen Opposition gegen die monar-
chischen Elemente derselben. Bei der Käuflichkeit der Aemter
und der geringen Mitgliederzahl der höchsten Behörde drohte
eine einzige durch Reichthum und Kriegsruhm vor allen her-
vorleuchtende Familie, das Geschlecht des Barkas die Verwal-
tung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren
Händen zu vereinigen; dies führte ungefähr um die Zeit
der Decemvirn zu einer Aenderung der Verfassung und zur
Einsetzung dieser neuen Behörde. Wir wissen, dass die
Bekleidung der Quästur ein Anrecht gab zum Eintritt in die
Richterschaft, dass aber dennoch der Candidat einer Wahl
unterlag durch gewisse sich selbst ergänzende Fünfmänner-
schaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich ver-
muthlich von Jahr zu Jahr gewählt wurden, doch thatsächlich
längere Zeit, ja lebenslänglich im Amt blieben, wesshalb sie
bei den Römern und Griechen gewöhnlich Senatoren genannt
werden. So dunkel das Einzelne ist, so klar erkennt man
das Wesen der Behörde als einer auf aristokratischer Coopta-
tion beruhenden Vertretung der Oligarchie; wovon eine verein-
zelte, aber charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben
dem gemeinen Bürger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunächst
waren sie bestimmt zu fungiren als politische Geschworne,
die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommen-
den Falls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Nieder-
legung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gut-
dünken, oft in rücksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem
Tode bestraften. Natürlich ging hier wie überall, wo die Ver-
waltungsbehörden unter Controle einer andern Körperschaft
gestellt werden, der Schwerpunct der Macht über von der
controlirten auf die controlirende Behörde; und es begreift
sich leicht, theils dass die letztere allenthalben in die Verwal-
tung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige

Röm. Gesch. I. 21

KARTHAGO.
zweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles
ausdrücklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehre-
rer Aemter in einer Person bei den Karthagern üblich und
so kann es nicht befremden, daſs oft derselbe Mann zugleich
als Feldherr und als Schofet erscheint. — Aber über der
Gerusia und über den Beamten stand die Körperschaft der
Hundertundvier-, kürzer Hundertmänner oder der Richter,
das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der ur-
sprünglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht,
sondern sie war hervorgegangen gleich dem spartanischen
Ephorat aus der aristokratischen Opposition gegen die monar-
chischen Elemente derselben. Bei der Käuflichkeit der Aemter
und der geringen Mitgliederzahl der höchsten Behörde drohte
eine einzige durch Reichthum und Kriegsruhm vor allen her-
vorleuchtende Familie, das Geschlecht des Barkas die Verwal-
tung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren
Händen zu vereinigen; dies führte ungefähr um die Zeit
der Decemvirn zu einer Aenderung der Verfassung und zur
Einsetzung dieser neuen Behörde. Wir wissen, daſs die
Bekleidung der Quästur ein Anrecht gab zum Eintritt in die
Richterschaft, daſs aber dennoch der Candidat einer Wahl
unterlag durch gewisse sich selbst ergänzende Fünfmänner-
schaften; ferner daſs die Richter, obwohl sie rechtlich ver-
muthlich von Jahr zu Jahr gewählt wurden, doch thatsächlich
längere Zeit, ja lebenslänglich im Amt blieben, weſshalb sie
bei den Römern und Griechen gewöhnlich Senatoren genannt
werden. So dunkel das Einzelne ist, so klar erkennt man
das Wesen der Behörde als einer auf aristokratischer Coopta-
tion beruhenden Vertretung der Oligarchie; wovon eine verein-
zelte, aber charakteristische Spur ist, daſs in Karthago neben
dem gemeinen Bürger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunächst
waren sie bestimmt zu fungiren als politische Geschworne,
die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommen-
den Falls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Nieder-
legung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gut-
dünken, oft in rücksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem
Tode bestraften. Natürlich ging hier wie überall, wo die Ver-
waltungsbehörden unter Controle einer andern Körperschaft
gestellt werden, der Schwerpunct der Macht über von der
controlirten auf die controlirende Behörde; und es begreift
sich leicht, theils daſs die letztere allenthalben in die Verwal-
tung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige

Röm. Gesch. I. 21
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[321/0335] KARTHAGO. zweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdrücklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehre- rer Aemter in einer Person bei den Karthagern üblich und so kann es nicht befremden, daſs oft derselbe Mann zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint. — Aber über der Gerusia und über den Beamten stand die Körperschaft der Hundertundvier-, kürzer Hundertmänner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der ur- sprünglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war hervorgegangen gleich dem spartanischen Ephorat aus der aristokratischen Opposition gegen die monar- chischen Elemente derselben. Bei der Käuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der höchsten Behörde drohte eine einzige durch Reichthum und Kriegsruhm vor allen her- vorleuchtende Familie, das Geschlecht des Barkas die Verwal- tung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Händen zu vereinigen; dies führte ungefähr um die Zeit der Decemvirn zu einer Aenderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen Behörde. Wir wissen, daſs die Bekleidung der Quästur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, daſs aber dennoch der Candidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergänzende Fünfmänner- schaften; ferner daſs die Richter, obwohl sie rechtlich ver- muthlich von Jahr zu Jahr gewählt wurden, doch thatsächlich längere Zeit, ja lebenslänglich im Amt blieben, weſshalb sie bei den Römern und Griechen gewöhnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das Einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behörde als einer auf aristokratischer Coopta- tion beruhenden Vertretung der Oligarchie; wovon eine verein- zelte, aber charakteristische Spur ist, daſs in Karthago neben dem gemeinen Bürger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunächst waren sie bestimmt zu fungiren als politische Geschworne, die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommen- den Falls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Nieder- legung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gut- dünken, oft in rücksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode bestraften. Natürlich ging hier wie überall, wo die Ver- waltungsbehörden unter Controle einer andern Körperschaft gestellt werden, der Schwerpunct der Macht über von der controlirten auf die controlirende Behörde; und es begreift sich leicht, theils daſs die letztere allenthalben in die Verwal- tung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Röm. Gesch. I. 21

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/335>, abgerufen am 22.11.2024.