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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KARTHAGO.
die die regierende Partei allen ehrgeizigen oder bedrängten
Vornehmen zu bieten im Stande war. -- In finanzieller Hin-
sicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter allen Staa-
ten des Alterthums den ersten Platz. Zur Zeit des pelopon-
nesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem
Zeugniss des ersten Geschichtsschreibers der Griechen allen
hellenischen Staaten finanziell überlegen und werden ihre
Einkünfte denen des Grosskönigs verglichen; Polybios nennt
sie die reichste Stadt der Welt. Von der Intelligenz der kar-
thagischen Landwirthschaft, welche Feldherren und Staats-
männer dort wie später in Rom wissenschaftlich zu betreiben
und zu lehren nicht verschmähten, legt ein Zeugniss ab, dass
der römische Senat in späterer Zeit den Italikern den puni-
schen Feldbau officiell als Muster empfahl; und nicht minder
sind die Römer die Schüler der Phoenikier geworden in der
Ausbeutung der Unterthanen, durch welche die Grundrente ,des
besten Theils von Europa' und der reichen zum Theil, zum
Beispiel in der Byzakitis und an der kleinen Syrte, hun-
dertfältige Frucht tragenden nordafricanischen Landschaft für
die Karthager gewonnen ward. Der Handel, der in Karthago
von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund
des Handels aufblühende Rhederei und Fabrication brachte
schon im natürlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansied-
lern jährlich goldene Ernten, und es ist früher schon bezeich-
net worden, wie man durch ausgedehnte und immer gestei-
gerte Monopolisirung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch
aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeers und
den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten
mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu concentriren
verstand. Wenn es schlechterdings unmöglich ist von der
Capitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem
London des Alterthums zusammenströmte, so kann wenigstens
von den öffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Be-
griff geben, dass trotz des kostspieligen Systems, nach dem Kar-
thago sein Kriegswesen organisirt hatte, und trotz der sorg- und
treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die Beisteuern
der Unterthanen und die Zollgefälle die Ausgaben vollständig
deckten und von den Bürgern directe Steuern nicht erhoben
wurden; ja dass noch nach dem zweiten punischen Kriege,
als die Macht des Staates schon gebrochen war, die laufenden
Ausgaben und eine jährliche Kriegssteuer von 300000 Thalern
ohne Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen gere-

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KARTHAGO.
die die regierende Partei allen ehrgeizigen oder bedrängten
Vornehmen zu bieten im Stande war. — In finanzieller Hin-
sicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter allen Staa-
ten des Alterthums den ersten Platz. Zur Zeit des pelopon-
nesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem
Zeugniſs des ersten Geschichtsschreibers der Griechen allen
hellenischen Staaten finanziell überlegen und werden ihre
Einkünfte denen des Groſskönigs verglichen; Polybios nennt
sie die reichste Stadt der Welt. Von der Intelligenz der kar-
thagischen Landwirthschaft, welche Feldherren und Staats-
männer dort wie später in Rom wissenschaftlich zu betreiben
und zu lehren nicht verschmähten, legt ein Zeugniſs ab, daſs
der römische Senat in späterer Zeit den Italikern den puni-
schen Feldbau officiell als Muster empfahl; und nicht minder
sind die Römer die Schüler der Phoenikier geworden in der
Ausbeutung der Unterthanen, durch welche die Grundrente ‚des
besten Theils von Europa‘ und der reichen zum Theil, zum
Beispiel in der Byzakitis und an der kleinen Syrte, hun-
dertfältige Frucht tragenden nordafricanischen Landschaft für
die Karthager gewonnen ward. Der Handel, der in Karthago
von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund
des Handels aufblühende Rhederei und Fabrication brachte
schon im natürlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansied-
lern jährlich goldene Ernten, und es ist früher schon bezeich-
net worden, wie man durch ausgedehnte und immer gestei-
gerte Monopolisirung nicht bloſs aus dem Aus-, sondern auch
aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeers und
den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten
mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu concentriren
verstand. Wenn es schlechterdings unmöglich ist von der
Capitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem
London des Alterthums zusammenströmte, so kann wenigstens
von den öffentlichen Einnahmequellen einigermaſsen einen Be-
griff geben, daſs trotz des kostspieligen Systems, nach dem Kar-
thago sein Kriegswesen organisirt hatte, und trotz der sorg- und
treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die Beisteuern
der Unterthanen und die Zollgefälle die Ausgaben vollständig
deckten und von den Bürgern directe Steuern nicht erhoben
wurden; ja daſs noch nach dem zweiten punischen Kriege,
als die Macht des Staates schon gebrochen war, die laufenden
Ausgaben und eine jährliche Kriegssteuer von 300000 Thalern
ohne Steuerausschreibung bloſs durch eine einigermaſsen gere-

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[323/0337] KARTHAGO. die die regierende Partei allen ehrgeizigen oder bedrängten Vornehmen zu bieten im Stande war. — In finanzieller Hin- sicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter allen Staa- ten des Alterthums den ersten Platz. Zur Zeit des pelopon- nesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugniſs des ersten Geschichtsschreibers der Griechen allen hellenischen Staaten finanziell überlegen und werden ihre Einkünfte denen des Groſskönigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der Intelligenz der kar- thagischen Landwirthschaft, welche Feldherren und Staats- männer dort wie später in Rom wissenschaftlich zu betreiben und zu lehren nicht verschmähten, legt ein Zeugniſs ab, daſs der römische Senat in späterer Zeit den Italikern den puni- schen Feldbau officiell als Muster empfahl; und nicht minder sind die Römer die Schüler der Phoenikier geworden in der Ausbeutung der Unterthanen, durch welche die Grundrente ‚des besten Theils von Europa‘ und der reichen zum Theil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der kleinen Syrte, hun- dertfältige Frucht tragenden nordafricanischen Landschaft für die Karthager gewonnen ward. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufblühende Rhederei und Fabrication brachte schon im natürlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansied- lern jährlich goldene Ernten, und es ist früher schon bezeich- net worden, wie man durch ausgedehnte und immer gestei- gerte Monopolisirung nicht bloſs aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeers und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu concentriren verstand. Wenn es schlechterdings unmöglich ist von der Capitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des Alterthums zusammenströmte, so kann wenigstens von den öffentlichen Einnahmequellen einigermaſsen einen Be- griff geben, daſs trotz des kostspieligen Systems, nach dem Kar- thago sein Kriegswesen organisirt hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die Beisteuern der Unterthanen und die Zollgefälle die Ausgaben vollständig deckten und von den Bürgern directe Steuern nicht erhoben wurden; ja daſs noch nach dem zweiten punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und eine jährliche Kriegssteuer von 300000 Thalern ohne Steuerausschreibung bloſs durch eine einigermaſsen gere- 21*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/337>, abgerufen am 22.11.2024.