Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL II. stellte: nicht bloss Abtretung von Sicilien und Sardinien, son-dern Eingehung eines ungleichen Bündnisses mit Rom, wel- ches die Karthager verpflichtet hätte auf eine eigene Kriegs- marine zu verzichten und zu den römischen Kriegen Schiffe zu stellen -- diese Bedingungen, welche Karthago Neapel und Tarent gleichgestellt haben würden, konnten nicht ange- nommen werden, so lange noch ein punisches Heer im Felde, eine punische Flotte auf der See, und die Hauptstadt uner- schüttert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie sie auch in der tiefsten Versunkenheit in den orientalischen Völkern bei dem Herannahen äusserster Gefahren abermals grossartig auf- zuflammen pflegt, diese Energie der höchsten Noth trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sicilien den kleinen Krieg gegen die Römer so erfolgreich geführt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der sicilischen Truppen, die für die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern gab; die Verbindungen und das Gold der Karthager führten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter schaarenweise zu und ebenso zahlreiche griechische Söldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organi- sirungstalent und strategische Einsicht seinen neuen Dienst- herren von grossem Nutzen war *. Während also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der römische Feldherr unthätig bei Tunes. Mochte er nicht ah- nen, welcher Sturm sich über seinem Haupt zusammenzog oder mochte militärisches Ehrgefühl ihm zu thun verbieten, was seine Lage erheischte -- statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht im Stande war auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute stehen vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt, sogar seine Rückzugslinie zu dem Schifflager zu sichern versäumend, und versäumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch * Der Bericht, dass zunächst Xanthippos militärisches Talent Karthago
gerettet haben soll, ist wahrscheinlich gefärbt; die karthagischen Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben um zu lernen, dass die leichte africanische Cavallerie zweckmässiger auf der Ebene verwandt werde als in Hügeln und Wäldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen Wachstubengespräche, ist selbst Polybios nicht frei. -- Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht in ägyptische Dienste. DRITTES BUCH. KAPITEL II. stellte: nicht bloſs Abtretung von Sicilien und Sardinien, son-dern Eingehung eines ungleichen Bündnisses mit Rom, wel- ches die Karthager verpflichtet hätte auf eine eigene Kriegs- marine zu verzichten und zu den römischen Kriegen Schiffe zu stellen — diese Bedingungen, welche Karthago Neapel und Tarent gleichgestellt haben würden, konnten nicht ange- nommen werden, so lange noch ein punisches Heer im Felde, eine punische Flotte auf der See, und die Hauptstadt uner- schüttert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie sie auch in der tiefsten Versunkenheit in den orientalischen Völkern bei dem Herannahen äuſserster Gefahren abermals groſsartig auf- zuflammen pflegt, diese Energie der höchsten Noth trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sicilien den kleinen Krieg gegen die Römer so erfolgreich geführt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der sicilischen Truppen, die für die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern gab; die Verbindungen und das Gold der Karthager führten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter schaarenweise zu und ebenso zahlreiche griechische Söldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organi- sirungstalent und strategische Einsicht seinen neuen Dienst- herren von groſsem Nutzen war *. Während also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der römische Feldherr unthätig bei Tunes. Mochte er nicht ah- nen, welcher Sturm sich über seinem Haupt zusammenzog oder mochte militärisches Ehrgefühl ihm zu thun verbieten, was seine Lage erheischte — statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht im Stande war auch nur zu versuchen, und sich einzuschlieſsen in die Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute stehen vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt, sogar seine Rückzugslinie zu dem Schifflager zu sichern versäumend, und versäumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch * Der Bericht, daſs zunächst Xanthippos militärisches Talent Karthago
gerettet haben soll, ist wahrscheinlich gefärbt; die karthagischen Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben um zu lernen, daſs die leichte africanische Cavallerie zweckmäſsiger auf der Ebene verwandt werde als in Hügeln und Wäldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen Wachstubengespräche, ist selbst Polybios nicht frei. — Daſs Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht in ägyptische Dienste. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0360" n="346"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/> stellte: nicht bloſs Abtretung von Sicilien und Sardinien, son-<lb/> dern Eingehung eines ungleichen Bündnisses mit Rom, wel-<lb/> ches die Karthager verpflichtet hätte auf eine eigene Kriegs-<lb/> marine zu verzichten und zu den römischen Kriegen Schiffe<lb/> zu stellen — diese Bedingungen, welche Karthago Neapel<lb/> und Tarent gleichgestellt haben würden, konnten nicht ange-<lb/> nommen werden, so lange noch ein punisches Heer im Felde,<lb/> eine punische Flotte auf der See, und die Hauptstadt uner-<lb/> schüttert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie sie auch in<lb/> der tiefsten Versunkenheit in den orientalischen Völkern bei<lb/> dem Herannahen äuſserster Gefahren abermals groſsartig auf-<lb/> zuflammen pflegt, diese Energie der höchsten Noth trieb die<lb/> Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten<lb/> nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sicilien den<lb/> kleinen Krieg gegen die Römer so erfolgreich geführt hatte,<lb/> erschien in Libyen mit der Elite der sicilischen Truppen, die<lb/> für die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern<lb/> gab; die Verbindungen und das Gold der Karthager führten<lb/> ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter schaarenweise<lb/> zu und ebenso zahlreiche griechische Söldner, darunter den<lb/> gefeierten Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organi-<lb/> sirungstalent und strategische Einsicht seinen neuen Dienst-<lb/> herren von groſsem Nutzen war <note place="foot" n="*">Der Bericht, daſs zunächst Xanthippos militärisches Talent Karthago<lb/> gerettet haben soll, ist wahrscheinlich gefärbt; die karthagischen Offiziere<lb/> werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben um zu lernen, daſs<lb/> die leichte africanische Cavallerie zweckmäſsiger auf der Ebene verwandt<lb/> werde als in Hügeln und Wäldern. Von solchen Wendungen, dem Echo<lb/> der griechischen Wachstubengespräche, ist selbst Polybios nicht frei. —<lb/> Daſs Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet worden sei,<lb/> ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht in ägyptische Dienste.</note>. Während also im Lauf des<lb/> Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der<lb/> römische Feldherr unthätig bei Tunes. Mochte er nicht ah-<lb/> nen, welcher Sturm sich über seinem Haupt zusammenzog<lb/> oder mochte militärisches Ehrgefühl ihm zu thun verbieten,<lb/> was seine Lage erheischte — statt zu verzichten auf eine<lb/> Belagerung, die er doch nicht im Stande war auch nur zu<lb/> versuchen, und sich einzuschlieſsen in die Burg von Clupea,<lb/> blieb er mit einer Handvoll Leute stehen vor den Mauern der<lb/> feindlichen Hauptstadt, sogar seine Rückzugslinie zu dem<lb/> Schifflager zu sichern versäumend, und versäumend sich zu<lb/> schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [346/0360]
DRITTES BUCH. KAPITEL II.
stellte: nicht bloſs Abtretung von Sicilien und Sardinien, son-
dern Eingehung eines ungleichen Bündnisses mit Rom, wel-
ches die Karthager verpflichtet hätte auf eine eigene Kriegs-
marine zu verzichten und zu den römischen Kriegen Schiffe
zu stellen — diese Bedingungen, welche Karthago Neapel
und Tarent gleichgestellt haben würden, konnten nicht ange-
nommen werden, so lange noch ein punisches Heer im Felde,
eine punische Flotte auf der See, und die Hauptstadt uner-
schüttert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie sie auch in
der tiefsten Versunkenheit in den orientalischen Völkern bei
dem Herannahen äuſserster Gefahren abermals groſsartig auf-
zuflammen pflegt, diese Energie der höchsten Noth trieb die
Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten
nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sicilien den
kleinen Krieg gegen die Römer so erfolgreich geführt hatte,
erschien in Libyen mit der Elite der sicilischen Truppen, die
für die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern
gab; die Verbindungen und das Gold der Karthager führten
ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter schaarenweise
zu und ebenso zahlreiche griechische Söldner, darunter den
gefeierten Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organi-
sirungstalent und strategische Einsicht seinen neuen Dienst-
herren von groſsem Nutzen war *. Während also im Lauf des
Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der
römische Feldherr unthätig bei Tunes. Mochte er nicht ah-
nen, welcher Sturm sich über seinem Haupt zusammenzog
oder mochte militärisches Ehrgefühl ihm zu thun verbieten,
was seine Lage erheischte — statt zu verzichten auf eine
Belagerung, die er doch nicht im Stande war auch nur zu
versuchen, und sich einzuschlieſsen in die Burg von Clupea,
blieb er mit einer Handvoll Leute stehen vor den Mauern der
feindlichen Hauptstadt, sogar seine Rückzugslinie zu dem
Schifflager zu sichern versäumend, und versäumend sich zu
schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch
* Der Bericht, daſs zunächst Xanthippos militärisches Talent Karthago
gerettet haben soll, ist wahrscheinlich gefärbt; die karthagischen Offiziere
werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben um zu lernen, daſs
die leichte africanische Cavallerie zweckmäſsiger auf der Ebene verwandt
werde als in Hügeln und Wäldern. Von solchen Wendungen, dem Echo
der griechischen Wachstubengespräche, ist selbst Polybios nicht frei. —
Daſs Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet worden sei,
ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht in ägyptische Dienste.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |