hat er in den einmal festgestellten Grenzen mehrere Jahrhun- derte sich unverrückt behauptet. Indess die römische Herrschaft beschränkte sich auf diese Grenzen nicht. Sie wurden zuerst überschritten, als die Republik alte und neue Unbill zu rächen die keltischen Senonen politisch vernichtete (471) und in deren ehemaligem Gebiet die Grenzfestungen Sena (um 471) und Ariminum (486) angelegt, die hie und da etwa zurück- bleibenden keltischen Haufen nicht in die italische Eidge- nossenschaft aufgenommen, sondern als zinspflichtige Unter- thanen behandelt wurden. Jetzt, wo die Africaner besiegt und zurückgedrängt waren, machte eine neue umfassendere politische Idee sich geltend. Italien, wie es damals ver- standen ward, war und blieb die herrschende Gemeinschaft; allein die natürliche Beschaffenheit der Halbinsel erforderte es, dass man zu Lande die Grenze bis an die Alpen vor- schob und beide Meere im Westen und Osten sich unter- warf, und dies ins Werk zu setzen fand die Regierung der römischen Gemeinde schnell ihre ganze Thatkraft und Sicher- heit wieder.
Zunächst in der Westsee, die für Italien bei weitem wichtiger ist als das adriatische Meer, war die wichtigste Stel- lung gewonnen durch den so eben beendigten Krieg mit den Africanern, die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sici- lien. Von den drei Mächten, die bisher in den Besitz der Insel sich getheilt hatten, den Mamertinern, Syrakusanern und Karthagern war die erste schon zu Anfang des Krieges als Glied der italischen Nation anerkannt worden und hatte mit dem Verlust ihrer politischen Selbstständigkeit sich die communale Selbstverwaltung, die Freiheit vom Tribut und die Theilnahme an den gemeinen Rechten der italischen Eid- genossenschaft erkauft. Syrakus behielt seine bisherige Stel- lung als unabhängige Mittelmacht, die mit den übrigen unab- hängigen Staaten in selbstständige Beziehungen zu treten befugt war; eine Gebietserweiterung ward ihm nicht zu Theil. Hieron mochte zufrieden sein, dass der Krieg der beiden Grossmächte nicht mit dem Sturz der einen oder der andern geendigt hatte, und wir finden ihn darauf bedacht, so viel seine Mittel und die Klugheit es ihm erlaubten, den Kartha- gern in ihren gefährlichen Krisen nach dem Friedensschluss mit Rom beizustehen, namentlich durch bedeutende Kornsen- dungen. Was endlich das bisher karthagische Gebiet, das heisst den bei weitem grössten Theil der Insel anlangt, so
DRITTES BUCH. KAPITEL III.
hat er in den einmal festgestellten Grenzen mehrere Jahrhun- derte sich unverrückt behauptet. Indeſs die römische Herrschaft beschränkte sich auf diese Grenzen nicht. Sie wurden zuerst überschritten, als die Republik alte und neue Unbill zu rächen die keltischen Senonen politisch vernichtete (471) und in deren ehemaligem Gebiet die Grenzfestungen Sena (um 471) und Ariminum (486) angelegt, die hie und da etwa zurück- bleibenden keltischen Haufen nicht in die italische Eidge- nossenschaft aufgenommen, sondern als zinspflichtige Unter- thanen behandelt wurden. Jetzt, wo die Africaner besiegt und zurückgedrängt waren, machte eine neue umfassendere politische Idee sich geltend. Italien, wie es damals ver- standen ward, war und blieb die herrschende Gemeinschaft; allein die natürliche Beschaffenheit der Halbinsel erforderte es, daſs man zu Lande die Grenze bis an die Alpen vor- schob und beide Meere im Westen und Osten sich unter- warf, und dies ins Werk zu setzen fand die Regierung der römischen Gemeinde schnell ihre ganze Thatkraft und Sicher- heit wieder.
Zunächst in der Westsee, die für Italien bei weitem wichtiger ist als das adriatische Meer, war die wichtigste Stel- lung gewonnen durch den so eben beendigten Krieg mit den Africanern, die groſse fruchtbare und hafenreiche Insel Sici- lien. Von den drei Mächten, die bisher in den Besitz der Insel sich getheilt hatten, den Mamertinern, Syrakusanern und Karthagern war die erste schon zu Anfang des Krieges als Glied der italischen Nation anerkannt worden und hatte mit dem Verlust ihrer politischen Selbstständigkeit sich die communale Selbstverwaltung, die Freiheit vom Tribut und die Theilnahme an den gemeinen Rechten der italischen Eid- genossenschaft erkauft. Syrakus behielt seine bisherige Stel- lung als unabhängige Mittelmacht, die mit den übrigen unab- hängigen Staaten in selbstständige Beziehungen zu treten befugt war; eine Gebietserweiterung ward ihm nicht zu Theil. Hieron mochte zufrieden sein, daſs der Krieg der beiden Groſsmächte nicht mit dem Sturz der einen oder der andern geendigt hatte, und wir finden ihn darauf bedacht, so viel seine Mittel und die Klugheit es ihm erlaubten, den Kartha- gern in ihren gefährlichen Krisen nach dem Friedensschluss mit Rom beizustehen, namentlich durch bedeutende Kornsen- dungen. Was endlich das bisher karthagische Gebiet, das heiſst den bei weitem gröſsten Theil der Insel anlangt, so
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0378"n="364"/><fwplace="top"type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/>
hat er in den einmal festgestellten Grenzen mehrere Jahrhun-<lb/>
derte sich unverrückt behauptet. Indeſs die römische Herrschaft<lb/>
beschränkte sich auf diese Grenzen nicht. Sie wurden zuerst<lb/>
überschritten, als die Republik alte und neue Unbill zu rächen<lb/>
die keltischen Senonen politisch vernichtete (471) und in<lb/>
deren ehemaligem Gebiet die Grenzfestungen Sena (um 471)<lb/>
und Ariminum (486) angelegt, die hie und da etwa zurück-<lb/>
bleibenden keltischen Haufen nicht in die italische Eidge-<lb/>
nossenschaft aufgenommen, sondern als zinspflichtige Unter-<lb/>
thanen behandelt wurden. Jetzt, wo die Africaner besiegt<lb/>
und zurückgedrängt waren, machte eine neue umfassendere<lb/>
politische Idee sich geltend. Italien, wie es damals ver-<lb/>
standen ward, war und blieb die herrschende Gemeinschaft;<lb/>
allein die natürliche Beschaffenheit der Halbinsel erforderte<lb/>
es, daſs man zu Lande die Grenze bis an die Alpen vor-<lb/>
schob und beide Meere im Westen und Osten sich unter-<lb/>
warf, und dies ins Werk zu setzen fand die Regierung der<lb/>
römischen Gemeinde schnell ihre ganze Thatkraft und Sicher-<lb/>
heit wieder.</p><lb/><p>Zunächst in der Westsee, die für Italien bei weitem<lb/>
wichtiger ist als das adriatische Meer, war die wichtigste Stel-<lb/>
lung gewonnen durch den so eben beendigten Krieg mit den<lb/>
Africanern, die groſse fruchtbare und hafenreiche Insel Sici-<lb/>
lien. Von den drei Mächten, die bisher in den Besitz der<lb/>
Insel sich getheilt hatten, den Mamertinern, Syrakusanern<lb/>
und Karthagern war die erste schon zu Anfang des Krieges<lb/>
als Glied der italischen Nation anerkannt worden und hatte<lb/>
mit dem Verlust ihrer politischen Selbstständigkeit sich die<lb/>
communale Selbstverwaltung, die Freiheit vom Tribut und<lb/>
die Theilnahme an den gemeinen Rechten der italischen Eid-<lb/>
genossenschaft erkauft. Syrakus behielt seine bisherige Stel-<lb/>
lung als unabhängige Mittelmacht, die mit den übrigen unab-<lb/>
hängigen Staaten in selbstständige Beziehungen zu treten<lb/>
befugt war; eine Gebietserweiterung ward ihm nicht zu Theil.<lb/>
Hieron mochte zufrieden sein, daſs der Krieg der beiden<lb/>
Groſsmächte nicht mit dem Sturz der einen oder der andern<lb/>
geendigt hatte, und wir finden ihn darauf bedacht, so viel<lb/>
seine Mittel und die Klugheit es ihm erlaubten, den Kartha-<lb/>
gern in ihren gefährlichen Krisen nach dem Friedensschluss<lb/>
mit Rom beizustehen, namentlich durch bedeutende Kornsen-<lb/>
dungen. Was endlich das bisher karthagische Gebiet, das<lb/>
heiſst den bei weitem gröſsten Theil der Insel anlangt, so<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[364/0378]
DRITTES BUCH. KAPITEL III.
hat er in den einmal festgestellten Grenzen mehrere Jahrhun-
derte sich unverrückt behauptet. Indeſs die römische Herrschaft
beschränkte sich auf diese Grenzen nicht. Sie wurden zuerst
überschritten, als die Republik alte und neue Unbill zu rächen
die keltischen Senonen politisch vernichtete (471) und in
deren ehemaligem Gebiet die Grenzfestungen Sena (um 471)
und Ariminum (486) angelegt, die hie und da etwa zurück-
bleibenden keltischen Haufen nicht in die italische Eidge-
nossenschaft aufgenommen, sondern als zinspflichtige Unter-
thanen behandelt wurden. Jetzt, wo die Africaner besiegt
und zurückgedrängt waren, machte eine neue umfassendere
politische Idee sich geltend. Italien, wie es damals ver-
standen ward, war und blieb die herrschende Gemeinschaft;
allein die natürliche Beschaffenheit der Halbinsel erforderte
es, daſs man zu Lande die Grenze bis an die Alpen vor-
schob und beide Meere im Westen und Osten sich unter-
warf, und dies ins Werk zu setzen fand die Regierung der
römischen Gemeinde schnell ihre ganze Thatkraft und Sicher-
heit wieder.
Zunächst in der Westsee, die für Italien bei weitem
wichtiger ist als das adriatische Meer, war die wichtigste Stel-
lung gewonnen durch den so eben beendigten Krieg mit den
Africanern, die groſse fruchtbare und hafenreiche Insel Sici-
lien. Von den drei Mächten, die bisher in den Besitz der
Insel sich getheilt hatten, den Mamertinern, Syrakusanern
und Karthagern war die erste schon zu Anfang des Krieges
als Glied der italischen Nation anerkannt worden und hatte
mit dem Verlust ihrer politischen Selbstständigkeit sich die
communale Selbstverwaltung, die Freiheit vom Tribut und
die Theilnahme an den gemeinen Rechten der italischen Eid-
genossenschaft erkauft. Syrakus behielt seine bisherige Stel-
lung als unabhängige Mittelmacht, die mit den übrigen unab-
hängigen Staaten in selbstständige Beziehungen zu treten
befugt war; eine Gebietserweiterung ward ihm nicht zu Theil.
Hieron mochte zufrieden sein, daſs der Krieg der beiden
Groſsmächte nicht mit dem Sturz der einen oder der andern
geendigt hatte, und wir finden ihn darauf bedacht, so viel
seine Mittel und die Klugheit es ihm erlaubten, den Kartha-
gern in ihren gefährlichen Krisen nach dem Friedensschluss
mit Rom beizustehen, namentlich durch bedeutende Kornsen-
dungen. Was endlich das bisher karthagische Gebiet, das
heiſst den bei weitem gröſsten Theil der Insel anlangt, so
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/378>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.