Der Vertrag mit Rom von 513 gab den Karthagern Frieden, aber um einen theuren Preis. Dass die Tribute des grössten Theils von Sicilien jetzt in den Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste Verlust; viel schlimmer war es, dass man nicht bloss die Hoff- nung hatte aufgeben müssen, deren Erfüllung so nahe ge- schienen, die sämmtlichen Seestrassen aus dem östlichen ins westliche Mittelmeer zu monopolisiren, sondern dass das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher ausschliesslich beherrschte südwestliche Becken des Mittelmeers seit Siciliens Verlust für alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollständig unabhängig gewor- den war. Indess die ruhigen sidonischen Männer hätten auch darüber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon ähnliche Schläge erfahren; man hatte mit den Massalioten, den Etruskern, den sicilischen Griechen theilen müssen, was man früher allein besessen; das was geblieben war, Africa, Spanien, die Pforten des atlantischen Meeres, reichte aus um mächtig und wohlgemuth zu leben. Aber freilich, wer bürgte dafür, dass auch nur dies blieb? -- Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das was er forderte zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des
KAPITEL IV.
Hamilkar und Hannibal.
Der Vertrag mit Rom von 513 gab den Karthagern Frieden, aber um einen theuren Preis. Daſs die Tribute des gröſsten Theils von Sicilien jetzt in den Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste Verlust; viel schlimmer war es, daſs man nicht bloſs die Hoff- nung hatte aufgeben müssen, deren Erfüllung so nahe ge- schienen, die sämmtlichen Seestraſsen aus dem östlichen ins westliche Mittelmeer zu monopolisiren, sondern daſs das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher ausschlieſslich beherrschte südwestliche Becken des Mittelmeers seit Siciliens Verlust für alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollständig unabhängig gewor- den war. Indeſs die ruhigen sidonischen Männer hätten auch darüber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon ähnliche Schläge erfahren; man hatte mit den Massalioten, den Etruskern, den sicilischen Griechen theilen müssen, was man früher allein besessen; das was geblieben war, Africa, Spanien, die Pforten des atlantischen Meeres, reichte aus um mächtig und wohlgemuth zu leben. Aber freilich, wer bürgte dafür, daſs auch nur dies blieb? — Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das was er forderte zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so groſsem Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des
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KAPITEL IV.
Hamilkar und Hannibal.
Der Vertrag mit Rom von 513 gab den Karthagern
Frieden, aber um einen theuren Preis. Daſs die Tribute des
gröſsten Theils von Sicilien jetzt in den Schatz des Feindes
flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste
Verlust; viel schlimmer war es, daſs man nicht bloſs die Hoff-
nung hatte aufgeben müssen, deren Erfüllung so nahe ge-
schienen, die sämmtlichen Seestraſsen aus dem östlichen ins
westliche Mittelmeer zu monopolisiren, sondern daſs das ganze
handelspolitische System gesprengt, das bisher ausschlieſslich
beherrschte südwestliche Becken des Mittelmeers seit Siciliens
Verlust für alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens
Handel von dem phoenikischen vollständig unabhängig gewor-
den war. Indeſs die ruhigen sidonischen Männer hätten auch
darüber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon
ähnliche Schläge erfahren; man hatte mit den Massalioten,
den Etruskern, den sicilischen Griechen theilen müssen, was
man früher allein besessen; das was geblieben war, Africa,
Spanien, die Pforten des atlantischen Meeres, reichte aus um
mächtig und wohlgemuth zu leben. Aber freilich, wer bürgte
dafür, daſs auch nur dies blieb? — Was Regulus gefordert
und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das was er forderte zu
erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und
wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so
groſsem Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [379]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/393>, abgerufen am 25.11.2024.
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