Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ERSTES BUCH. KAPITEL III. lodernde Feuer; woraus sich erklärt, wesshalb der römischeLandmann beständig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Heerd nicht erlöschen liess. Im Uebri- gen ist der Boden dem Ackerbau günstig; er ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Düngung er- tragsfähig, ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen giebt durchschnittlich etwa das fünfte Korn *. An gutem Wasser ist kein Ueberfluss; um so höher und hei- liger hielt die Bevölkerung jede frische Quelle. Die natürlichen Festen der latinischen Ebene sind theils die Höhen von Tibur und Praeneste auf den letzten Ausläufern der Sabinerberge, theils und besonders die Burg Latiums, das Albanergebirg, das die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die ge- sichertste Lage den Ansiedlern darbot. Dorthin führen auch die ältesten geschichtlichen Spuren. Hier lag ausser andern uralten Ansiedlungen, wie Tusculum und Aricia, vor allem Alba selbst, die Metropole von ganz Latium, dessen sämmt- liche Städte als seine Colonien gelten wie alle Latiner als albanischen Heimathrechts. In seiner nächsten Umgegend, obwohl nicht in der Stadt selbst, sind die altnationalen Bun- desstätten Latiums, die Dingstätte am Quell der Ferentina bei Marino und der Tempel des ,latinischen Gottes' (Iupiter La- tiaris) auf dem Monte Cavo, wo alljährlich an einem vom Vorstand festgesetzten Tage das latinische Bundesfest gefeiert ward. Dort begegnen wir einem der grossartigsten Bauwerke, das Italien aufzuweisen hat, dem gewaltigen in den harten * Ein französischer Statistiker, Dureau de la Malle, vergleicht mit der
römischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberfläche aus decom- ponirter Lava und Asche, den Resten ausgebrannter Vulcane. Die Bevölke- rung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der stärksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigenthum ungemein zerstückelt. Fast der ganze Ackerbau wird von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafür der leichte Pflug ein, der mit zwei Kühen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackersmanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestellen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins für einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jährlich. Würde dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer vertheilt werden; würden Verwalter- und Taglöhnerwirthschaft an die Stelle des Bewirthschaf- tens durch kleine Grundeigenthümer treten, so würde in hundert Jahren ohne Zweifel die Limagne öde, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma. ERSTES BUCH. KAPITEL III. lodernde Feuer; woraus sich erklärt, weſshalb der römischeLandmann beständig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Heerd nicht erlöschen lieſs. Im Uebri- gen ist der Boden dem Ackerbau günstig; er ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Düngung er- tragsfähig, ohne nach italienischem Maſsstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen giebt durchschnittlich etwa das fünfte Korn *. An gutem Wasser ist kein Ueberfluſs; um so höher und hei- liger hielt die Bevölkerung jede frische Quelle. Die natürlichen Festen der latinischen Ebene sind theils die Höhen von Tibur und Praeneste auf den letzten Ausläufern der Sabinerberge, theils und besonders die Burg Latiums, das Albanergebirg, das die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die ge- sichertste Lage den Ansiedlern darbot. Dorthin führen auch die ältesten geschichtlichen Spuren. Hier lag auſser andern uralten Ansiedlungen, wie Tusculum und Aricia, vor allem Alba selbst, die Metropole von ganz Latium, dessen sämmt- liche Städte als seine Colonien gelten wie alle Latiner als albanischen Heimathrechts. In seiner nächsten Umgegend, obwohl nicht in der Stadt selbst, sind die altnationalen Bun- desstätten Latiums, die Dingstätte am Quell der Ferentina bei Marino und der Tempel des ‚latinischen Gottes‘ (Iupiter La- tiaris) auf dem Monte Cavo, wo alljährlich an einem vom Vorstand festgesetzten Tage das latinische Bundesfest gefeiert ward. Dort begegnen wir einem der groſsartigsten Bauwerke, das Italien aufzuweisen hat, dem gewaltigen in den harten * Ein französischer Statistiker, Dureau de la Malle, vergleicht mit der
römischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberfläche aus decom- ponirter Lava und Asche, den Resten ausgebrannter Vulcane. Die Bevölke- rung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der stärksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigenthum ungemein zerstückelt. Fast der ganze Ackerbau wird von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafür der leichte Pflug ein, der mit zwei Kühen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackersmanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestellen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins für einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jährlich. Würde dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben groſse Grundbesitzer vertheilt werden; würden Verwalter- und Taglöhnerwirthschaft an die Stelle des Bewirthschaf- tens durch kleine Grundeigenthümer treten, so würde in hundert Jahren ohne Zweifel die Limagne öde, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0040" n="26"/><fw place="top" type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/> lodernde Feuer; woraus sich erklärt, weſshalb der römische<lb/> Landmann beständig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und<lb/> das Feuer auf seinem Heerd nicht erlöschen lieſs. Im Uebri-<lb/> gen ist der Boden dem Ackerbau günstig; er ist leicht mit<lb/> Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Düngung er-<lb/> tragsfähig, ohne nach italienischem Maſsstab auffallend ergiebig<lb/> zu sein; der Weizen giebt durchschnittlich etwa das fünfte Korn <note place="foot" n="*">Ein französischer Statistiker, Dureau de la Malle, vergleicht mit der<lb/> römischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite sehr<lb/> durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberfläche aus decom-<lb/> ponirter Lava und Asche, den Resten ausgebrannter Vulcane. Die Bevölke-<lb/> rung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der stärksten,<lb/> die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigenthum ungemein<lb/> zerstückelt. Fast der ganze Ackerbau wird von Menschenhand beschafft, mit<lb/> Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafür der leichte Pflug<lb/> ein, der mit zwei Kühen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle<lb/> der einen sich die Frau des Ackersmanns ein. Das Gespann dient zugleich<lb/> um Milch zu gewinnen und das Land zu bestellen. Man erntet zweimal im<lb/> Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins<lb/> für einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jährlich. Würde dasselbe Land<lb/> statt dessen unter sechs oder sieben groſse Grundbesitzer vertheilt werden;<lb/> würden Verwalter- und Taglöhnerwirthschaft an die Stelle des Bewirthschaf-<lb/> tens durch kleine Grundeigenthümer treten, so würde in hundert Jahren<lb/> ohne Zweifel die Limagne öde, verlassen und elend sein wie heutzutage die<lb/> Campagna di Roma.</note>.<lb/> An gutem Wasser ist kein Ueberfluſs; um so höher und hei-<lb/> liger hielt die Bevölkerung jede frische Quelle. Die natürlichen<lb/> Festen der latinischen Ebene sind theils die Höhen von Tibur<lb/> und Praeneste auf den letzten Ausläufern der Sabinerberge,<lb/> theils und besonders die Burg Latiums, das Albanergebirg,<lb/> das die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die ge-<lb/> sichertste Lage den Ansiedlern darbot. Dorthin führen auch<lb/> die ältesten geschichtlichen Spuren. Hier lag auſser andern<lb/> uralten Ansiedlungen, wie Tusculum und Aricia, vor allem<lb/> Alba selbst, die Metropole von ganz Latium, dessen sämmt-<lb/> liche Städte als seine Colonien gelten wie alle Latiner als<lb/> albanischen Heimathrechts. In seiner nächsten Umgegend,<lb/> obwohl nicht in der Stadt selbst, sind die altnationalen Bun-<lb/> desstätten Latiums, die Dingstätte am Quell der Ferentina bei<lb/> Marino und der Tempel des ‚latinischen Gottes‘ (<hi rendition="#i">Iupiter La-<lb/> tiaris</hi>) auf dem Monte Cavo, wo alljährlich an einem vom<lb/> Vorstand festgesetzten Tage das latinische Bundesfest gefeiert<lb/> ward. Dort begegnen wir einem der groſsartigsten Bauwerke,<lb/> das Italien aufzuweisen hat, dem gewaltigen in den harten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0040]
ERSTES BUCH. KAPITEL III.
lodernde Feuer; woraus sich erklärt, weſshalb der römische
Landmann beständig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und
das Feuer auf seinem Heerd nicht erlöschen lieſs. Im Uebri-
gen ist der Boden dem Ackerbau günstig; er ist leicht mit
Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Düngung er-
tragsfähig, ohne nach italienischem Maſsstab auffallend ergiebig
zu sein; der Weizen giebt durchschnittlich etwa das fünfte Korn *.
An gutem Wasser ist kein Ueberfluſs; um so höher und hei-
liger hielt die Bevölkerung jede frische Quelle. Die natürlichen
Festen der latinischen Ebene sind theils die Höhen von Tibur
und Praeneste auf den letzten Ausläufern der Sabinerberge,
theils und besonders die Burg Latiums, das Albanergebirg,
das die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die ge-
sichertste Lage den Ansiedlern darbot. Dorthin führen auch
die ältesten geschichtlichen Spuren. Hier lag auſser andern
uralten Ansiedlungen, wie Tusculum und Aricia, vor allem
Alba selbst, die Metropole von ganz Latium, dessen sämmt-
liche Städte als seine Colonien gelten wie alle Latiner als
albanischen Heimathrechts. In seiner nächsten Umgegend,
obwohl nicht in der Stadt selbst, sind die altnationalen Bun-
desstätten Latiums, die Dingstätte am Quell der Ferentina bei
Marino und der Tempel des ‚latinischen Gottes‘ (Iupiter La-
tiaris) auf dem Monte Cavo, wo alljährlich an einem vom
Vorstand festgesetzten Tage das latinische Bundesfest gefeiert
ward. Dort begegnen wir einem der groſsartigsten Bauwerke,
das Italien aufzuweisen hat, dem gewaltigen in den harten
* Ein französischer Statistiker, Dureau de la Malle, vergleicht mit der
römischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite sehr
durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberfläche aus decom-
ponirter Lava und Asche, den Resten ausgebrannter Vulcane. Die Bevölke-
rung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der stärksten,
die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigenthum ungemein
zerstückelt. Fast der ganze Ackerbau wird von Menschenhand beschafft, mit
Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafür der leichte Pflug
ein, der mit zwei Kühen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle
der einen sich die Frau des Ackersmanns ein. Das Gespann dient zugleich
um Milch zu gewinnen und das Land zu bestellen. Man erntet zweimal im
Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins
für einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jährlich. Würde dasselbe Land
statt dessen unter sechs oder sieben groſse Grundbesitzer vertheilt werden;
würden Verwalter- und Taglöhnerwirthschaft an die Stelle des Bewirthschaf-
tens durch kleine Grundeigenthümer treten, so würde in hundert Jahren
ohne Zweifel die Limagne öde, verlassen und elend sein wie heutzutage die
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