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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
die zur Deckung des Ueberganges der Elephanten zurückgeblie-
bene Nachhut, die feindliche Reiterei bereits seit drei Tagen
abmarschirt und es blieb den Römern nichts übrig als mit
ermüdeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heim-
zukehren und auf die ,feige Flucht' des Puniers zu schelten.
So hatte man zum drittenmal durch reine Lässigkeit die
Bundesgenossen und die sichere Vertheidigungslinie preis-
gegeben und nach diesem ersten Fehler, vom verkehrten Ra-
sten übergehend zu verkehrtem Hasten, ohne irgend eine
Aussicht auf Erfolg nun doch noch gethan, was mit so siche-
rer einige Tage zuvor geschehen konnte, und hatte eben dadurch
das wirkliche Mittel den Fehler wieder gut zu machen aus den
Händen gegeben. Seit Hannibal diesseit der Rhone im Kelten-
lande stand, war es nicht mehr zu hindern, dass er die Alpen
erreichte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin
mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte -- in sieben
Tagen konnte er über Genua den Po erreichen -- und mit sei-
nem Corps die schwachen Abtheilungen im Pothal vereinigte, so
konnte er dort wenigstens dem Feind einen gefährlichen Em-
pfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die kostbare Zeit
mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar dem
sonst tüchtigen Manne sei es der politische Muth, sei es die
militärische Einsicht die Bestimmung seines Corps den Um-
ständen gemäss zu verändern; er sandte das Gros desselben
unter seinem Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst
mit weniger Mannschaft zurück nach Pisa.

Hannibal, der nach dem Uebergang über die Rhone in
einer grossen Heerversammlung den Truppen das Ziel des
Zuges auseinandergesetzt und den aus dem Pothal angelangten
Keltenhäuptling Magilus selbst durch Dolmetsch hatte zu dem
Heere sprechen lassen, setzte ungehindert seinen Marsch nach
den Alpenpässen fort. Welchen derselben er wählte, darüber
konnte weder die Kürze des Weges noch die Gesinnung der
Einwohner zunächst entscheiden, wenn gleich er weder mit
Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte; sondern
den Weg musste er einschlagen, der für seine Bagage, seine
starke Reiterei und die Elephanten practicabel war und in
dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel sei es im Guten
oder mit Gewalt sich verschaffen konnte -- denn obwohl
Hannibal Anstalten getroffen hatte Lebensmittel auf Saum-
thieren sich nachzuführen, so konnten doch bei einem Heere,
das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann

HAMILKAR UND HANNIBAL.
die zur Deckung des Ueberganges der Elephanten zurückgeblie-
bene Nachhut, die feindliche Reiterei bereits seit drei Tagen
abmarschirt und es blieb den Römern nichts übrig als mit
ermüdeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heim-
zukehren und auf die ‚feige Flucht‘ des Puniers zu schelten.
So hatte man zum drittenmal durch reine Lässigkeit die
Bundesgenossen und die sichere Vertheidigungslinie preis-
gegeben und nach diesem ersten Fehler, vom verkehrten Ra-
sten übergehend zu verkehrtem Hasten, ohne irgend eine
Aussicht auf Erfolg nun doch noch gethan, was mit so siche-
rer einige Tage zuvor geschehen konnte, und hatte eben dadurch
das wirkliche Mittel den Fehler wieder gut zu machen aus den
Händen gegeben. Seit Hannibal diesseit der Rhone im Kelten-
lande stand, war es nicht mehr zu hindern, daſs er die Alpen
erreichte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin
mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte — in sieben
Tagen konnte er über Genua den Po erreichen — und mit sei-
nem Corps die schwachen Abtheilungen im Pothal vereinigte, so
konnte er dort wenigstens dem Feind einen gefährlichen Em-
pfang bereiten. Allein nicht bloſs verlor er die kostbare Zeit
mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar dem
sonst tüchtigen Manne sei es der politische Muth, sei es die
militärische Einsicht die Bestimmung seines Corps den Um-
ständen gemäſs zu verändern; er sandte das Gros desselben
unter seinem Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst
mit weniger Mannschaft zurück nach Pisa.

Hannibal, der nach dem Uebergang über die Rhone in
einer groſsen Heerversammlung den Truppen das Ziel des
Zuges auseinandergesetzt und den aus dem Pothal angelangten
Keltenhäuptling Magilus selbst durch Dolmetsch hatte zu dem
Heere sprechen lassen, setzte ungehindert seinen Marsch nach
den Alpenpässen fort. Welchen derselben er wählte, darüber
konnte weder die Kürze des Weges noch die Gesinnung der
Einwohner zunächst entscheiden, wenn gleich er weder mit
Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte; sondern
den Weg muſste er einschlagen, der für seine Bagage, seine
starke Reiterei und die Elephanten practicabel war und in
dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel sei es im Guten
oder mit Gewalt sich verschaffen konnte — denn obwohl
Hannibal Anstalten getroffen hatte Lebensmittel auf Saum-
thieren sich nachzuführen, so konnten doch bei einem Heere,
das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann

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[399/0413] HAMILKAR UND HANNIBAL. die zur Deckung des Ueberganges der Elephanten zurückgeblie- bene Nachhut, die feindliche Reiterei bereits seit drei Tagen abmarschirt und es blieb den Römern nichts übrig als mit ermüdeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heim- zukehren und auf die ‚feige Flucht‘ des Puniers zu schelten. So hatte man zum drittenmal durch reine Lässigkeit die Bundesgenossen und die sichere Vertheidigungslinie preis- gegeben und nach diesem ersten Fehler, vom verkehrten Ra- sten übergehend zu verkehrtem Hasten, ohne irgend eine Aussicht auf Erfolg nun doch noch gethan, was mit so siche- rer einige Tage zuvor geschehen konnte, und hatte eben dadurch das wirkliche Mittel den Fehler wieder gut zu machen aus den Händen gegeben. Seit Hannibal diesseit der Rhone im Kelten- lande stand, war es nicht mehr zu hindern, daſs er die Alpen erreichte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte — in sieben Tagen konnte er über Genua den Po erreichen — und mit sei- nem Corps die schwachen Abtheilungen im Pothal vereinigte, so konnte er dort wenigstens dem Feind einen gefährlichen Em- pfang bereiten. Allein nicht bloſs verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar dem sonst tüchtigen Manne sei es der politische Muth, sei es die militärische Einsicht die Bestimmung seines Corps den Um- ständen gemäſs zu verändern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurück nach Pisa. Hannibal, der nach dem Uebergang über die Rhone in einer groſsen Heerversammlung den Truppen das Ziel des Zuges auseinandergesetzt und den aus dem Pothal angelangten Keltenhäuptling Magilus selbst durch Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpässen fort. Welchen derselben er wählte, darüber konnte weder die Kürze des Weges noch die Gesinnung der Einwohner zunächst entscheiden, wenn gleich er weder mit Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte; sondern den Weg muſste er einschlagen, der für seine Bagage, seine starke Reiterei und die Elephanten practicabel war und in dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel sei es im Guten oder mit Gewalt sich verschaffen konnte — denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte Lebensmittel auf Saum- thieren sich nachzuführen, so konnten doch bei einem Heere, das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/413>, abgerufen am 24.11.2024.