Aeneasfabel, der aber dennoch geschichtlich kaum eine grössere Bedeutung beigelegt werden darf. Wie verhältnissmässig späten Ursprungs selbst der Name Romulus ist, beweist der Umstand, dass der ältere Name des Stammes urkundlich nicht Romani war, sondern Ramnes und erst später mit einer der ältern Sprachperiode geläufigen, sonst aber innerhalb des Lateini- schen nicht mehr vorkommenden Umlautung in Romaneis oder Romani überging; so dass der Name Roma oder Rama viel- leicht ursprünglich die Wald- oder Buschstadt bezeichnet. Die Geschichte kann keinenfalls in jener Legende etwas anderes erkennen als einen alten Versuch die seltsame Entstehung des Orts an einer so wenig dem Ackerbau günstigen Stätte zu erklären und zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknüpfen.
Machen wir uns frei von dem, was Geschichte zu sein vorgiebt, und erwägen wir die natürlichen Verhältnisse der Localität, so führen diese auf eine ganz andere Vermuthung. Die Tiber ist Latiums natürliche Handelsstrasse, ihre Mündung an dem hafenarmen Strande der nothwendige Ankerplatz der Seefahrer; es ist ferner der Fluss seit uralter Zeit die Grenz- wehr des latinischen Stammes gegen die nördlichen Nachbarn. Zum Grenzkastell und zum Emporium für die Fluss- und Seeschifffahrt der latinischen Landschaft eignet kein Platz sich besser als Rom, das gegen Seeräuber grösseren Schutz bot als die unmittelbar an der Küste gelegenen Orte und bei dem damaligen Stande der Schifffahrt dem Seefahrer nicht minder bequem gelegen war wie dem Flussschiffer und das die Vortheile einer festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flus- ses vereinigte. In der That sprechen hiefür zahlreiche Spuren, die von ganz anderem Gewicht sind als der Inhalt historisirter Novelletten. Man erwäge die Grenzen des ältesten römischen Stadtgebietes. Gegen Osten liegen die Städte Antemnae, Fidenae Collatia, Gabii in nächster Nähe, zum Theil keine deutsche Meile vor den spätern Thoren der Stadt; gegen Süden grenzte sie an der spätern latinischen und appischen Strasse mit Tus- culum und Alba, wir wissen nicht genau wo, aber schwerlich in viel weiterer Entfernung; gegen Südwesten war die Grenze zwischen Rom und Lavinium schon am sechsten Miglienstein. Während so landeinwärts überall Rom in die möglichst engen Schranken zurückgewiesen ist, dehnt es sich an beiden Ufern der Tiber gegen das Meer hin aus, bis an welches die ältesten uns bekannten Traditionen das römische Stadtgebiet
ERSTES BUCH. KAPITEL IV.
Aeneasfabel, der aber dennoch geschichtlich kaum eine gröſsere Bedeutung beigelegt werden darf. Wie verhältniſsmäſsig späten Ursprungs selbst der Name Romulus ist, beweist der Umstand, daſs der ältere Name des Stammes urkundlich nicht Romani war, sondern Ramnes und erst später mit einer der ältern Sprachperiode geläufigen, sonst aber innerhalb des Lateini- schen nicht mehr vorkommenden Umlautung in Romaneis oder Romani überging; so daſs der Name Roma oder Rama viel- leicht ursprünglich die Wald- oder Buschstadt bezeichnet. Die Geschichte kann keinenfalls in jener Legende etwas anderes erkennen als einen alten Versuch die seltsame Entstehung des Orts an einer so wenig dem Ackerbau günstigen Stätte zu erklären und zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknüpfen.
Machen wir uns frei von dem, was Geschichte zu sein vorgiebt, und erwägen wir die natürlichen Verhältnisse der Localität, so führen diese auf eine ganz andere Vermuthung. Die Tiber ist Latiums natürliche Handelsstraſse, ihre Mündung an dem hafenarmen Strande der nothwendige Ankerplatz der Seefahrer; es ist ferner der Fluſs seit uralter Zeit die Grenz- wehr des latinischen Stammes gegen die nördlichen Nachbarn. Zum Grenzkastell und zum Emporium für die Fluſs- und Seeschifffahrt der latinischen Landschaft eignet kein Platz sich besser als Rom, das gegen Seeräuber gröſseren Schutz bot als die unmittelbar an der Küste gelegenen Orte und bei dem damaligen Stande der Schifffahrt dem Seefahrer nicht minder bequem gelegen war wie dem Fluſsschiffer und das die Vortheile einer festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flus- ses vereinigte. In der That sprechen hiefür zahlreiche Spuren, die von ganz anderem Gewicht sind als der Inhalt historisirter Novelletten. Man erwäge die Grenzen des ältesten römischen Stadtgebietes. Gegen Osten liegen die Städte Antemnae, Fidenae Collatia, Gabii in nächster Nähe, zum Theil keine deutsche Meile vor den spätern Thoren der Stadt; gegen Süden grenzte sie an der spätern latinischen und appischen Straſse mit Tus- culum und Alba, wir wissen nicht genau wo, aber schwerlich in viel weiterer Entfernung; gegen Südwesten war die Grenze zwischen Rom und Lavinium schon am sechsten Miglienstein. Während so landeinwärts überall Rom in die möglichst engen Schranken zurückgewiesen ist, dehnt es sich an beiden Ufern der Tiber gegen das Meer hin aus, bis an welches die ältesten uns bekannten Traditionen das römische Stadtgebiet
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[31/0045]
ERSTES BUCH. KAPITEL IV.
Aeneasfabel, der aber dennoch geschichtlich kaum eine gröſsere
Bedeutung beigelegt werden darf. Wie verhältniſsmäſsig späten
Ursprungs selbst der Name Romulus ist, beweist der Umstand,
daſs der ältere Name des Stammes urkundlich nicht Romani
war, sondern Ramnes und erst später mit einer der ältern
Sprachperiode geläufigen, sonst aber innerhalb des Lateini-
schen nicht mehr vorkommenden Umlautung in Romaneis oder
Romani überging; so daſs der Name Roma oder Rama viel-
leicht ursprünglich die Wald- oder Buschstadt bezeichnet. Die
Geschichte kann keinenfalls in jener Legende etwas anderes
erkennen als einen alten Versuch die seltsame Entstehung
des Orts an einer so wenig dem Ackerbau günstigen Stätte zu
erklären und zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine
Metropole Latiums anzuknüpfen.
Machen wir uns frei von dem, was Geschichte zu sein
vorgiebt, und erwägen wir die natürlichen Verhältnisse der
Localität, so führen diese auf eine ganz andere Vermuthung.
Die Tiber ist Latiums natürliche Handelsstraſse, ihre Mündung
an dem hafenarmen Strande der nothwendige Ankerplatz der
Seefahrer; es ist ferner der Fluſs seit uralter Zeit die Grenz-
wehr des latinischen Stammes gegen die nördlichen Nachbarn.
Zum Grenzkastell und zum Emporium für die Fluſs- und
Seeschifffahrt der latinischen Landschaft eignet kein Platz sich
besser als Rom, das gegen Seeräuber gröſseren Schutz bot
als die unmittelbar an der Küste gelegenen Orte und bei dem
damaligen Stande der Schifffahrt dem Seefahrer nicht minder
bequem gelegen war wie dem Fluſsschiffer und das die Vortheile
einer festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flus-
ses vereinigte. In der That sprechen hiefür zahlreiche Spuren,
die von ganz anderem Gewicht sind als der Inhalt historisirter
Novelletten. Man erwäge die Grenzen des ältesten römischen
Stadtgebietes. Gegen Osten liegen die Städte Antemnae, Fidenae
Collatia, Gabii in nächster Nähe, zum Theil keine deutsche
Meile vor den spätern Thoren der Stadt; gegen Süden grenzte
sie an der spätern latinischen und appischen Straſse mit Tus-
culum und Alba, wir wissen nicht genau wo, aber schwerlich
in viel weiterer Entfernung; gegen Südwesten war die Grenze
zwischen Rom und Lavinium schon am sechsten Miglienstein.
Während so landeinwärts überall Rom in die möglichst
engen Schranken zurückgewiesen ist, dehnt es sich an beiden
Ufern der Tiber gegen das Meer hin aus, bis an welches die
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/45>, abgerufen am 24.11.2024.
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