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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
Expedition nach Andalusien im folgenden Jahr (544) hatte
den gewünschten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward umstellt und
eingeschlossen und entrann der Capitulation nur durch unfeine
List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte
Feldherr nicht für den spanischen Krieg. Er war ein tüch-
tiger Offizier, aber ein harter auffahrender unpopulärer Mann,
wenig geschickt Vortheil zu ziehen aus der Unbill und dem
Uebermuth, womit die Punier nach dem Tode der Scipionen
Freund und Feind im jenseitigen Spanien behandelt und alle
gegen sich erbittert hatten, und nicht dazu geeignet die alten
Verbindungen wieder anzuknüpfen und neue einzuleiten. Der
Senat, der die Bedeutung und die Eigenthümlichkeit des spa-
nischen Krieges richtig beurtheilte und durch die von der
römischen Flotte gefangen heimgebrachten Uticenser von den
grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago
machte um Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer
über die Pyrenäen zu senden, beschloss nach Spanien neue
Verstärkungen und einen ausserordentlichen Feldherrn höheren
Ranges hinzuschicken, dessen Ernennung man dem Volke an-
heim zu geben für gut fand. Lange Zeit -- so lautet der Bericht
-- meldete sich Niemand zur Bewerbung um das gefährliche und
verwickelte Amt, bis endlich ein junger siebenundzwanzigjäh-
riger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in Spanien gefal-
lenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und
Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass
der römische Senat in diesen von ihm veranlassten Comitien
eine Wahl von solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben
sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom so aus-
gestorben gewesen, dass für den wichtigen Posten kein ver-
suchter Offizier sich angeboten hätte. Wenn dagegen die Blicke
des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen und er-
probten Offizier, der in den heissen Tagen an der Trebia und
bei Cannae sich glänzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch
der erforderliche Rang abging um als Nachfolger von gewe-
senen Prätoren und Consuln aufzutreten, so war es sehr
natürlich diesen Weg einzuschlagen, der das Volk auf gute
Art nöthigte den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden
Qualification zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel
sehr unpopuläre spanische Expedition bei der Menge beliebt
machen musste. War der Effect dieser angeblich improvisirten
Candidatur berechnet, so gelang er vollständig. Der Sohn,
der den Tod des Vaters zu rächen ging, dem er neun Jahre

DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
Expedition nach Andalusien im folgenden Jahr (544) hatte
den gewünschten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward umstellt und
eingeschlossen und entrann der Capitulation nur durch unfeine
List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte
Feldherr nicht für den spanischen Krieg. Er war ein tüch-
tiger Offizier, aber ein harter auffahrender unpopulärer Mann,
wenig geschickt Vortheil zu ziehen aus der Unbill und dem
Uebermuth, womit die Punier nach dem Tode der Scipionen
Freund und Feind im jenseitigen Spanien behandelt und alle
gegen sich erbittert hatten, und nicht dazu geeignet die alten
Verbindungen wieder anzuknüpfen und neue einzuleiten. Der
Senat, der die Bedeutung und die Eigenthümlichkeit des spa-
nischen Krieges richtig beurtheilte und durch die von der
römischen Flotte gefangen heimgebrachten Uticenser von den
groſsen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago
machte um Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer
über die Pyrenäen zu senden, beschloſs nach Spanien neue
Verstärkungen und einen auſserordentlichen Feldherrn höheren
Ranges hinzuschicken, dessen Ernennung man dem Volke an-
heim zu geben für gut fand. Lange Zeit — so lautet der Bericht
— meldete sich Niemand zur Bewerbung um das gefährliche und
verwickelte Amt, bis endlich ein junger siebenundzwanzigjäh-
riger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in Spanien gefal-
lenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und
Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, daſs
der römische Senat in diesen von ihm veranlaſsten Comitien
eine Wahl von solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben
sollte, als daſs Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom so aus-
gestorben gewesen, daſs für den wichtigen Posten kein ver-
suchter Offizier sich angeboten hätte. Wenn dagegen die Blicke
des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen und er-
probten Offizier, der in den heiſsen Tagen an der Trebia und
bei Cannae sich glänzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch
der erforderliche Rang abging um als Nachfolger von gewe-
senen Prätoren und Consuln aufzutreten, so war es sehr
natürlich diesen Weg einzuschlagen, der das Volk auf gute
Art nöthigte den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden
Qualification zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel
sehr unpopuläre spanische Expedition bei der Menge beliebt
machen muſste. War der Effect dieser angeblich improvisirten
Candidatur berechnet, so gelang er vollständig. Der Sohn,
der den Tod des Vaters zu rächen ging, dem er neun Jahre

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[450/0464] DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Expedition nach Andalusien im folgenden Jahr (544) hatte den gewünschten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward umstellt und eingeschlossen und entrann der Capitulation nur durch unfeine List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr nicht für den spanischen Krieg. Er war ein tüch- tiger Offizier, aber ein harter auffahrender unpopulärer Mann, wenig geschickt Vortheil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermuth, womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im jenseitigen Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten, und nicht dazu geeignet die alten Verbindungen wieder anzuknüpfen und neue einzuleiten. Der Senat, der die Bedeutung und die Eigenthümlichkeit des spa- nischen Krieges richtig beurtheilte und durch die von der römischen Flotte gefangen heimgebrachten Uticenser von den groſsen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte um Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer über die Pyrenäen zu senden, beschloſs nach Spanien neue Verstärkungen und einen auſserordentlichen Feldherrn höheren Ranges hinzuschicken, dessen Ernennung man dem Volke an- heim zu geben für gut fand. Lange Zeit — so lautet der Bericht — meldete sich Niemand zur Bewerbung um das gefährliche und verwickelte Amt, bis endlich ein junger siebenundzwanzigjäh- riger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in Spanien gefal- lenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, daſs der römische Senat in diesen von ihm veranlaſsten Comitien eine Wahl von solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben sollte, als daſs Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom so aus- gestorben gewesen, daſs für den wichtigen Posten kein ver- suchter Offizier sich angeboten hätte. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen und er- probten Offizier, der in den heiſsen Tagen an der Trebia und bei Cannae sich glänzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der erforderliche Rang abging um als Nachfolger von gewe- senen Prätoren und Consuln aufzutreten, so war es sehr natürlich diesen Weg einzuschlagen, der das Volk auf gute Art nöthigte den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden Qualification zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopuläre spanische Expedition bei der Menge beliebt machen muſste. War der Effect dieser angeblich improvisirten Candidatur berechnet, so gelang er vollständig. Der Sohn, der den Tod des Vaters zu rächen ging, dem er neun Jahre

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/464>, abgerufen am 24.11.2024.