Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.HANNIBALISCHER KRIEG. gehalten hatten, hatte Hannibal schon seit langer Zeit Verbin-dungen angeknüpft; es gelang ihm die in Rom befindlichen tarentinischen und thurinischen Geisseln durch seine Emissäre zu einem tollen Fluchtversuch zu bestimmen, bei dem sie schleunig von den römischen Posten wieder aufgegriffen wur- den. Allein die unverständige Rachsucht der Römer erfüllte Hannibals Wünsche über sein Erwarten; die Hinrichtung der sämmtlichen entwichenen Geisseln beraubte sie eines kostbaren Unterpfandes und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie Hannibal die Thore öffnen möchten. Wirklich ward Tarent durch Einverständniss mit der Bürgerschaft und durch die Nachlässigkeit des römischen Commandanten von den Kar- thagern besetzt; kaum dass die römische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem Beispiel Tarents folgten Heraklea, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur Rettung der tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden müssen. Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerückt, dass Rom sich genöthigt sah dem fast gänz- lich vernachlässigtem griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu glücklicher Weise die Einnahme von Syrakus und der günstige Stand des spa- nischen Krieges die Möglichkeit gewährte. In Campanien hatten die Römer zwar noch nicht mit der wirklichen Belage- rung von Capua begonnen; allein die in der Nähe postirten römischen Legionen hatten doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, dass die volk- reiche Stadt auswärtiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal beeilte sich einen beträchtlichen Getreidetransport zusammen- zubringen, den die Campaner angewiesen wurden bei Bene- vent in Empfang zu nehmen; allein ihre Saumseligkeit gab den Consuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbei- zukommen, dem Hanno, der den Transport deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und der ge- sammten Vorräthe zu bemächtigen. Die beiden Consuln schlos- sen darauf die Stadt ein, während Tiberius Gracchus sich auf der appischen Strasse bei Benevent aufstellte um Hannibal den Weg zum Entsatz der Stadt zu verlegen. Aber der tapfere Mann fiel durch die schändliche List eines treulosen Lucaners und sein Tod kam einer völligen Niederlage gleich, da sein Heer, grösstentheils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen Sclaven, nach dem Fall des geliebten Füh- rers auseinanderlief. So fand Hannibal die Strasse nach Ca- HANNIBALISCHER KRIEG. gehalten hatten, hatte Hannibal schon seit langer Zeit Verbin-dungen angeknüpft; es gelang ihm die in Rom befindlichen tarentinischen und thurinischen Geiſseln durch seine Emissäre zu einem tollen Fluchtversuch zu bestimmen, bei dem sie schleunig von den römischen Posten wieder aufgegriffen wur- den. Allein die unverständige Rachsucht der Römer erfüllte Hannibals Wünsche über sein Erwarten; die Hinrichtung der sämmtlichen entwichenen Geiſseln beraubte sie eines kostbaren Unterpfandes und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie Hannibal die Thore öffnen möchten. Wirklich ward Tarent durch Einverständniſs mit der Bürgerschaft und durch die Nachlässigkeit des römischen Commandanten von den Kar- thagern besetzt; kaum daſs die römische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem Beispiel Tarents folgten Heraklea, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur Rettung der tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden müssen. Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerückt, daſs Rom sich genöthigt sah dem fast gänz- lich vernachlässigtem griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu glücklicher Weise die Einnahme von Syrakus und der günstige Stand des spa- nischen Krieges die Möglichkeit gewährte. In Campanien hatten die Römer zwar noch nicht mit der wirklichen Belage- rung von Capua begonnen; allein die in der Nähe postirten römischen Legionen hatten doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, daſs die volk- reiche Stadt auswärtiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal beeilte sich einen beträchtlichen Getreidetransport zusammen- zubringen, den die Campaner angewiesen wurden bei Bene- vent in Empfang zu nehmen; allein ihre Saumseligkeit gab den Consuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbei- zukommen, dem Hanno, der den Transport deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und der ge- sammten Vorräthe zu bemächtigen. Die beiden Consuln schlos- sen darauf die Stadt ein, während Tiberius Gracchus sich auf der appischen Straſse bei Benevent aufstellte um Hannibal den Weg zum Entsatz der Stadt zu verlegen. Aber der tapfere Mann fiel durch die schändliche List eines treulosen Lucaners und sein Tod kam einer völligen Niederlage gleich, da sein Heer, gröſstentheils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen Sclaven, nach dem Fall des geliebten Füh- rers auseinanderlief. So fand Hannibal die Straſse nach Ca- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0473" n="459"/><fw place="top" type="header">HANNIBALISCHER KRIEG.</fw><lb/> gehalten hatten, hatte Hannibal schon seit langer Zeit Verbin-<lb/> dungen angeknüpft; es gelang ihm die in Rom befindlichen<lb/> tarentinischen und thurinischen Geiſseln durch seine Emissäre<lb/> zu einem tollen Fluchtversuch zu bestimmen, bei dem sie<lb/> schleunig von den römischen Posten wieder aufgegriffen wur-<lb/> den. Allein die unverständige Rachsucht der Römer erfüllte<lb/> Hannibals Wünsche über sein Erwarten; die Hinrichtung der<lb/> sämmtlichen entwichenen Geiſseln beraubte sie eines kostbaren<lb/> Unterpfandes und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie<lb/> sie Hannibal die Thore öffnen möchten. 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In Campanien<lb/> hatten die Römer zwar noch nicht mit der wirklichen Belage-<lb/> rung von Capua begonnen; allein die in der Nähe postirten<lb/> römischen Legionen hatten doch die Bestellung des Ackers<lb/> und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, daſs die volk-<lb/> reiche Stadt auswärtiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal<lb/> beeilte sich einen beträchtlichen Getreidetransport zusammen-<lb/> zubringen, den die Campaner angewiesen wurden bei Bene-<lb/> vent in Empfang zu nehmen; allein ihre Saumseligkeit gab<lb/> den Consuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbei-<lb/> zukommen, dem Hanno, der den Transport deckte, eine schwere<lb/> Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und der ge-<lb/> sammten Vorräthe zu bemächtigen. Die beiden Consuln schlos-<lb/> sen darauf die Stadt ein, während Tiberius Gracchus sich auf<lb/> der appischen Straſse bei Benevent aufstellte um Hannibal<lb/> den Weg zum Entsatz der Stadt zu verlegen. Aber der<lb/> tapfere Mann fiel durch die schändliche List eines treulosen<lb/> Lucaners und sein Tod kam einer völligen Niederlage gleich,<lb/> da sein Heer, gröſstentheils bestehend aus jenen von ihm<lb/> freigesprochenen Sclaven, nach dem Fall des geliebten Füh-<lb/> rers auseinanderlief. So fand Hannibal die Straſse nach Ca-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [459/0473]
HANNIBALISCHER KRIEG.
gehalten hatten, hatte Hannibal schon seit langer Zeit Verbin-
dungen angeknüpft; es gelang ihm die in Rom befindlichen
tarentinischen und thurinischen Geiſseln durch seine Emissäre
zu einem tollen Fluchtversuch zu bestimmen, bei dem sie
schleunig von den römischen Posten wieder aufgegriffen wur-
den. Allein die unverständige Rachsucht der Römer erfüllte
Hannibals Wünsche über sein Erwarten; die Hinrichtung der
sämmtlichen entwichenen Geiſseln beraubte sie eines kostbaren
Unterpfandes und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie
sie Hannibal die Thore öffnen möchten. Wirklich ward Tarent
durch Einverständniſs mit der Bürgerschaft und durch die
Nachlässigkeit des römischen Commandanten von den Kar-
thagern besetzt; kaum daſs die römische Besatzung sich in
der Burg behauptete. Dem Beispiel Tarents folgten Heraklea,
Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur Rettung der
tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden
müssen. Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung
so nahe gerückt, daſs Rom sich genöthigt sah dem fast gänz-
lich vernachlässigtem griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit
und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu glücklicher Weise
die Einnahme von Syrakus und der günstige Stand des spa-
nischen Krieges die Möglichkeit gewährte. In Campanien
hatten die Römer zwar noch nicht mit der wirklichen Belage-
rung von Capua begonnen; allein die in der Nähe postirten
römischen Legionen hatten doch die Bestellung des Ackers
und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, daſs die volk-
reiche Stadt auswärtiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal
beeilte sich einen beträchtlichen Getreidetransport zusammen-
zubringen, den die Campaner angewiesen wurden bei Bene-
vent in Empfang zu nehmen; allein ihre Saumseligkeit gab
den Consuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbei-
zukommen, dem Hanno, der den Transport deckte, eine schwere
Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und der ge-
sammten Vorräthe zu bemächtigen. Die beiden Consuln schlos-
sen darauf die Stadt ein, während Tiberius Gracchus sich auf
der appischen Straſse bei Benevent aufstellte um Hannibal
den Weg zum Entsatz der Stadt zu verlegen. Aber der
tapfere Mann fiel durch die schändliche List eines treulosen
Lucaners und sein Tod kam einer völligen Niederlage gleich,
da sein Heer, gröſstentheils bestehend aus jenen von ihm
freigesprochenen Sclaven, nach dem Fall des geliebten Füh-
rers auseinanderlief. So fand Hannibal die Straſse nach Ca-
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