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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
beherrschte, Mühe hatte für sein Heer genug Vorräthe aufzu-
treiben, litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel we-
niger als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich
den Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glück selbst schien
von dem Karthager gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall,
die tiefe Erschütterung des Ansehens und Vertrauens, das
Hannibal bisher bei den italischen Verbündeten genossen, und
die Versuche jeder nicht allzusehr compromittirten Gemeinde
auf leidliche Bedingungen wieder zurückzutreten in die römische
Symmachie, waren noch weit empfindlicher für Hannibal als
der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl in die schwan-
kenden Städte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er
sein schon zu schwaches Heer noch mehr schwächte und seine
zuverlässigen Truppen der Aufreibung in kleinen Abtheilungen
und dem Verrath preisgab -- so wurden im Jahre 544 bei
dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische
Reiter niedergemacht --; oder auch die unsicheren Städte zu
schleifen und anzuzünden um sie dem Feind zu entziehen,
was denn auch die Stimmung unter seiner italischen Clientel
nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fühlten die Römer des
endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum
sicher; sie entsandten beträchtliche Verstärkungen nach Spa-
nien, wo durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der
römischen Armee gefährdet war, und gestatteten zum ersten-
mal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der
Gesammtzahl der Truppen, die bisher trotz der jährlich stei-
genden Schwierigkeit der Aushebung jährlich vermehrt worden
und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum ward
denn auch im nächsten Jahr (544) der italische Krieg lässiger als
bisher von den Römern geführt, obwohl Marcus Marcellus nach
der Beendigung des sicilischen Krieges wieder den Oberbefehl
der Hauptarmee übernommen hatte; er betrieb in den inneren
Landschaften den Festungskrieg und lieferte den Karthagern un-
entschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische
Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. Nur in Apulien ge-
lang Hannibal die Besiegung des Proconsuls Gnaeus Fulvius Cen-
tumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545) schritten die
Römer dazu der zweiten Grossstadt, die zu Hannibal übergetre-
ten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemächtigen. Wäh-
rend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit
gewohnter Zähigkeit und Energie fortsetzte -- in einer zwei-
tägigen Schlacht erfocht er, am ersten Tage geschlagen, am

HANNIBALISCHER KRIEG.
beherrschte, Mühe hatte für sein Heer genug Vorräthe aufzu-
treiben, litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel we-
niger als die Belagerten in der Burg und verlieſsen endlich
den Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glück selbst schien
von dem Karthager gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall,
die tiefe Erschütterung des Ansehens und Vertrauens, das
Hannibal bisher bei den italischen Verbündeten genossen, und
die Versuche jeder nicht allzusehr compromittirten Gemeinde
auf leidliche Bedingungen wieder zurückzutreten in die römische
Symmachie, waren noch weit empfindlicher für Hannibal als
der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl in die schwan-
kenden Städte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er
sein schon zu schwaches Heer noch mehr schwächte und seine
zuverlässigen Truppen der Aufreibung in kleinen Abtheilungen
und dem Verrath preisgab — so wurden im Jahre 544 bei
dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische
Reiter niedergemacht —; oder auch die unsicheren Städte zu
schleifen und anzuzünden um sie dem Feind zu entziehen,
was denn auch die Stimmung unter seiner italischen Clientel
nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fühlten die Römer des
endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum
sicher; sie entsandten beträchtliche Verstärkungen nach Spa-
nien, wo durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der
römischen Armee gefährdet war, und gestatteten zum ersten-
mal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der
Gesammtzahl der Truppen, die bisher trotz der jährlich stei-
genden Schwierigkeit der Aushebung jährlich vermehrt worden
und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum ward
denn auch im nächsten Jahr (544) der italische Krieg lässiger als
bisher von den Römern geführt, obwohl Marcus Marcellus nach
der Beendigung des sicilischen Krieges wieder den Oberbefehl
der Hauptarmee übernommen hatte; er betrieb in den inneren
Landschaften den Festungskrieg und lieferte den Karthagern un-
entschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische
Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. Nur in Apulien ge-
lang Hannibal die Besiegung des Proconsuls Gnaeus Fulvius Cen-
tumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545) schritten die
Römer dazu der zweiten Groſsstadt, die zu Hannibal übergetre-
ten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemächtigen. Wäh-
rend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit
gewohnter Zähigkeit und Energie fortsetzte — in einer zwei-
tägigen Schlacht erfocht er, am ersten Tage geschlagen, am

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[463/0477] HANNIBALISCHER KRIEG. beherrschte, Mühe hatte für sein Heer genug Vorräthe aufzu- treiben, litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel we- niger als die Belagerten in der Burg und verlieſsen endlich den Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glück selbst schien von dem Karthager gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschütterung des Ansehens und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbündeten genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr compromittirten Gemeinde auf leidliche Bedingungen wieder zurückzutreten in die römische Symmachie, waren noch weit empfindlicher für Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl in die schwan- kenden Städte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu schwaches Heer noch mehr schwächte und seine zuverlässigen Truppen der Aufreibung in kleinen Abtheilungen und dem Verrath preisgab — so wurden im Jahre 544 bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische Reiter niedergemacht —; oder auch die unsicheren Städte zu schleifen und anzuzünden um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner italischen Clientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fühlten die Römer des endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten beträchtliche Verstärkungen nach Spa- nien, wo durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der römischen Armee gefährdet war, und gestatteten zum ersten- mal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der Gesammtzahl der Truppen, die bisher trotz der jährlich stei- genden Schwierigkeit der Aushebung jährlich vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum ward denn auch im nächsten Jahr (544) der italische Krieg lässiger als bisher von den Römern geführt, obwohl Marcus Marcellus nach der Beendigung des sicilischen Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee übernommen hatte; er betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den Karthagern un- entschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. Nur in Apulien ge- lang Hannibal die Besiegung des Proconsuls Gnaeus Fulvius Cen- tumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545) schritten die Römer dazu der zweiten Groſsstadt, die zu Hannibal übergetre- ten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemächtigen. Wäh- rend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter Zähigkeit und Energie fortsetzte — in einer zwei- tägigen Schlacht erfocht er, am ersten Tage geschlagen, am

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/477>, abgerufen am 24.11.2024.