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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
flaminische Strasse einzuschlagen, also zunächst sich an der
Küste zu halten und dann bei Fano über den Apennin ge-
gen Narni sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal
zu treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narni als dem
zur Vereinigung der beiden punischen Heere ausersehenen
Punct die hauptstädtische Reserve vorgehen, wogegen die bei
Capua stehende Abtheilung nach der Hauptstadt kam und
dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, dass Han-
nibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren
werde ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu
dem kühnen Wagniss mit einem kleinen aber auserlesenen
Corps von 7000 Mann in Gewaltmärschen nordwärts zu eilen
und wo möglich in Gemeinschaft mit dem Collegen den
Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn das
römische Heer, das er zurückliess, blieb immer stark genug
um Hannibal entweder zurückzuwerfen, wenn er angriff, oder
ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Ort der Ent-
scheidung einzutreffen, wenn er abzog. Nero fand den Col-
legen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind erwartend;
sofort rückten beide Consuln aus gegen Hasdrubal, den sie
beschäftigt fanden den Metaurus zu überschreiten. Hasdrubal
wünschte die Schlacht zu vermeiden und sich seitwärts den
Römern zu entziehen; allein seine Führer liessen ihn im
Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden Terrain und
wurde endlich auf dem Marsch von der römischen Reiterei
angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das römische
Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdru-
bal stellte die Spanier auf den rechten Flügel, davor seine zehn
Elephanten, die Gallier auf den linken, den er versagte.
Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Flügel und
der Consul Livius, der hier befehligte, ward hart gedrängt,
bis Nero, seine strategische Operation taktisch wiederholend,
den ihm unbeweglich gegenüberstehenden Feind stehen liess
und um die eigne Armee herum marschirend den Spaniern in
die Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkämpfte und
sehr blutige Sieg war vollständig; das Heer, das keinen Rück-
zug hatte, ward vernichtet, das Lager erstürmt, Hasdrubal,
da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah, suchte
und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod.
Als Offizier und als Mann war er werth, Hannibals Bruder
zu sein. Am Tag nach der Schlacht brach Nero wieder auf
und stand nach kaum vierzehntägiger Abwesenheit abermals

DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
flaminische Straſse einzuschlagen, also zunächst sich an der
Küste zu halten und dann bei Fano über den Apennin ge-
gen Narni sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal
zu treffen gedenke. Sofort lieſs Nero nach Narni als dem
zur Vereinigung der beiden punischen Heere ausersehenen
Punct die hauptstädtische Reserve vorgehen, wogegen die bei
Capua stehende Abtheilung nach der Hauptstadt kam und
dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, daſs Han-
nibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren
werde ihn in Apulien zu erwarten, entschloſs sich Nero zu
dem kühnen Wagniſs mit einem kleinen aber auserlesenen
Corps von 7000 Mann in Gewaltmärschen nordwärts zu eilen
und wo möglich in Gemeinschaft mit dem Collegen den
Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn das
römische Heer, das er zurücklieſs, blieb immer stark genug
um Hannibal entweder zurückzuwerfen, wenn er angriff, oder
ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Ort der Ent-
scheidung einzutreffen, wenn er abzog. Nero fand den Col-
legen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind erwartend;
sofort rückten beide Consuln aus gegen Hasdrubal, den sie
beschäftigt fanden den Metaurus zu überschreiten. Hasdrubal
wünschte die Schlacht zu vermeiden und sich seitwärts den
Römern zu entziehen; allein seine Führer lieſsen ihn im
Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden Terrain und
wurde endlich auf dem Marsch von der römischen Reiterei
angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das römische
Fuſsvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdru-
bal stellte die Spanier auf den rechten Flügel, davor seine zehn
Elephanten, die Gallier auf den linken, den er versagte.
Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Flügel und
der Consul Livius, der hier befehligte, ward hart gedrängt,
bis Nero, seine strategische Operation taktisch wiederholend,
den ihm unbeweglich gegenüberstehenden Feind stehen lieſs
und um die eigne Armee herum marschirend den Spaniern in
die Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkämpfte und
sehr blutige Sieg war vollständig; das Heer, das keinen Rück-
zug hatte, ward vernichtet, das Lager erstürmt, Hasdrubal,
da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah, suchte
und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod.
Als Offizier und als Mann war er werth, Hannibals Bruder
zu sein. Am Tag nach der Schlacht brach Nero wieder auf
und stand nach kaum vierzehntägiger Abwesenheit abermals

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[468/0482] DRITTES BUCH. KAPITEL VI. flaminische Straſse einzuschlagen, also zunächst sich an der Küste zu halten und dann bei Fano über den Apennin ge- gen Narni sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu treffen gedenke. Sofort lieſs Nero nach Narni als dem zur Vereinigung der beiden punischen Heere ausersehenen Punct die hauptstädtische Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abtheilung nach der Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, daſs Han- nibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde ihn in Apulien zu erwarten, entschloſs sich Nero zu dem kühnen Wagniſs mit einem kleinen aber auserlesenen Corps von 7000 Mann in Gewaltmärschen nordwärts zu eilen und wo möglich in Gemeinschaft mit dem Collegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn das römische Heer, das er zurücklieſs, blieb immer stark genug um Hannibal entweder zurückzuwerfen, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Ort der Ent- scheidung einzutreffen, wenn er abzog. Nero fand den Col- legen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind erwartend; sofort rückten beide Consuln aus gegen Hasdrubal, den sie beschäftigt fanden den Metaurus zu überschreiten. Hasdrubal wünschte die Schlacht zu vermeiden und sich seitwärts den Römern zu entziehen; allein seine Führer lieſsen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der römischen Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das römische Fuſsvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdru- bal stellte die Spanier auf den rechten Flügel, davor seine zehn Elephanten, die Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Flügel und der Consul Livius, der hier befehligte, ward hart gedrängt, bis Nero, seine strategische Operation taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenüberstehenden Feind stehen lieſs und um die eigne Armee herum marschirend den Spaniern in die Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkämpfte und sehr blutige Sieg war vollständig; das Heer, das keinen Rück- zug hatte, ward vernichtet, das Lager erstürmt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und als Mann war er werth, Hannibals Bruder zu sein. Am Tag nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum vierzehntägiger Abwesenheit abermals

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/482>, abgerufen am 24.11.2024.