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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
urtheilt werden mussten. Die sich ausdehnenden Weiden mit
den halb wilden Hirtensclaven begünstigten diese heillose Ver-
wilderung des Landes und der italische Ackerbau sah sich in
seiner Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege auf-
gestellte Beispiel, dass das römische Volk statt von selbst ge-
erntetem auch von sicilischem und ägyptischem Getreide ernährt
werden könne. -- Dennoch durfte der Römer, dem die Götter be-
schieden hatten das Ende dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz
in die Vergangenheit und zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet worden; das Volk,
dessen gesammte dienstfähige Jugend fast zehn Jahre hindurch
Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich
verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung un-
terhaltene, doch im Ganzen friedliche und freundliche Zusammen-
leben der verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren
Völkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Alterthum fremd:
damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wett-
kampf der Sieger war der Sieg den Römern geblieben. Ob man
verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation immer
fester an Rom zu ketten, Italien allmählich zu latinisiren, die
Unterworfenen in den Provinzen als Unterthanen zu beherrschen,
nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformiren,
den schwankenden Mittelstand neu zu befestigen und zu erwei-
tern -- das mochte Mancher fragen; wenn man es verstand, so
durfte Italien glücklichen Zeiten entgegensehen, in denen der auf
eigene Arbeit unter günstigen Verhältnissen gegründete Wohl-
stand und die entschiedenste politische Suprematie über die
damalige civilisirte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein
gerechtes Selbstgefühl, jedem Stolz ein würdiges Ziel, jedem
Talent eine offene Bahn geschaffen haben würde. Freilich
wenn nicht, nicht. Für den Augenblick aber schwiegen die
bedenklichen Stimmen und die trüben Besorgnisse, als von
allen Seiten die Krieger und Sieger in ihre Häuser zurück-
kehrten, als Dankfeste und Lustbarkeiten, Geschenke an Sol-
daten und Bürger an der Tagesordnung waren, die gelösten
Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Africa, Griechen-
land und endlich der jugendliche Sieger im glänzenden Zuge
durch die geschmückten Strassen der Hauptstadt zog, um seine
Palme in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie
sich die Gläubigen zuflüsterten, er zu Rath und That unmittel-
bar seine Eingebungen empfangen hatte.



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urtheilt werden muſsten. Die sich ausdehnenden Weiden mit
den halb wilden Hirtensclaven begünstigten diese heillose Ver-
wilderung des Landes und der italische Ackerbau sah sich in
seiner Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege auf-
gestellte Beispiel, daſs das römische Volk statt von selbst ge-
erntetem auch von sicilischem und ägyptischem Getreide ernährt
werden könne. — Dennoch durfte der Römer, dem die Götter be-
schieden hatten das Ende dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz
in die Vergangenheit und zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet worden; das Volk,
dessen gesammte dienstfähige Jugend fast zehn Jahre hindurch
Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich
verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung un-
terhaltene, doch im Ganzen friedliche und freundliche Zusammen-
leben der verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren
Völkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Alterthum fremd:
damals galt es Amboſs zu sein oder Hammer; und in dem Wett-
kampf der Sieger war der Sieg den Römern geblieben. Ob man
verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation immer
fester an Rom zu ketten, Italien allmählich zu latinisiren, die
Unterworfenen in den Provinzen als Unterthanen zu beherrschen,
nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformiren,
den schwankenden Mittelstand neu zu befestigen und zu erwei-
tern — das mochte Mancher fragen; wenn man es verstand, so
durfte Italien glücklichen Zeiten entgegensehen, in denen der auf
eigene Arbeit unter günstigen Verhältnissen gegründete Wohl-
stand und die entschiedenste politische Suprematie über die
damalige civilisirte Welt jedem Gliede des groſsen Ganzen ein
gerechtes Selbstgefühl, jedem Stolz ein würdiges Ziel, jedem
Talent eine offene Bahn geschaffen haben würde. Freilich
wenn nicht, nicht. Für den Augenblick aber schwiegen die
bedenklichen Stimmen und die trüben Besorgnisse, als von
allen Seiten die Krieger und Sieger in ihre Häuser zurück-
kehrten, als Dankfeste und Lustbarkeiten, Geschenke an Sol-
daten und Bürger an der Tagesordnung waren, die gelösten
Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Africa, Griechen-
land und endlich der jugendliche Sieger im glänzenden Zuge
durch die geschmückten Straſsen der Hauptstadt zog, um seine
Palme in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie
sich die Gläubigen zuflüsterten, er zu Rath und That unmittel-
bar seine Eingebungen empfangen hatte.



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[483/0497] HANNIBALISCHER KRIEG. urtheilt werden muſsten. Die sich ausdehnenden Weiden mit den halb wilden Hirtensclaven begünstigten diese heillose Ver- wilderung des Landes und der italische Ackerbau sah sich in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege auf- gestellte Beispiel, daſs das römische Volk statt von selbst ge- erntetem auch von sicilischem und ägyptischem Getreide ernährt werden könne. — Dennoch durfte der Römer, dem die Götter be- schieden hatten das Ende dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet worden; das Volk, dessen gesammte dienstfähige Jugend fast zehn Jahre hindurch Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung un- terhaltene, doch im Ganzen friedliche und freundliche Zusammen- leben der verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren Völkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Alterthum fremd: damals galt es Amboſs zu sein oder Hammer; und in dem Wett- kampf der Sieger war der Sieg den Römern geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation immer fester an Rom zu ketten, Italien allmählich zu latinisiren, die Unterworfenen in den Provinzen als Unterthanen zu beherrschen, nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformiren, den schwankenden Mittelstand neu zu befestigen und zu erwei- tern — das mochte Mancher fragen; wenn man es verstand, so durfte Italien glücklichen Zeiten entgegensehen, in denen der auf eigene Arbeit unter günstigen Verhältnissen gegründete Wohl- stand und die entschiedenste politische Suprematie über die damalige civilisirte Welt jedem Gliede des groſsen Ganzen ein gerechtes Selbstgefühl, jedem Stolz ein würdiges Ziel, jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben würde. Freilich wenn nicht, nicht. Für den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen Stimmen und die trüben Besorgnisse, als von allen Seiten die Krieger und Sieger in ihre Häuser zurück- kehrten, als Dankfeste und Lustbarkeiten, Geschenke an Sol- daten und Bürger an der Tagesordnung waren, die gelösten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Africa, Griechen- land und endlich der jugendliche Sieger im glänzenden Zuge durch die geschmückten Straſsen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Gläubigen zuflüsterten, er zu Rath und That unmittel- bar seine Eingebungen empfangen hatte. 31*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/497>, abgerufen am 24.11.2024.