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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
lung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der längere Zeit
in Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht
angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt heim-
kehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Scla-
ven achtet. Diese derbe Tüchtigkeit und der ungeschwächte
Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem
mächtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten
zu Gute. Wohl ist auch hier der Absolutismus emporgekom-
men gegen die alte gewissermassen ständische Verfassung;
allein Herr und Unterthan stehen doch in Makedonien keines-
wegs zu einander wie in Asien und Aegypten und das Volk
fühlt sich noch selbstständig und frei. In festem Muth gegen
den Landesfeind wie er auch heisse, in unerschütterlicher
Treue gegen die Heimath und die angestammte Regierung,
im muthigen Ausharren unter den schwersten Bedrängnissen
steht keines unter allen Völkern der alten Geschichte dem
römischen so nah wie das makedonische, und die an das
Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach der
gallischen Invasion gereicht den leitenden Männern wie dem
Volke, das sie leiteten, zu unvergänglicher Ehre. -- Der
zweite von den Grossstaaten, Asien war nichts als das ober-
flächlich regenerirte und hellenisirte Persien, das Reich des
,Königs der Könige', wie es selbst bezeichnend für seine An-
massung wie für seine Schwäche sich zu nennen pflegte, mit
denselben Ansprüchen vom Hellespont bis zum Pendschab zu
gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein Bündel
von mehr oder minder abhängigen Dependenzstaaten, unbot-
mässigen Satrapien und halbfreien griechischen Städten. Von
Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich der Seleukiden
gezählt ward, war thatsächlich die ganze Nordküste und der
grössere Theil des östlichen Binnenlandes in den Händen ein-
heimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen
Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Theil in Besitz der
Könige von Pergamon, und die Inseln und Küstenstädte theils
aegyptisch, theils frei, so dass dem Grosskönig hier wenig
mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und
eine grosse Anzahl nicht wohl zu realisirender Rechtstitel gegen
freie Städte und Fürsten -- ganz und gar wie seiner Zeit die
Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem Hausgebiet
bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen
Versuchen die Aegypter aus den Küstenlandschaften zu ver-
drängen, in dem Grenzhader mit den östlichen Völkern, den

DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
lung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der längere Zeit
in Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht
angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt heim-
kehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Scla-
ven achtet. Diese derbe Tüchtigkeit und der ungeschwächte
Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem
mächtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten
zu Gute. Wohl ist auch hier der Absolutismus emporgekom-
men gegen die alte gewissermaſsen ständische Verfassung;
allein Herr und Unterthan stehen doch in Makedonien keines-
wegs zu einander wie in Asien und Aegypten und das Volk
fühlt sich noch selbstständig und frei. In festem Muth gegen
den Landesfeind wie er auch heiſse, in unerschütterlicher
Treue gegen die Heimath und die angestammte Regierung,
im muthigen Ausharren unter den schwersten Bedrängnissen
steht keines unter allen Völkern der alten Geschichte dem
römischen so nah wie das makedonische, und die an das
Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach der
gallischen Invasion gereicht den leitenden Männern wie dem
Volke, das sie leiteten, zu unvergänglicher Ehre. — Der
zweite von den Groſsstaaten, Asien war nichts als das ober-
flächlich regenerirte und hellenisirte Persien, das Reich des
‚Königs der Könige‘, wie es selbst bezeichnend für seine An-
maſsung wie für seine Schwäche sich zu nennen pflegte, mit
denselben Ansprüchen vom Hellespont bis zum Pendschab zu
gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein Bündel
von mehr oder minder abhängigen Dependenzstaaten, unbot-
mäſsigen Satrapien und halbfreien griechischen Städten. Von
Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich der Seleukiden
gezählt ward, war thatsächlich die ganze Nordküste und der
gröſsere Theil des östlichen Binnenlandes in den Händen ein-
heimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen
Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Theil in Besitz der
Könige von Pergamon, und die Inseln und Küstenstädte theils
aegyptisch, theils frei, so daſs dem Groſskönig hier wenig
mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und
eine groſse Anzahl nicht wohl zu realisirender Rechtstitel gegen
freie Städte und Fürsten — ganz und gar wie seiner Zeit die
Herrschaft des deutschen Kaisers auſser seinem Hausgebiet
bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen
Versuchen die Aegypter aus den Küstenlandschaften zu ver-
drängen, in dem Grenzhader mit den östlichen Völkern, den

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[503/0517] DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. lung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der längere Zeit in Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt heim- kehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Scla- ven achtet. Diese derbe Tüchtigkeit und der ungeschwächte Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem mächtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten zu Gute. Wohl ist auch hier der Absolutismus emporgekom- men gegen die alte gewissermaſsen ständische Verfassung; allein Herr und Unterthan stehen doch in Makedonien keines- wegs zu einander wie in Asien und Aegypten und das Volk fühlt sich noch selbstständig und frei. In festem Muth gegen den Landesfeind wie er auch heiſse, in unerschütterlicher Treue gegen die Heimath und die angestammte Regierung, im muthigen Ausharren unter den schwersten Bedrängnissen steht keines unter allen Völkern der alten Geschichte dem römischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion gereicht den leitenden Männern wie dem Volke, das sie leiteten, zu unvergänglicher Ehre. — Der zweite von den Groſsstaaten, Asien war nichts als das ober- flächlich regenerirte und hellenisirte Persien, das Reich des ‚Königs der Könige‘, wie es selbst bezeichnend für seine An- maſsung wie für seine Schwäche sich zu nennen pflegte, mit denselben Ansprüchen vom Hellespont bis zum Pendschab zu gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein Bündel von mehr oder minder abhängigen Dependenzstaaten, unbot- mäſsigen Satrapien und halbfreien griechischen Städten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich der Seleukiden gezählt ward, war thatsächlich die ganze Nordküste und der gröſsere Theil des östlichen Binnenlandes in den Händen ein- heimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Theil in Besitz der Könige von Pergamon, und die Inseln und Küstenstädte theils aegyptisch, theils frei, so daſs dem Groſskönig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und eine groſse Anzahl nicht wohl zu realisirender Rechtstitel gegen freie Städte und Fürsten — ganz und gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers auſser seinem Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen die Aegypter aus den Küstenlandschaften zu ver- drängen, in dem Grenzhader mit den östlichen Völkern, den

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/517>, abgerufen am 22.11.2024.