Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Aetolern, die so eben mit Philippos Friede gemacht, wenigstensdas gute Einvernehmen gestört. Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da König Prusias von Bithy- nien mit Philippos im Bunde war; zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstädte in seinem Gebiet bezwingen. Chalkedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde er- stürmt und dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sclaven gemacht -- eine zwecklose Barbarei, über die Prusias selbst, der die Stadt unbeschädigt zu besitzen wünschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren Strateg in Kios commandirt hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem König schnöde und arglistig vereitelt worden waren. Aber wäre auch dies nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstädte auf dem Spiel. Unmöglich konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle ägyptische Herrschaft verdrängt ward durch das makedonische Zwingherrenthum, mit dem die städ- tische Freiheit und der ungefesselte Handelsverkehr sich nim- mermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, dass es hier nicht galt um das Bestätigungsrecht der städtischen Freibriefe, sondern um Tod und Leben für einen und für alle. Schon war Lampsakos gefallen und Thasos be- handelt worden wie Kios; man musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos Theophiliskos ermahnte seine Bürger die gemeinsame Gefahr durch gemeinsame Gegenwehr abzuwenden und nicht geschehen zu lassen, dass die Städte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute würden. Rhodos entschloss sich und erklärte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der hochbejahrte König Attalos von Pergamon, Phi- lippos politischer und persönlicher Feind. Während die Flotte der Verbündeten sich an der aeolischen Küste sammelte, liess Philippos durch einen Theil der seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem andern erschien er selbst vor Pergamon, das er indess vergeblich berannte. Er musste sich begnügen das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit zerstörten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zu- rückzulassen. Plötzlich brach er von Pergamon auf und schiffte sich ein, um sich mit dem Geschwader, das bei Sa- mos stand, wieder zu vereinigen. Allein die rhodisch-perga- menische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deck- Röm. Gesch. I. 33
DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Aetolern, die so eben mit Philippos Friede gemacht, wenigstensdas gute Einvernehmen gestört. Die Ueberfahrt nach Asien stieſs auf keine Schwierigkeiten, da König Prusias von Bithy- nien mit Philippos im Bunde war; zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstädte in seinem Gebiet bezwingen. Chalkedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde er- stürmt und dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sclaven gemacht — eine zwecklose Barbarei, über die Prusias selbst, der die Stadt unbeschädigt zu besitzen wünschte, verdrieſslich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren Strateg in Kios commandirt hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem König schnöde und arglistig vereitelt worden waren. Aber wäre auch dies nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstädte auf dem Spiel. Unmöglich konnte man zugeben, daſs die milde und fast nur nominelle ägyptische Herrschaft verdrängt ward durch das makedonische Zwingherrenthum, mit dem die städ- tische Freiheit und der ungefesselte Handelsverkehr sich nim- mermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, daſs es hier nicht galt um das Bestätigungsrecht der städtischen Freibriefe, sondern um Tod und Leben für einen und für alle. Schon war Lampsakos gefallen und Thasos be- handelt worden wie Kios; man muſste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos Theophiliskos ermahnte seine Bürger die gemeinsame Gefahr durch gemeinsame Gegenwehr abzuwenden und nicht geschehen zu lassen, daſs die Städte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute würden. Rhodos entschloſs sich und erklärte Philippos den Krieg. Byzanz schloſs sich an; ebenso der hochbejahrte König Attalos von Pergamon, Phi- lippos politischer und persönlicher Feind. Während die Flotte der Verbündeten sich an der aeolischen Küste sammelte, lieſs Philippos durch einen Theil der seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem andern erschien er selbst vor Pergamon, das er indeſs vergeblich berannte. Er muſste sich begnügen das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit zerstörten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zu- rückzulassen. Plötzlich brach er von Pergamon auf und schiffte sich ein, um sich mit dem Geschwader, das bei Sa- mos stand, wieder zu vereinigen. Allein die rhodisch-perga- menische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deck- Röm. Gesch. I. 33
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DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
Aetolern, die so eben mit Philippos Friede gemacht, wenigstens
das gute Einvernehmen gestört. Die Ueberfahrt nach Asien
stieſs auf keine Schwierigkeiten, da König Prusias von Bithy-
nien mit Philippos im Bunde war; zur Vergeltung half Philippos
ihm die griechischen Kaufstädte in seinem Gebiet bezwingen.
Chalkedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde er-
stürmt und dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sclaven
gemacht — eine zwecklose Barbarei, über die Prusias selbst,
der die Stadt unbeschädigt zu besitzen wünschte, verdrieſslich
war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste erbitterte.
Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren
Strateg in Kios commandirt hatte, und die Rhodier, deren
Vermittlungsversuche von dem König schnöde und arglistig
vereitelt worden waren. Aber wäre auch dies nicht gewesen,
es standen die Interessen aller griechischen Kaufstädte auf
dem Spiel. Unmöglich konnte man zugeben, daſs die milde
und fast nur nominelle ägyptische Herrschaft verdrängt ward
durch das makedonische Zwingherrenthum, mit dem die städ-
tische Freiheit und der ungefesselte Handelsverkehr sich nim-
mermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer
zeigte, daſs es hier nicht galt um das Bestätigungsrecht der
städtischen Freibriefe, sondern um Tod und Leben für einen
und für alle. Schon war Lampsakos gefallen und Thasos be-
handelt worden wie Kios; man muſste sich eilen. Der wackere
Strateg von Rhodos Theophiliskos ermahnte seine Bürger die
gemeinsame Gefahr durch gemeinsame Gegenwehr abzuwenden
und nicht geschehen zu lassen, daſs die Städte und Inseln
einzeln dem Feinde zur Beute würden. Rhodos entschloſs
sich und erklärte Philippos den Krieg. Byzanz schloſs sich
an; ebenso der hochbejahrte König Attalos von Pergamon, Phi-
lippos politischer und persönlicher Feind. Während die Flotte
der Verbündeten sich an der aeolischen Küste sammelte, lieſs
Philippos durch einen Theil der seinigen Chios und Samos
wegnehmen. Mit dem andern erschien er selbst vor Pergamon,
das er indeſs vergeblich berannte. Er muſste sich begnügen
das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit
zerstörten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zu-
rückzulassen. Plötzlich brach er von Pergamon auf und
schiffte sich ein, um sich mit dem Geschwader, das bei Sa-
mos stand, wieder zu vereinigen. Allein die rhodisch-perga-
menische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in
der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deck-
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