Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL IX. sich so wenig wie möglich um diese Sündfluth in der Nuss-schale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen über die oberflächlichen, widersprechenden und unklaren Entschei- dungen des Senats; freilich wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegen einander redeten! Dazu kam der persönliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmänner in Rom machten; selbst Flamininus schüttelte den Kopf, als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von Staatsgeschäften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat zuletzt die Geduld völlig ausging und er die Pe- loponnesier beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und dass sie machen könnten was sie wollten (572). Begreif- lich ist dies, aber nicht recht; wie die Römer einmal standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung hier mit Ernst und Consequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 an den Senat ging um sie über die Zustände im Peloponnes aufzuklären und eine folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik wesentlich begründet hat; aber er hatte Recht. So umfasste die Clientel der römischen Gemeinde jetzt DRITTES BUCH. KAPITEL IX. sich so wenig wie möglich um diese Sündfluth in der Nuſs-schale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen über die oberflächlichen, widersprechenden und unklaren Entschei- dungen des Senats; freilich wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegen einander redeten! Dazu kam der persönliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmänner in Rom machten; selbst Flamininus schüttelte den Kopf, als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von Staatsgeschäften unterhielt. Es kam so weit, daſs dem Senat zuletzt die Geduld völlig ausging und er die Pe- loponnesier beschied, daſs er sie nicht mehr bescheiden werde und daſs sie machen könnten was sie wollten (572). Begreif- lich ist dies, aber nicht recht; wie die Römer einmal standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung hier mit Ernst und Consequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 an den Senat ging um sie über die Zustände im Peloponnes aufzuklären und eine folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik wesentlich begründet hat; aber er hatte Recht. So umfasste die Clientel der römischen Gemeinde jetzt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0582" n="568"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL IX.</fw><lb/> sich so wenig wie möglich um diese Sündfluth in der Nuſs-<lb/> schale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen über<lb/> die oberflächlichen, widersprechenden und unklaren Entschei-<lb/> dungen des Senats; freilich wie sollte er klar antworten,<lb/> wenn auf einmal vier Parteien aus Sparta zugleich im Senat<lb/> gegen einander redeten! Dazu kam der persönliche Eindruck,<lb/> den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmänner in<lb/> Rom machten; selbst Flamininus schüttelte den Kopf, als<lb/> ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern<lb/> Tag ihn von Staatsgeschäften unterhielt. 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Aber noch lebte<lb/> ein Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies; der heimath-<lb/> lose Karthager, der erst den ganzen Westen, alsdann den<lb/> ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und der<lb/> vielleicht nur gescheitert war dort an der ehrlosen Aristokra-<lb/> ten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich<lb/> im Frieden verpflichten müssen den Hannibal auszuliefern,<lb/> allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien<lb/> entronnen und lebte jetzt am Hof des Königs Prusias, be-<lb/> schäftigt diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes zu unter-<lb/> stützen und wie immer siegreich zu Wasser und zu Lande.<lb/> Es wird behauptet, daſs er auch den Prusias zum Kriege<lb/> gegen Rom habe reizen wollen; eine Thorheit, die so wie sie<lb/> erzählt wird sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es,<lb/> daſs der römische Senat zwar es unter seiner Würde hielt<lb/> den Greis in seinem letzten Asyl aufjagen zu lassen, — die<lb/> Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt, scheint<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [568/0582]
DRITTES BUCH. KAPITEL IX.
sich so wenig wie möglich um diese Sündfluth in der Nuſs-
schale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen über
die oberflächlichen, widersprechenden und unklaren Entschei-
dungen des Senats; freilich wie sollte er klar antworten,
wenn auf einmal vier Parteien aus Sparta zugleich im Senat
gegen einander redeten! Dazu kam der persönliche Eindruck,
den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmänner in
Rom machten; selbst Flamininus schüttelte den Kopf, als
ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern
Tag ihn von Staatsgeschäften unterhielt. Es kam so weit, daſs
dem Senat zuletzt die Geduld völlig ausging und er die Pe-
loponnesier beschied, daſs er sie nicht mehr bescheiden werde
und daſs sie machen könnten was sie wollten (572). Begreif-
lich ist dies, aber nicht recht; wie die Römer einmal standen,
hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung hier mit
Ernst und Consequenz einen leidlichen Zustand herzustellen.
Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 an den Senat
ging um sie über die Zustände im Peloponnes aufzuklären
und eine folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern,
mag als Mensch noch etwas weniger getaugt haben als sein
Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik wesentlich
begründet hat; aber er hatte Recht.
So umfasste die Clientel der römischen Gemeinde jetzt
die sämmtlichen Staaten von dem östlichen zu dem westlichen
Ende des Mittelmeeres; nirgends bestand ein Staat, den man
der Mühe werth gehalten hätte zu fürchten. Aber noch lebte
ein Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies; der heimath-
lose Karthager, der erst den ganzen Westen, alsdann den
ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und der
vielleicht nur gescheitert war dort an der ehrlosen Aristokra-
ten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich
im Frieden verpflichten müssen den Hannibal auszuliefern,
allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien
entronnen und lebte jetzt am Hof des Königs Prusias, be-
schäftigt diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes zu unter-
stützen und wie immer siegreich zu Wasser und zu Lande.
Es wird behauptet, daſs er auch den Prusias zum Kriege
gegen Rom habe reizen wollen; eine Thorheit, die so wie sie
erzählt wird sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es,
daſs der römische Senat zwar es unter seiner Würde hielt
den Greis in seinem letzten Asyl aufjagen zu lassen, — die
Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt, scheint
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