Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

DRITTES BUCH. KAPITEL IX.
genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Wir wissen von
Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gel-
der, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius
gerichtet wurden, ohne Zweifel nichtige Verläumdungen, die
solche Verbitterung nicht hinreichend erklären; obwohl es
charakteristisch für den Mann ist, dass er seine Rechnungs-
bücher, statt sich einfach dadurch zu rechtfertigen, im Angesicht
des Volks und der Ankläger zerriss und die Römer aufforderte
ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag
seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess den Ankläger
stehen und folgte dem Scipio auf das Capitol; aber es war
dies der letzte schöne Tag des hohen Mannes. Sein stolzer
Sinn, seine Meinung ein anderer und besserer zu sein als
die übrigen Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik,
die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwärtigen
Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und nicht
ohne Grund. Wie der ächte Stolz das Herz beschirmt, so
legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloss
und zerfrisst auch den ursprünglich hochherzigen Sinn.
Ueberall aber gehört es zur Eigenthümlichkeit solcher aus
ächtem Gold und schimmernden Flittern seltsam gemischten
Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glückes und des
Glanzes der Jugend bedürfen um ihren Zauber zu üben, und
dass wenn dieser Zauber zu schwinden anfängt, unter allen
am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht.


DRITTES BUCH. KAPITEL IX.
genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Wir wissen von
Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gel-
der, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius
gerichtet wurden, ohne Zweifel nichtige Verläumdungen, die
solche Verbitterung nicht hinreichend erklären; obwohl es
charakteristisch für den Mann ist, daſs er seine Rechnungs-
bücher, statt sich einfach dadurch zu rechtfertigen, im Angesicht
des Volks und der Ankläger zerriſs und die Römer aufforderte
ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag
seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk lieſs den Ankläger
stehen und folgte dem Scipio auf das Capitol; aber es war
dies der letzte schöne Tag des hohen Mannes. Sein stolzer
Sinn, seine Meinung ein anderer und besserer zu sein als
die übrigen Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik,
die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwärtigen
Strohmann eines Helden groſszog, verletzten viele und nicht
ohne Grund. Wie der ächte Stolz das Herz beschirmt, so
legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloſs
und zerfriſst auch den ursprünglich hochherzigen Sinn.
Ueberall aber gehört es zur Eigenthümlichkeit solcher aus
ächtem Gold und schimmernden Flittern seltsam gemischten
Naturen, wie Scipio eine war, daſs sie des Glückes und des
Glanzes der Jugend bedürfen um ihren Zauber zu üben, und
daſs wenn dieser Zauber zu schwinden anfängt, unter allen
am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0584" n="570"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL IX.</fw><lb/>
genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Wir wissen von<lb/>
Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gel-<lb/>
der, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius<lb/>
gerichtet wurden, ohne Zweifel nichtige Verläumdungen, die<lb/>
solche Verbitterung nicht hinreichend erklären; obwohl es<lb/>
charakteristisch für den Mann ist, da&#x017F;s er seine Rechnungs-<lb/>
bücher, statt sich einfach dadurch zu rechtfertigen, im Angesicht<lb/>
des Volks und der Ankläger zerri&#x017F;s und die Römer aufforderte<lb/>
ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag<lb/>
seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk lie&#x017F;s den Ankläger<lb/>
stehen und folgte dem Scipio auf das Capitol; aber es war<lb/>
dies der letzte schöne Tag des hohen Mannes. Sein stolzer<lb/>
Sinn, seine Meinung ein anderer und besserer zu sein als<lb/>
die übrigen Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik,<lb/>
die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwärtigen<lb/>
Strohmann eines Helden gro&#x017F;szog, verletzten viele und nicht<lb/>
ohne Grund. Wie der ächte Stolz das Herz beschirmt, so<lb/>
legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich blo&#x017F;s<lb/>
und zerfri&#x017F;st auch den ursprünglich hochherzigen Sinn.<lb/>
Ueberall aber gehört es zur Eigenthümlichkeit solcher aus<lb/>
ächtem Gold und schimmernden Flittern seltsam gemischten<lb/>
Naturen, wie Scipio eine war, da&#x017F;s sie des Glückes und des<lb/>
Glanzes der Jugend bedürfen um ihren Zauber zu üben, und<lb/>
da&#x017F;s wenn dieser Zauber zu schwinden anfängt, unter allen<lb/>
am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[570/0584] DRITTES BUCH. KAPITEL IX. genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Wir wissen von Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gel- der, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, ohne Zweifel nichtige Verläumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklären; obwohl es charakteristisch für den Mann ist, daſs er seine Rechnungs- bücher, statt sich einfach dadurch zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der Ankläger zerriſs und die Römer aufforderte ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk lieſs den Ankläger stehen und folgte dem Scipio auf das Capitol; aber es war dies der letzte schöne Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung ein anderer und besserer zu sein als die übrigen Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwärtigen Strohmann eines Helden groſszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der ächte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloſs und zerfriſst auch den ursprünglich hochherzigen Sinn. Ueberall aber gehört es zur Eigenthümlichkeit solcher aus ächtem Gold und schimmernden Flittern seltsam gemischten Naturen, wie Scipio eine war, daſs sie des Glückes und des Glanzes der Jugend bedürfen um ihren Zauber zu üben, und daſs wenn dieser Zauber zu schwinden anfängt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/584
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/584>, abgerufen am 22.11.2024.