Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL X. lich Aenos und Maroneia, obwohl ausdrücklich ihm im Friedenmit Antiochos nur der thrakische Chersonesos zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose geringere seiner sämmt- lichen Nachbarn, über Unterstützung des Königs Prusias gegen Eumenes, über Handelsconcurrenz, über verletzte Contracte und geraubtes Vieh strömten nach Rom; vor dem römischen Senat musste der König von Makedonien von dem souverainen Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen oder Un- recht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urtheil stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Küste, aus den thessalischen und parrhaebischen Städten die Besatzungen wegziehen und die römischen Commissare höflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles vor- schriftmässig ausgeführt sei. Man war in Rom nicht so er- bittert gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hin- sicht dem makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte nicht so rücksichtslos jede Form gegen ihn wie es gegen Kar- thago geschah, aber im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indess Philippos war keineswegs der Mann diese Pein mit phoenikischer Geduld über sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundes- genossen gezürnt als dem ehrenwerthen Gegner, und seit lan- gem gewohnt nicht makedonische, sondern persönliche Politik zu treiben hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts ge- sehen als eine vortreffliche Gelegenheit sich an dem Alliirten, der ihn schmählich im Stich gelassen und verrathen hatte, augenblicklich zu rächen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein die Römer, die sehr gut begriffen, dass nicht die Freundschaft für Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos den Ma- kedonier bestimmte und die überdiess keineswegs nach sol- chen Stimmungen der Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl gehütet irgend etwas Wesentliches zu Philippos Gunsten zu thun und hatten viel- mehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem König Phi- lippos politisch und persönlich aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, die unter allen östlichen Mächten am meisten dazu beigetragen hatten Makedonien und Syrien zu zertrümmern und die römische Clientel auf den Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen DRITTES BUCH. KAPITEL X. lich Aenos und Maroneia, obwohl ausdrücklich ihm im Friedenmit Antiochos nur der thrakische Chersonesos zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose geringere seiner sämmt- lichen Nachbarn, über Unterstützung des Königs Prusias gegen Eumenes, über Handelsconcurrenz, über verletzte Contracte und geraubtes Vieh strömten nach Rom; vor dem römischen Senat muſste der König von Makedonien von dem souverainen Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen oder Un- recht, wie es fiel; er muſste sehen, daſs das Urtheil stets gegen ihn ausfiel, muſste knirschend von der thrakischen Küste, aus den thessalischen und parrhaebischen Städten die Besatzungen wegziehen und die römischen Commissare höflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles vor- schriftmäſsig ausgeführt sei. Man war in Rom nicht so er- bittert gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hin- sicht dem makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte nicht so rücksichtslos jede Form gegen ihn wie es gegen Kar- thago geschah, aber im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indeſs Philippos war keineswegs der Mann diese Pein mit phoenikischer Geduld über sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundes- genossen gezürnt als dem ehrenwerthen Gegner, und seit lan- gem gewohnt nicht makedonische, sondern persönliche Politik zu treiben hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts ge- sehen als eine vortreffliche Gelegenheit sich an dem Alliirten, der ihn schmählich im Stich gelassen und verrathen hatte, augenblicklich zu rächen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein die Römer, die sehr gut begriffen, daſs nicht die Freundschaft für Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos den Ma- kedonier bestimmte und die überdieſs keineswegs nach sol- chen Stimmungen der Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl gehütet irgend etwas Wesentliches zu Philippos Gunsten zu thun und hatten viel- mehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem König Phi- lippos politisch und persönlich aufs bitterste gehaſst wurden, die Attaliden, die unter allen östlichen Mächten am meisten dazu beigetragen hatten Makedonien und Syrien zu zertrümmern und die römische Clientel auf den Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0586" n="572"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
lich Aenos und Maroneia, obwohl ausdrücklich ihm im Frieden
mit Antiochos nur der thrakische Chersonesos zugesprochen war.
All diese Beschwerden und zahllose geringere seiner sämmt-
lichen Nachbarn, über Unterstützung des Königs Prusias gegen
Eumenes, über Handelsconcurrenz, über verletzte Contracte
und geraubtes Vieh strömten nach Rom; vor dem römischen
Senat muſste der König von Makedonien von dem souverainen
Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen oder Un-
recht, wie es fiel; er muſste sehen, daſs das Urtheil stets
gegen ihn ausfiel, muſste knirschend von der thrakischen
Küste, aus den thessalischen und parrhaebischen Städten die
Besatzungen wegziehen und die römischen Commissare höflich
empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles vor-
schriftmäſsig ausgeführt sei. Man war in Rom nicht so er-
bittert gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hin-
sicht dem makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte
nicht so rücksichtslos jede Form gegen ihn wie es gegen Kar-
thago geschah, aber im Grunde war die Lage Makedoniens
wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indeſs Philippos war
keineswegs der Mann diese Pein mit phoenikischer Geduld
über sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war,
hatte er nach seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundes-
genossen gezürnt als dem ehrenwerthen Gegner, und seit lan-
gem gewohnt nicht makedonische, sondern persönliche Politik
zu treiben hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts ge-
sehen als eine vortreffliche Gelegenheit sich an dem Alliirten,
der ihn schmählich im Stich gelassen und verrathen hatte,
augenblicklich zu rächen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein
die Römer, die sehr gut begriffen, daſs nicht die Freundschaft
für Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos den Ma-
kedonier bestimmte und die überdieſs keineswegs nach sol-
chen Stimmungen der Neigung und Abneigung ihre Politik
zu regeln pflegten, hatten sich wohl gehütet irgend etwas
Wesentliches zu Philippos Gunsten zu thun und hatten viel-
mehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit
Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem König Phi-
lippos politisch und persönlich aufs bitterste gehaſst wurden,
die Attaliden, die unter allen östlichen Mächten am meisten
dazu beigetragen hatten Makedonien und Syrien zu zertrümmern
und die römische Clientel auf den Osten auszudehnen, die
Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig
und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen
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