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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
sorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier an zur Ehe
und Kinderzeugung; er besetzte die Küstenstädte, aus denen
er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolo-
nisten, deren Treue und Wehrhaftigkeit er gewiss war; er
zog, um die verheerenden Einfälle der Dardaner ein für alle-
mal abzuwehren, gegen Norden eine Militärgrenze, indem er
das Zwischenland jenseit der Landesgrenze bis an das bar-
barische Gebiet zur Einöde machte, und gründete neue Städte
in den nördlichen Provinzen. Kurz, er that Zug für Zug das-
selbe für Makedonien, wodurch später Augustus das römische
Reich zum zweitenmal gründete. Die Armee war zahlreich
-- 30000 Mann ohne die Zuzüge und die Miethstruppen zu
rechnen -- und die junge Mannschaft kriegsgeübt durch den
beständigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Selt-
sam ist es, dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte
sein Heer römisch zu organisiren; allein es begreift sich, wenn
man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft über-
wundene, aber doch noch immer unüberwindlich geglaubte
Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen, die Philippos
in Bergwerken, Zöllen und Zehnten sich geschaffen hatte, und
den aufblühenden Ackerbau und Handel war es gelungen den
Schatz, die Speicher und die Arsenale zu füllen; als der Krieg
begann, lag im makedonischen Staatsschatz Geld genug um
für das dermalige Heer und für 10000 Mann Miethstruppen
auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in den
öffentlichen Magazinen Getreidevorräthe auf eben so lange Zeit
(18 Mill. Medimnen oder preuss. Scheffel) und Waffen für ein
dreifach so starkes Heer als das gegenwärtige war. In der
That war Makedonien ein ganz anderer Staat geworden als
da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom über-
rascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen
mindestens verdoppelt und mit einer in jeder Hinsicht weit
geringeren hatte Hannibal es vermocht Rom bis in seine
Grundfesten zu erschüttern. -- Nicht so günstig standen die
äusseren Verhältnisse. Es lag in der Natur der Sache, dass
Makedonien jetzt die Pläne von Hannibal und von Antiochos
wieder aufnehmen und versuchen musste sich an die Spitze
einer Coalition aller unterdrückten Staaten gegen Roms Supre-
matie zu stellen; und allerdings gingen die Fäden vom Hofe
zu Pydna nach allen Seiten; indess der Erfolg war gering.
Dass die Treue der Italiker schwanke, ward wohl behauptet;
allein es konnte weder Freund noch Feind entgehen, dass

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sorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier an zur Ehe
und Kinderzeugung; er besetzte die Küstenstädte, aus denen
er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolo-
nisten, deren Treue und Wehrhaftigkeit er gewiſs war; er
zog, um die verheerenden Einfälle der Dardaner ein für alle-
mal abzuwehren, gegen Norden eine Militärgrenze, indem er
das Zwischenland jenseit der Landesgrenze bis an das bar-
barische Gebiet zur Einöde machte, und gründete neue Städte
in den nördlichen Provinzen. Kurz, er that Zug für Zug das-
selbe für Makedonien, wodurch später Augustus das römische
Reich zum zweitenmal gründete. Die Armee war zahlreich
— 30000 Mann ohne die Zuzüge und die Miethstruppen zu
rechnen — und die junge Mannschaft kriegsgeübt durch den
beständigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Selt-
sam ist es, daſs Philippos nicht wie Hannibal es versuchte
sein Heer römisch zu organisiren; allein es begreift sich, wenn
man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft über-
wundene, aber doch noch immer unüberwindlich geglaubte
Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen, die Philippos
in Bergwerken, Zöllen und Zehnten sich geschaffen hatte, und
den aufblühenden Ackerbau und Handel war es gelungen den
Schatz, die Speicher und die Arsenale zu füllen; als der Krieg
begann, lag im makedonischen Staatsschatz Geld genug um
für das dermalige Heer und für 10000 Mann Miethstruppen
auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in den
öffentlichen Magazinen Getreidevorräthe auf eben so lange Zeit
(18 Mill. Medimnen oder preuſs. Scheffel) und Waffen für ein
dreifach so starkes Heer als das gegenwärtige war. In der
That war Makedonien ein ganz anderer Staat geworden als
da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom über-
rascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen
mindestens verdoppelt und mit einer in jeder Hinsicht weit
geringeren hatte Hannibal es vermocht Rom bis in seine
Grundfesten zu erschüttern. — Nicht so günstig standen die
äuſseren Verhältnisse. Es lag in der Natur der Sache, daſs
Makedonien jetzt die Pläne von Hannibal und von Antiochos
wieder aufnehmen und versuchen muſste sich an die Spitze
einer Coalition aller unterdrückten Staaten gegen Roms Supre-
matie zu stellen; und allerdings gingen die Fäden vom Hofe
zu Pydna nach allen Seiten; indeſs der Erfolg war gering.
Daſs die Treue der Italiker schwanke, ward wohl behauptet;
allein es konnte weder Freund noch Feind entgehen, daſs

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[576/0590] DRITTES BUCH. KAPITEL X. sorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die Küstenstädte, aus denen er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolo- nisten, deren Treue und Wehrhaftigkeit er gewiſs war; er zog, um die verheerenden Einfälle der Dardaner ein für alle- mal abzuwehren, gegen Norden eine Militärgrenze, indem er das Zwischenland jenseit der Landesgrenze bis an das bar- barische Gebiet zur Einöde machte, und gründete neue Städte in den nördlichen Provinzen. Kurz, er that Zug für Zug das- selbe für Makedonien, wodurch später Augustus das römische Reich zum zweitenmal gründete. Die Armee war zahlreich — 30000 Mann ohne die Zuzüge und die Miethstruppen zu rechnen — und die junge Mannschaft kriegsgeübt durch den beständigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Selt- sam ist es, daſs Philippos nicht wie Hannibal es versuchte sein Heer römisch zu organisiren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft über- wundene, aber doch noch immer unüberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen, die Philippos in Bergwerken, Zöllen und Zehnten sich geschaffen hatte, und den aufblühenden Ackerbau und Handel war es gelungen den Schatz, die Speicher und die Arsenale zu füllen; als der Krieg begann, lag im makedonischen Staatsschatz Geld genug um für das dermalige Heer und für 10000 Mann Miethstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in den öffentlichen Magazinen Getreidevorräthe auf eben so lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preuſs. Scheffel) und Waffen für ein dreifach so starkes Heer als das gegenwärtige war. In der That war Makedonien ein ganz anderer Staat geworden als da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom über- rascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen mindestens verdoppelt und mit einer in jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es vermocht Rom bis in seine Grundfesten zu erschüttern. — Nicht so günstig standen die äuſseren Verhältnisse. Es lag in der Natur der Sache, daſs Makedonien jetzt die Pläne von Hannibal und von Antiochos wieder aufnehmen und versuchen muſste sich an die Spitze einer Coalition aller unterdrückten Staaten gegen Roms Supre- matie zu stellen; und allerdings gingen die Fäden vom Hofe zu Pydna nach allen Seiten; indeſs der Erfolg war gering. Daſs die Treue der Italiker schwanke, ward wohl behauptet; allein es konnte weder Freund noch Feind entgehen, daſs

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/590>, abgerufen am 22.11.2024.