Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

ERSTES BUCH. KAPITEL V.
man darin nur einen vorübergehenden Versuch erkennen die
Bundescontingente in eine einheitliche Armee zu verwandeln
und die latinischen Gemeinden in Rom aufgehen zu lassen.
Das Obercommando sollte wechseln zwischen Rom und Latium,
so dass nur in den Jahren, wo Rom den Befehlshaber stellte,
die latinischen Zuzüge vor den Thoren Roms erschienen und
am Thor den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als ihren
Feldherrn begrüssten, wenn die vom latinischen Bundesrath
dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögel-
flugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl ver-
sichert hatten. Ebenso wurde, was im Bundeskrieg an Land
und Gut gewonnen war, zu gleichen Theilen zwischen Rom und
Latium getheilt. Während sonach in allen inneren Beziehun-
gen mit eifersüchtiger Strenge gehalten ward auf die strengste
Gleichheit in Rechten und Pflichten, trat die römisch-latinische
Föderation gegen aussen auf als Einheit. Nach dem römischen
Staatsrecht widerstreitet es dem Begriff des ,gleichen Bünd-
nisses' nicht, dass dasselbe dem Einzelstaate jeden Separatver-
trag mit dem Ausland untersagt und den Entscheid über Krieg,
Frieden und Vertrag ausschliesslich in die Hände eines der Ver-
bündeten giebt; ganz so weit indess ging das latinische Bünd-
niss nicht zu Gunsten Roms. Es war weder Rom noch Latium
darin untersagt auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen,
wo dann freilich auch den Verbündeten nicht oblag Zuzug
zu leisten. Indess wenn einmal sei es nach Bundesschluss,
sei es im Fall eines Vertheidigungskrieges ein Bundeskrieg
begonnen hatte, so lag dessen Leitung und Beendigung
unbeschränkt in der Hand des Bundesfeldherrn; und dass
im Frieden Rom für die ganze latinische Landschaft Verträge
abschloss, beweist der Handelstractat mit Karthago. Ob in
solchem Fall, um denselben rechtlich bindend für die ganze
Genossenschaft zu machen, noch ein Beschluss des latinischen
Bundesraths nothwendig war oder Rom kraft seiner Hegemonie
ein für allemal im gewöhnlichen Verkehr die Eidgenossenschaft
dem Ausland gegenüber vertrat, können wir nicht mehr aus-
machen; eine factische Hegemonie hat Rom unzweifelhaft be-
ständig besessen und behauptet, wie es ja denn auch eben in
diesem Vertrag eine Botmässigkeit über die latinischen Staaten
in Anspruch nimmt.

So war Rom durch die Gunst der Götter und die Kraft
der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt die
mächtige Hauptstadt einer blühenden Landschaft geworden.

ERSTES BUCH. KAPITEL V.
man darin nur einen vorübergehenden Versuch erkennen die
Bundescontingente in eine einheitliche Armee zu verwandeln
und die latinischen Gemeinden in Rom aufgehen zu lassen.
Das Obercommando sollte wechseln zwischen Rom und Latium,
so daſs nur in den Jahren, wo Rom den Befehlshaber stellte,
die latinischen Zuzüge vor den Thoren Roms erschienen und
am Thor den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als ihren
Feldherrn begrüſsten, wenn die vom latinischen Bundesrath
dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögel-
flugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl ver-
sichert hatten. Ebenso wurde, was im Bundeskrieg an Land
und Gut gewonnen war, zu gleichen Theilen zwischen Rom und
Latium getheilt. Während sonach in allen inneren Beziehun-
gen mit eifersüchtiger Strenge gehalten ward auf die strengste
Gleichheit in Rechten und Pflichten, trat die römisch-latinische
Föderation gegen auſsen auf als Einheit. Nach dem römischen
Staatsrecht widerstreitet es dem Begriff des ‚gleichen Bünd-
nisses‘ nicht, daſs dasselbe dem Einzelstaate jeden Separatver-
trag mit dem Ausland untersagt und den Entscheid über Krieg,
Frieden und Vertrag ausschlieſslich in die Hände eines der Ver-
bündeten giebt; ganz so weit indeſs ging das latinische Bünd-
niſs nicht zu Gunsten Roms. Es war weder Rom noch Latium
darin untersagt auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen,
wo dann freilich auch den Verbündeten nicht oblag Zuzug
zu leisten. Indeſs wenn einmal sei es nach Bundesschluſs,
sei es im Fall eines Vertheidigungskrieges ein Bundeskrieg
begonnen hatte, so lag dessen Leitung und Beendigung
unbeschränkt in der Hand des Bundesfeldherrn; und daſs
im Frieden Rom für die ganze latinische Landschaft Verträge
abschloſs, beweist der Handelstractat mit Karthago. Ob in
solchem Fall, um denselben rechtlich bindend für die ganze
Genossenschaft zu machen, noch ein Beschluſs des latinischen
Bundesraths nothwendig war oder Rom kraft seiner Hegemonie
ein für allemal im gewöhnlichen Verkehr die Eidgenossenschaft
dem Ausland gegenüber vertrat, können wir nicht mehr aus-
machen; eine factische Hegemonie hat Rom unzweifelhaft be-
ständig besessen und behauptet, wie es ja denn auch eben in
diesem Vertrag eine Botmäſsigkeit über die latinischen Staaten
in Anspruch nimmt.

So war Rom durch die Gunst der Götter und die Kraft
der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt die
mächtige Hauptstadt einer blühenden Landschaft geworden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0060" n="46"/><fw place="top" type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL V.</fw><lb/>
man darin nur einen vorübergehenden Versuch erkennen die<lb/>
Bundescontingente in eine einheitliche Armee zu verwandeln<lb/>
und die latinischen Gemeinden in Rom aufgehen zu lassen.<lb/>
Das Obercommando sollte wechseln zwischen Rom und Latium,<lb/>
so da&#x017F;s nur in den Jahren, wo Rom den Befehlshaber stellte,<lb/>
die latinischen Zuzüge vor den Thoren Roms erschienen und<lb/>
am Thor den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als ihren<lb/>
Feldherrn begrü&#x017F;sten, wenn die vom latinischen Bundesrath<lb/>
dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögel-<lb/>
flugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl ver-<lb/>
sichert hatten. Ebenso wurde, was im Bundeskrieg an Land<lb/>
und Gut gewonnen war, zu gleichen Theilen zwischen Rom und<lb/>
Latium getheilt. Während sonach in allen inneren Beziehun-<lb/>
gen mit eifersüchtiger Strenge gehalten ward auf die strengste<lb/>
Gleichheit in Rechten und Pflichten, trat die römisch-latinische<lb/>
Föderation gegen au&#x017F;sen auf als Einheit. Nach dem römischen<lb/>
Staatsrecht widerstreitet es dem Begriff des &#x201A;gleichen Bünd-<lb/>
nisses&#x2018; nicht, da&#x017F;s dasselbe dem Einzelstaate jeden Separatver-<lb/>
trag mit dem Ausland untersagt und den Entscheid über Krieg,<lb/>
Frieden und Vertrag ausschlie&#x017F;slich in die Hände eines der Ver-<lb/>
bündeten giebt; ganz so weit inde&#x017F;s ging das latinische Bünd-<lb/>
ni&#x017F;s nicht zu Gunsten Roms. Es war weder Rom noch Latium<lb/>
darin untersagt auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen,<lb/>
wo dann freilich auch den Verbündeten nicht oblag Zuzug<lb/>
zu leisten. Inde&#x017F;s wenn einmal sei es nach Bundesschlu&#x017F;s,<lb/>
sei es im Fall eines Vertheidigungskrieges ein Bundeskrieg<lb/>
begonnen hatte, so lag dessen Leitung und Beendigung<lb/>
unbeschränkt in der Hand des Bundesfeldherrn; und da&#x017F;s<lb/>
im Frieden Rom für die ganze latinische Landschaft Verträge<lb/>
abschlo&#x017F;s, beweist der Handelstractat mit Karthago. Ob in<lb/>
solchem Fall, um denselben rechtlich bindend für die ganze<lb/>
Genossenschaft zu machen, noch ein Beschlu&#x017F;s des latinischen<lb/>
Bundesraths nothwendig war oder Rom kraft seiner Hegemonie<lb/>
ein für allemal im gewöhnlichen Verkehr die Eidgenossenschaft<lb/>
dem Ausland gegenüber vertrat, können wir nicht mehr aus-<lb/>
machen; eine factische Hegemonie hat Rom unzweifelhaft be-<lb/>
ständig besessen und behauptet, wie es ja denn auch eben in<lb/>
diesem Vertrag eine Botmä&#x017F;sigkeit über die latinischen Staaten<lb/>
in Anspruch nimmt.</p><lb/>
          <p>So war Rom durch die Gunst der Götter und die Kraft<lb/>
der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt die<lb/>
mächtige Hauptstadt einer blühenden Landschaft geworden.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0060] ERSTES BUCH. KAPITEL V. man darin nur einen vorübergehenden Versuch erkennen die Bundescontingente in eine einheitliche Armee zu verwandeln und die latinischen Gemeinden in Rom aufgehen zu lassen. Das Obercommando sollte wechseln zwischen Rom und Latium, so daſs nur in den Jahren, wo Rom den Befehlshaber stellte, die latinischen Zuzüge vor den Thoren Roms erschienen und am Thor den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als ihren Feldherrn begrüſsten, wenn die vom latinischen Bundesrath dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögel- flugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl ver- sichert hatten. Ebenso wurde, was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, zu gleichen Theilen zwischen Rom und Latium getheilt. Während sonach in allen inneren Beziehun- gen mit eifersüchtiger Strenge gehalten ward auf die strengste Gleichheit in Rechten und Pflichten, trat die römisch-latinische Föderation gegen auſsen auf als Einheit. Nach dem römischen Staatsrecht widerstreitet es dem Begriff des ‚gleichen Bünd- nisses‘ nicht, daſs dasselbe dem Einzelstaate jeden Separatver- trag mit dem Ausland untersagt und den Entscheid über Krieg, Frieden und Vertrag ausschlieſslich in die Hände eines der Ver- bündeten giebt; ganz so weit indeſs ging das latinische Bünd- niſs nicht zu Gunsten Roms. Es war weder Rom noch Latium darin untersagt auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen, wo dann freilich auch den Verbündeten nicht oblag Zuzug zu leisten. Indeſs wenn einmal sei es nach Bundesschluſs, sei es im Fall eines Vertheidigungskrieges ein Bundeskrieg begonnen hatte, so lag dessen Leitung und Beendigung unbeschränkt in der Hand des Bundesfeldherrn; und daſs im Frieden Rom für die ganze latinische Landschaft Verträge abschloſs, beweist der Handelstractat mit Karthago. Ob in solchem Fall, um denselben rechtlich bindend für die ganze Genossenschaft zu machen, noch ein Beschluſs des latinischen Bundesraths nothwendig war oder Rom kraft seiner Hegemonie ein für allemal im gewöhnlichen Verkehr die Eidgenossenschaft dem Ausland gegenüber vertrat, können wir nicht mehr aus- machen; eine factische Hegemonie hat Rom unzweifelhaft be- ständig besessen und behauptet, wie es ja denn auch eben in diesem Vertrag eine Botmäſsigkeit über die latinischen Staaten in Anspruch nimmt. So war Rom durch die Gunst der Götter und die Kraft der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt die mächtige Hauptstadt einer blühenden Landschaft geworden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/60
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/60>, abgerufen am 24.11.2024.