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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
vornehm herab auf den ahnenlosen Beller und glaubten nicht
mit Unrecht ihn weit zu übersehen; aber es blieb denn doch
unbequem, dass der Bauer sie alle bei der Bewerbung um die
Censur aus dem Felde schlug und dann als Censor 570 mit
seinem adlichen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus den Bru-
der des Africaners aus der Ritterliste strich wegen der an-
geblich von ihm unterschlagenen syrischen Gelder und den
Bruder des Befreiers der Griechen gar aus dem Senat stiess
wegen der schandbaren Ermordung eines wehrlosen Feindes --
als Höchstcommandirender im gallischen Lager hatte derselbe,
um seinen Buhlknaben für die versäumten Fechterspiele zu
entschädigen, einen zu ihm sich flüchtenden Boier mit eigener
Hand beim Gelage niedergestossen. Cato stützte sich bei
seiner rücksichtslosen Opposition vor allem auf die Bauer-
schaft, die in ihren Comitien ihn nie fallen liess, so oft auch
seine Feinde ihn durch Anklagen zu stürzen suchten. Seinen
Gegnern stand die Adelspartei zur Seite, doch muss es aner-
kannt werden, dass der Adel, wo er als Gesammtheit auftrat,
in dieser Zeit noch keineswegs geneigt war seinen Mitgliedern
alles nachzusehen, sondern der Senat lange Zeit ernstliche
und wohlgemeinte Anstrengungen machte den ärgsten Miss-
bräuchen zu steuern, wesshalb Cato auch im Senat eine un-
gemein ansehnliche Stellung einnahm. Ein grosser Mann
war er nicht und am wenigsten ein weitblickender Staats-
mann; nie hat er einen Versuch gemacht die Quellen des
Uebels zu verstopfen und sein ganzes Leben damit verbracht
gegen Symptome zu fechten und mit Polizei und Justiz den
Zeitgeist zu bannen. Aber wie er war, ein Feind aller Bü-
berei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialität, hat
er durch seine furcht- und mitleidlosen Angriffe und durch
seine unglaubliche Rührigkeit dem Lande wenigstens das ge-
nützt, dass der Strom der Corruption auf einige Jahrzehende
zurückgestaut ward.

Man findet die hellenistischen Tendenzen so wie die na-
tionale Opposition wieder auf allen Gebieten des Denkens
und des Thuns der damaligen Zeit; und fast überall ist auch
Cato wieder thätig. Ihren Keim aber und ihren wesentlichen
Sitz haben jene in der Litteratur und Kunst, welche in der
gegenwärtigen Epoche anfangen auch in Italien wie längst
schon in den griechischen Staaten ein wesentliches Element
der Politien und der Politik zu werden. Noch im Anfang
dieser Periode war das nicht der Fall. Man zeichnete auf

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
vornehm herab auf den ahnenlosen Beller und glaubten nicht
mit Unrecht ihn weit zu übersehen; aber es blieb denn doch
unbequem, daſs der Bauer sie alle bei der Bewerbung um die
Censur aus dem Felde schlug und dann als Censor 570 mit
seinem adlichen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus den Bru-
der des Africaners aus der Ritterliste strich wegen der an-
geblich von ihm unterschlagenen syrischen Gelder und den
Bruder des Befreiers der Griechen gar aus dem Senat stieſs
wegen der schandbaren Ermordung eines wehrlosen Feindes —
als Höchstcommandirender im gallischen Lager hatte derselbe,
um seinen Buhlknaben für die versäumten Fechterspiele zu
entschädigen, einen zu ihm sich flüchtenden Boier mit eigener
Hand beim Gelage niedergestoſsen. Cato stützte sich bei
seiner rücksichtslosen Opposition vor allem auf die Bauer-
schaft, die in ihren Comitien ihn nie fallen lieſs, so oft auch
seine Feinde ihn durch Anklagen zu stürzen suchten. Seinen
Gegnern stand die Adelspartei zur Seite, doch muſs es aner-
kannt werden, daſs der Adel, wo er als Gesammtheit auftrat,
in dieser Zeit noch keineswegs geneigt war seinen Mitgliedern
alles nachzusehen, sondern der Senat lange Zeit ernstliche
und wohlgemeinte Anstrengungen machte den ärgsten Miſs-
bräuchen zu steuern, weſshalb Cato auch im Senat eine un-
gemein ansehnliche Stellung einnahm. Ein groſser Mann
war er nicht und am wenigsten ein weitblickender Staats-
mann; nie hat er einen Versuch gemacht die Quellen des
Uebels zu verstopfen und sein ganzes Leben damit verbracht
gegen Symptome zu fechten und mit Polizei und Justiz den
Zeitgeist zu bannen. Aber wie er war, ein Feind aller Bü-
berei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialität, hat
er durch seine furcht- und mitleidlosen Angriffe und durch
seine unglaubliche Rührigkeit dem Lande wenigstens das ge-
nützt, daſs der Strom der Corruption auf einige Jahrzehende
zurückgestaut ward.

Man findet die hellenistischen Tendenzen so wie die na-
tionale Opposition wieder auf allen Gebieten des Denkens
und des Thuns der damaligen Zeit; und fast überall ist auch
Cato wieder thätig. Ihren Keim aber und ihren wesentlichen
Sitz haben jene in der Litteratur und Kunst, welche in der
gegenwärtigen Epoche anfangen auch in Italien wie längst
schon in den griechischen Staaten ein wesentliches Element
der Politien und der Politik zu werden. Noch im Anfang
dieser Periode war das nicht der Fall. Man zeichnete auf

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[628/0642] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. vornehm herab auf den ahnenlosen Beller und glaubten nicht mit Unrecht ihn weit zu übersehen; aber es blieb denn doch unbequem, daſs der Bauer sie alle bei der Bewerbung um die Censur aus dem Felde schlug und dann als Censor 570 mit seinem adlichen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus den Bru- der des Africaners aus der Ritterliste strich wegen der an- geblich von ihm unterschlagenen syrischen Gelder und den Bruder des Befreiers der Griechen gar aus dem Senat stieſs wegen der schandbaren Ermordung eines wehrlosen Feindes — als Höchstcommandirender im gallischen Lager hatte derselbe, um seinen Buhlknaben für die versäumten Fechterspiele zu entschädigen, einen zu ihm sich flüchtenden Boier mit eigener Hand beim Gelage niedergestoſsen. Cato stützte sich bei seiner rücksichtslosen Opposition vor allem auf die Bauer- schaft, die in ihren Comitien ihn nie fallen lieſs, so oft auch seine Feinde ihn durch Anklagen zu stürzen suchten. Seinen Gegnern stand die Adelspartei zur Seite, doch muſs es aner- kannt werden, daſs der Adel, wo er als Gesammtheit auftrat, in dieser Zeit noch keineswegs geneigt war seinen Mitgliedern alles nachzusehen, sondern der Senat lange Zeit ernstliche und wohlgemeinte Anstrengungen machte den ärgsten Miſs- bräuchen zu steuern, weſshalb Cato auch im Senat eine un- gemein ansehnliche Stellung einnahm. Ein groſser Mann war er nicht und am wenigsten ein weitblickender Staats- mann; nie hat er einen Versuch gemacht die Quellen des Uebels zu verstopfen und sein ganzes Leben damit verbracht gegen Symptome zu fechten und mit Polizei und Justiz den Zeitgeist zu bannen. Aber wie er war, ein Feind aller Bü- berei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialität, hat er durch seine furcht- und mitleidlosen Angriffe und durch seine unglaubliche Rührigkeit dem Lande wenigstens das ge- nützt, daſs der Strom der Corruption auf einige Jahrzehende zurückgestaut ward. Man findet die hellenistischen Tendenzen so wie die na- tionale Opposition wieder auf allen Gebieten des Denkens und des Thuns der damaligen Zeit; und fast überall ist auch Cato wieder thätig. Ihren Keim aber und ihren wesentlichen Sitz haben jene in der Litteratur und Kunst, welche in der gegenwärtigen Epoche anfangen auch in Italien wie längst schon in den griechischen Staaten ein wesentliches Element der Politien und der Politik zu werden. Noch im Anfang dieser Periode war das nicht der Fall. Man zeichnete auf

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/642>, abgerufen am 16.07.2024.