aber wenn er es that, so vergass er, dass seine Machtfülle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer schützte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm geschworen, und wenn sich gegen ihn die Waffen kehrten, mit denen man ihm bei seinem Antritt gehuldigt hatte? Die rechtliche Beschränkung aber der Königsgewalt lag darin, dass er das Gesetz nur zu üben, nicht zu ändern befugt war, jede Abweichung vom Ge- setze vielmehr entweder von der Volksversammlung im Voraus gutgeheissen sein musste oder ein illegaler und tyrannischer Act war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So ist sitt- lich und rechtlich die römische Königsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveränetät und überhaupt im modernen Leben so wenig vom römischen Hause wie vom römischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.
Die mächtigste äussere Schranke, welche Herkommen und Sitte der absoluten Gewalt entgegenstellten, ist in dem Satze ausgesprochen, dass es weder dem Hausvater noch dem König ziemt sich in wichtigen Fällen zu entscheiden, ohne anderer Männer Rath vernommen zu haben. So ist die eheherr- liche und väterliche Gewalt umgrenzt worden durch den Fa- milienrath und noch weit schärfer ausgeprägt besteht für den König wie überhaupt für die gesammte römische Magistratur aller Epochen die Regel, dass in wichtigen Fällen vor Fassung des Beschlusses die Freunde, das ist für den König der Rath der Alten um ihre Meinung befragt werden müssen, so dass dieser einen bestimmenden Einfluss auf die wichtigen Landes- angelegenheiten gewann, ohne dass doch die Unbeschränktheit der Königsgewalt dadurch rechtlich aufgehoben wurde. -- Der Rath der Aelteren, der senatus ist der römische Staatsrath, mit dem der König alle Angelegenheiten zu berathen hat, die nicht richterlicher oder militärischer Natur sind. Er ist kei- neswegs bloss die Versammlung dieser oder jener Freunde des Königs, die zuzuziehen dem König beliebt hat, sondern eine dauernde politische Institution, in der sogar ein gewisser Repräsentativcharakter in der ältesten Zeit unverkennbar her- vortritt. Als die Geschlechtergaue zusammentraten und sich einen gemeinschaftlichen König ernannten, scheint jedes Ge- schlecht durch seinen Aeltesten vertreten worden zu sein, der gewissermassen den Patriarchen des Geschlechts repräsentirte und darum ,Ascendent' (pater) genannt ward; diese Aeltesten, die ,Ascendenten' (patres) bildeten den ursprünglichen Senat.
ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
aber wenn er es that, so vergaſs er, daſs seine Machtfülle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer schützte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergaſs, den es ihm geschworen, und wenn sich gegen ihn die Waffen kehrten, mit denen man ihm bei seinem Antritt gehuldigt hatte? Die rechtliche Beschränkung aber der Königsgewalt lag darin, daſs er das Gesetz nur zu üben, nicht zu ändern befugt war, jede Abweichung vom Ge- setze vielmehr entweder von der Volksversammlung im Voraus gutgeheiſsen sein muſste oder ein illegaler und tyrannischer Act war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So ist sitt- lich und rechtlich die römische Königsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveränetät und überhaupt im modernen Leben so wenig vom römischen Hause wie vom römischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.
Die mächtigste äuſsere Schranke, welche Herkommen und Sitte der absoluten Gewalt entgegenstellten, ist in dem Satze ausgesprochen, daſs es weder dem Hausvater noch dem König ziemt sich in wichtigen Fällen zu entscheiden, ohne anderer Männer Rath vernommen zu haben. So ist die eheherr- liche und väterliche Gewalt umgrenzt worden durch den Fa- milienrath und noch weit schärfer ausgeprägt besteht für den König wie überhaupt für die gesammte römische Magistratur aller Epochen die Regel, daſs in wichtigen Fällen vor Fassung des Beschlusses die Freunde, das ist für den König der Rath der Alten um ihre Meinung befragt werden müssen, so daſs dieser einen bestimmenden Einfluſs auf die wichtigen Landes- angelegenheiten gewann, ohne daſs doch die Unbeschränktheit der Königsgewalt dadurch rechtlich aufgehoben wurde. — Der Rath der Aelteren, der senatus ist der römische Staatsrath, mit dem der König alle Angelegenheiten zu berathen hat, die nicht richterlicher oder militärischer Natur sind. Er ist kei- neswegs bloſs die Versammlung dieser oder jener Freunde des Königs, die zuzuziehen dem König beliebt hat, sondern eine dauernde politische Institution, in der sogar ein gewisser Repräsentativcharakter in der ältesten Zeit unverkennbar her- vortritt. Als die Geschlechtergaue zusammentraten und sich einen gemeinschaftlichen König ernannten, scheint jedes Ge- schlecht durch seinen Aeltesten vertreten worden zu sein, der gewissermaſsen den Patriarchen des Geschlechts repräsentirte und darum ‚Ascendent‘ (pater) genannt ward; diese Aeltesten, die ‚Ascendenten‘ (patres) bildeten den ursprünglichen Senat.
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ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
aber wenn er es that, so vergaſs er, daſs seine Machtfülle
nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von
dem Volke, das er vertrat, und wer schützte ihn, wenn dieses
wieder des Eides vergaſs, den es ihm geschworen, und wenn
sich gegen ihn die Waffen kehrten, mit denen man ihm bei
seinem Antritt gehuldigt hatte? Die rechtliche Beschränkung
aber der Königsgewalt lag darin, daſs er das Gesetz nur zu
üben, nicht zu ändern befugt war, jede Abweichung vom Ge-
setze vielmehr entweder von der Volksversammlung im Voraus
gutgeheiſsen sein muſste oder ein illegaler und tyrannischer
Act war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So ist sitt-
lich und rechtlich die römische Königsgewalt im tiefsten Grunde
verschieden von der heutigen Souveränetät und überhaupt im
modernen Leben so wenig vom römischen Hause wie vom
römischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.
Die mächtigste äuſsere Schranke, welche Herkommen und
Sitte der absoluten Gewalt entgegenstellten, ist in dem Satze
ausgesprochen, daſs es weder dem Hausvater noch dem König
ziemt sich in wichtigen Fällen zu entscheiden, ohne anderer
Männer Rath vernommen zu haben. So ist die eheherr-
liche und väterliche Gewalt umgrenzt worden durch den Fa-
milienrath und noch weit schärfer ausgeprägt besteht für den
König wie überhaupt für die gesammte römische Magistratur
aller Epochen die Regel, daſs in wichtigen Fällen vor Fassung
des Beschlusses die Freunde, das ist für den König der Rath
der Alten um ihre Meinung befragt werden müssen, so daſs
dieser einen bestimmenden Einfluſs auf die wichtigen Landes-
angelegenheiten gewann, ohne daſs doch die Unbeschränktheit
der Königsgewalt dadurch rechtlich aufgehoben wurde. — Der
Rath der Aelteren, der senatus ist der römische Staatsrath,
mit dem der König alle Angelegenheiten zu berathen hat, die
nicht richterlicher oder militärischer Natur sind. Er ist kei-
neswegs bloſs die Versammlung dieser oder jener Freunde
des Königs, die zuzuziehen dem König beliebt hat, sondern
eine dauernde politische Institution, in der sogar ein gewisser
Repräsentativcharakter in der ältesten Zeit unverkennbar her-
vortritt. Als die Geschlechtergaue zusammentraten und sich
einen gemeinschaftlichen König ernannten, scheint jedes Ge-
schlecht durch seinen Aeltesten vertreten worden zu sein, der
gewissermaſsen den Patriarchen des Geschlechts repräsentirte
und darum ‚Ascendent‘ (pater) genannt ward; diese
Aeltesten,
die ‚Ascendenten‘ (patres) bildeten den ursprünglichen
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/70>, abgerufen am 21.11.2024.
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