Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ERSTES BUCH. KAPITEL VI. noch weniger der Rath sich ungeladen versammeln. DerRathschlag ist kein Befehl; der König kann es unterlassen ihm zu folgen, ohne dass dem Senat ein Mittel zustände seiner ,Autorität' praktische Geltung zu verschaffen. ,Ich habe euch gewählt, spricht der König zu den Rathsherren, nicht dass ihr mich leitet sondern um euch zu gebieten'. -- Indess factisch galt es unzweifelhaft als schnöder Missbrauch der Königsgewalt, wenn bei wichtigen Dingen die Befragung des Senats unterblieb. So mag er mitgewirkt haben bei der Auflage von Frohnden und ausserordentlichen Leistungen überhaupt, bei der Verfügung über das eroberte Gebiet und sonst; ferner überall, wo es nothwendig war die Landesge- meinde zu befragen, so bei der Arrogation, bei der Aufnahme in die Bürgerschaft und bei der Erklärung eines Angriffskrie- ges. War die römische Gemeinde von einem Nachbar geschä- digt und die Sühne verweigert worden, so rief der Fetialis die Götter an zu Zeugen der Unbill und schloss mit den Worten: ,darüber aber wollen wir Alten Rath pflegen daheim, wie wir zu unserem Rechte kommen', worauf denn der König nach gehaltener Berathschlagung mit den Vätern die Sache an die Gemeinde brachte; nur wenn diese und der Rath ein- verstanden waren, galt der Krieg als ein gerechter, in dem der Segen der Götter mit Fug erwartet werden konnte. Die Bürgerschaft zerfiel in drei ,Theile' (tribus; wie tota ERSTES BUCH. KAPITEL VI. noch weniger der Rath sich ungeladen versammeln. DerRathschlag ist kein Befehl; der König kann es unterlassen ihm zu folgen, ohne daſs dem Senat ein Mittel zustände seiner ‚Autorität‘ praktische Geltung zu verschaffen. ‚Ich habe euch gewählt, spricht der König zu den Rathsherren, nicht dass ihr mich leitet sondern um euch zu gebieten‘. — Indeſs factisch galt es unzweifelhaft als schnöder Miſsbrauch der Königsgewalt, wenn bei wichtigen Dingen die Befragung des Senats unterblieb. So mag er mitgewirkt haben bei der Auflage von Frohnden und auſserordentlichen Leistungen überhaupt, bei der Verfügung über das eroberte Gebiet und sonst; ferner überall, wo es nothwendig war die Landesge- meinde zu befragen, so bei der Arrogation, bei der Aufnahme in die Bürgerschaft und bei der Erklärung eines Angriffskrie- ges. War die römische Gemeinde von einem Nachbar geschä- digt und die Sühne verweigert worden, so rief der Fetialis die Götter an zu Zeugen der Unbill und schloſs mit den Worten: ‚darüber aber wollen wir Alten Rath pflegen daheim, wie wir zu unserem Rechte kommen‘, worauf denn der König nach gehaltener Berathschlagung mit den Vätern die Sache an die Gemeinde brachte; nur wenn diese und der Rath ein- verstanden waren, galt der Krieg als ein gerechter, in dem der Segen der Götter mit Fug erwartet werden konnte. Die Bürgerschaft zerfiel in drei ‚Theile‘ (tribus; wie tota <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0072" n="58"/><fw place="top" type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL VI.</fw><lb/> noch weniger der Rath sich ungeladen versammeln. 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Wenn dennoch auf jede Curie zehn Geschlechtsgenos-<lb/> senschaften gezählt werden, so kann man dies nur beziehen<lb/> auf den ältesten factischen Bestand etwa der Ramnes, welcher<lb/> übertragen ward auf die beiden zutretenden Gemeinden; hundert<lb/> Geschlechtsgenossenschaften einer jeden hielt man fest als idea-<lb/> len Normalbestand eines jeden der drei ‚Theile‘, den die drei-<lb/> hundert Patriarchen im Rath der Alten und ebenso im Heer die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0072]
ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
noch weniger der Rath sich ungeladen versammeln. Der
Rathschlag ist kein Befehl; der König kann es unterlassen
ihm zu folgen, ohne daſs dem Senat ein Mittel zustände
seiner ‚Autorität‘ praktische Geltung zu verschaffen. ‚Ich habe
euch gewählt, spricht der König zu den Rathsherren, nicht
dass ihr mich leitet sondern um euch zu gebieten‘. — Indeſs
factisch galt es unzweifelhaft als schnöder Miſsbrauch der
Königsgewalt, wenn bei wichtigen Dingen die Befragung des
Senats unterblieb. So mag er mitgewirkt haben bei der
Auflage von Frohnden und auſserordentlichen Leistungen
überhaupt, bei der Verfügung über das eroberte Gebiet und
sonst; ferner überall, wo es nothwendig war die Landesge-
meinde zu befragen, so bei der Arrogation, bei der Aufnahme
in die Bürgerschaft und bei der Erklärung eines Angriffskrie-
ges. War die römische Gemeinde von einem Nachbar geschä-
digt und die Sühne verweigert worden, so rief der Fetialis
die Götter an zu Zeugen der Unbill und schloſs mit den
Worten: ‚darüber aber wollen wir Alten Rath pflegen daheim,
wie wir zu unserem Rechte kommen‘, worauf denn der König
nach gehaltener Berathschlagung mit den Vätern die Sache
an die Gemeinde brachte; nur wenn diese und der Rath ein-
verstanden waren, galt der Krieg als ein gerechter, in dem
der Segen der Götter mit Fug erwartet werden konnte.
Die Bürgerschaft zerfiel in drei ‚Theile‘ (tribus; wie tota
umbrisch und oskisch die Gemeinde heiſst). Diese Theile waren
die Ramner oder eigentlichen Römer, die Titier und die Lucerer,
von denen jeder ehedem eine eigene Gemeinde gebildet haben
muſs; jeder Theil zerfiel wieder in zehn ‚Pflegschaften‘ (curia wohl
mit curare oder coerare, ϰοίϱανος verwandt), deren jeder ein
‚Pfleger‘ (curio,) ihnen allen ein ‚Oberpfleger‘ (curio maximus)
vorstand; die ‚Theile‘ hatten so viel wir wissen besondere Vor-
stände nicht. Die Curie ist die unterste Eintheilung der Bür-
gerschaft; rechtlich bestehen in derselben keine Unterabtheilun-
gen, sondern es stehen sämmtliche Curialen, ohne Unterschied
der im Hause ihnen zukommenden Stellung, in der Curie sich
gleich. Wenn dennoch auf jede Curie zehn Geschlechtsgenos-
senschaften gezählt werden, so kann man dies nur beziehen
auf den ältesten factischen Bestand etwa der Ramnes, welcher
übertragen ward auf die beiden zutretenden Gemeinden; hundert
Geschlechtsgenossenschaften einer jeden hielt man fest als idea-
len Normalbestand eines jeden der drei ‚Theile‘, den die drei-
hundert Patriarchen im Rath der Alten und ebenso im Heer die
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