deren Huldigung das ganze Volk dem König verpflichtete. Neben diesen Vollbürgern standen die Insassen oder, wie sie auch heissen, die ,Bürger ohne Stimmrecht' (cives sine suffra- gio), die theilnehmen an den öffentlichen Lasten, der Heeres- folge und der Steuer (daher municipes); wogegen das Schutz- geld für sie wegfiel und dies fortan nur noch von den ausser den Tribus stehenden, das heisst den nichtansässigen Metöken (aerarii) erlegt ward. -- Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Bürger und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich drei politische Klassen fest der Activ-, Passiv- und Schutzbürger; Kategorien, die viele Jahrhunderte hindurch das römische Staatsrecht beherrschten. Die für militärische Zwecke geschaffene Form auch für poli- tische Reformen zu benutzen war indess einer spätern Epoche aufbehalten.
Wann und wie diese Reform stattfand, darüber sind nur Vermuthungen möglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heisst die servianische Mauer musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine ursprüngliche Grenze beträchtlich überschritten haben, wenn es 8000 volle und ebensoviel Theilhufener oder Hufener- söhne und ausserdem eine Anzahl grösserer Landgutsbesitzer oder deren Söhne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flächenraum der vollen römischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht möglich sein sie unter 20 Morgen anzusetzen; rechnen wir als Minimum 10000 Vollhufen, so würden diese einen Flächenraum von 9 deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Brachland und Weide, Häu- serraum und Dünen noch so mässig in Ansatz bringt, das Ge- biet zu der Zeit, wo diese Reform durchgeführt ward, minde- stens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch beträchtlichere gehabt haben muss. Folgt man der Ueberlieferung, so müsste man gar eine Zahl von 84000 ansässigen und waffenfähigen Bürgern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem ersten Census gezählt haben. Indess dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt ein Blick auf die Karte; offenbar ist sie entstanden, indem die 16800 Waffen- fähigen des Normalstandes der Infanterie nach einem durch- schnittlichen die Familie zu 5 Köpfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 freien Activ- und Passivbürgern zu er- geben schien. Aber auch nach jenen mässigeren Sätzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer Bevölkerung
ERSTES BUCH. KAPITEL VII.
deren Huldigung das ganze Volk dem König verpflichtete. Neben diesen Vollbürgern standen die Insassen oder, wie sie auch heiſsen, die ‚Bürger ohne Stimmrecht‘ (cives sine suffra- gio), die theilnehmen an den öffentlichen Lasten, der Heeres- folge und der Steuer (daher municipes); wogegen das Schutz- geld für sie wegfiel und dies fortan nur noch von den auſser den Tribus stehenden, das heiſst den nichtansässigen Metöken (aerarii) erlegt ward. — Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Bürger und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich drei politische Klassen fest der Activ-, Passiv- und Schutzbürger; Kategorien, die viele Jahrhunderte hindurch das römische Staatsrecht beherrschten. Die für militärische Zwecke geschaffene Form auch für poli- tische Reformen zu benutzen war indeſs einer spätern Epoche aufbehalten.
Wann und wie diese Reform stattfand, darüber sind nur Vermuthungen möglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heiſst die servianische Mauer muſste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet muſste schon seine ursprüngliche Grenze beträchtlich überschritten haben, wenn es 8000 volle und ebensoviel Theilhufener oder Hufener- söhne und auſserdem eine Anzahl gröſserer Landgutsbesitzer oder deren Söhne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flächenraum der vollen römischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht möglich sein sie unter 20 Morgen anzusetzen; rechnen wir als Minimum 10000 Vollhufen, so würden diese einen Flächenraum von 9 deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Brachland und Weide, Häu- serraum und Dünen noch so mäſsig in Ansatz bringt, das Ge- biet zu der Zeit, wo diese Reform durchgeführt ward, minde- stens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch beträchtlichere gehabt haben muſs. Folgt man der Ueberlieferung, so müſste man gar eine Zahl von 84000 ansässigen und waffenfähigen Bürgern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem ersten Census gezählt haben. Indeſs daſs diese Zahl fabelhaft ist, zeigt ein Blick auf die Karte; offenbar ist sie entstanden, indem die 16800 Waffen- fähigen des Normalstandes der Infanterie nach einem durch- schnittlichen die Familie zu 5 Köpfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 freien Activ- und Passivbürgern zu er- geben schien. Aber auch nach jenen mäſsigeren Sätzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer Bevölkerung
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ERSTES BUCH. KAPITEL VII.
deren Huldigung das ganze Volk dem König verpflichtete.
Neben diesen Vollbürgern standen die Insassen oder, wie sie
auch heiſsen, die ‚Bürger ohne Stimmrecht‘ (cives sine suffra-
gio), die theilnehmen an den öffentlichen Lasten, der Heeres-
folge und der Steuer (daher municipes); wogegen das Schutz-
geld für sie wegfiel und dies fortan nur noch von den auſser
den Tribus stehenden, das heiſst den nichtansässigen Metöken
(aerarii) erlegt ward. — Hatte man somit bisher nur zwei
Klassen der Gemeindeglieder: Bürger und Schutzverwandte
unterschieden, so stellten jetzt sich drei politische Klassen
fest der Activ-, Passiv- und Schutzbürger; Kategorien, die viele
Jahrhunderte hindurch das römische Staatsrecht beherrschten.
Die für militärische Zwecke geschaffene Form auch für poli-
tische Reformen zu benutzen war indeſs einer spätern Epoche
aufbehalten.
Wann und wie diese Reform stattfand, darüber sind nur
Vermuthungen möglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus,
das heiſst die servianische Mauer muſste gezogen sein, bevor
die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet muſste schon
seine ursprüngliche Grenze beträchtlich überschritten haben,
wenn es 8000 volle und ebensoviel Theilhufener oder Hufener-
söhne und auſserdem eine Anzahl gröſserer Landgutsbesitzer
oder deren Söhne stellen konnte. Wir kennen zwar den
Flächenraum der vollen römischen Bauernstelle nicht, allein
es wird nicht möglich sein sie unter 20 Morgen anzusetzen;
rechnen wir als Minimum 10000 Vollhufen, so würden diese
einen Flächenraum von 9 deutschen Quadratmeilen Ackerland
voraussetzen, wonach, wenn man Brachland und Weide, Häu-
serraum und Dünen noch so mäſsig in Ansatz bringt, das Ge-
biet zu der Zeit, wo diese Reform durchgeführt ward, minde-
stens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich
aber eine noch beträchtlichere gehabt haben muſs. Folgt
man der Ueberlieferung, so müſste man gar eine Zahl von
84000 ansässigen und waffenfähigen Bürgern annehmen; denn
so viel soll Servius bei dem ersten Census gezählt haben.
Indeſs daſs diese Zahl fabelhaft ist, zeigt ein Blick auf die
Karte; offenbar ist sie entstanden, indem die 16800 Waffen-
fähigen des Normalstandes der Infanterie nach einem durch-
schnittlichen die Familie zu 5 Köpfen ansetzenden Ueberschlag
eine Zahl von 84000 freien Activ- und Passivbürgern zu er-
geben schien. Aber auch nach jenen mäſsigeren Sätzen ist bei
einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer Bevölkerung
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/86>, abgerufen am 21.11.2024.
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