Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL III. nichts anderes als eine Sistirung der weiteren Domanialaufthei-lung in milder Form. Der Consul Tuditanus, keineswegs gra- cchanisch gesinnt und wenig geneigt mit dieser bedenklichen Grenzregulirung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr zum Commando des illyrischen Heeres abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft unvollzogen zu lassen; die Theilungscom- mission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulirung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie nothgedrungen un- thätig. Die Erbitterung der Reformpartei ist begreiflich. Selbst Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus missbilligten Scipios Auftreten. In andern Kreisen begnügte man sich nicht mit der Missbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages ward er todt in seinem Bette gefun- den. Dass der sechsundfunfzigjährige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher öffentlich ge- sprochen hatte und am Abend in vollem Wohlsein um seine Rede für den nächsten Tag zu entwerfen sich früher als gewöhn- lich in sein Schlafgemach zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, ist nicht zu bezweifeln; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staats- mann und den ersten Feldherrn seiner Zeit in nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch über- lieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch anzustellen auf solche Acten hin Wahrheit zu ermitteln. Dass der Anstifter der That der Gracchenpartei angehört haben muss, ist einleuchtend; Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die aristokratische Blutscene am Tempel der Treue; die Parteien schienen zu wetteifern im rücksichtslosen Frevel. Die Gerichte schritten nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, dass ihre Führer, Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozess möchten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersu- chung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebenso sehr einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, liess nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemässigten Männer stan- den entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Ein- schreiten gegen die Reform gemissbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich abwandte und seinen vier Söh- nen befahl die Bahre des grossen Gegners zur Feuerstätte zu tra- VIERTES BUCH. KAPITEL III. nichts anderes als eine Sistirung der weiteren Domanialaufthei-lung in milder Form. Der Consul Tuditanus, keineswegs gra- cchanisch gesinnt und wenig geneigt mit dieser bedenklichen Grenzregulirung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr zum Commando des illyrischen Heeres abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft unvollzogen zu lassen; die Theilungscom- mission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulirung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie nothgedrungen un- thätig. Die Erbitterung der Reformpartei ist begreiflich. Selbst Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus miſsbilligten Scipios Auftreten. In andern Kreisen begnügte man sich nicht mit der Miſsbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages ward er todt in seinem Bette gefun- den. Daſs der sechsundfunfzigjährige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher öffentlich ge- sprochen hatte und am Abend in vollem Wohlsein um seine Rede für den nächsten Tag zu entwerfen sich früher als gewöhn- lich in sein Schlafgemach zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, ist nicht zu bezweifeln; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staats- mann und den ersten Feldherrn seiner Zeit in nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch über- lieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch anzustellen auf solche Acten hin Wahrheit zu ermitteln. Daſs der Anstifter der That der Gracchenpartei angehört haben muſs, ist einleuchtend; Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die aristokratische Blutscene am Tempel der Treue; die Parteien schienen zu wetteifern im rücksichtslosen Frevel. Die Gerichte schritten nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daſs ihre Führer, Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeſs möchten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersu- chung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebenso sehr einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, lieſs nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemäſsigten Männer stan- den entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Ein- schreiten gegen die Reform gemiſsbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich abwandte und seinen vier Söh- nen befahl die Bahre des groſsen Gegners zur Feuerstätte zu tra- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0104" n="94"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/> nichts anderes als eine Sistirung der weiteren Domanialaufthei-<lb/> lung in milder Form. Der Consul Tuditanus, keineswegs gra-<lb/> cchanisch gesinnt und wenig geneigt mit dieser bedenklichen<lb/> Grenzregulirung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr<lb/> zum Commando des illyrischen Heeres abzugehen und das ihm<lb/> aufgetragene Geschäft unvollzogen zu lassen; die Theilungscom-<lb/> mission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulirung<lb/> des Domaniallandes stockte, blieb auch sie nothgedrungen un-<lb/> thätig. 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VIERTES BUCH. KAPITEL III.
nichts anderes als eine Sistirung der weiteren Domanialaufthei-
lung in milder Form. Der Consul Tuditanus, keineswegs gra-
cchanisch gesinnt und wenig geneigt mit dieser bedenklichen
Grenzregulirung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr
zum Commando des illyrischen Heeres abzugehen und das ihm
aufgetragene Geschäft unvollzogen zu lassen; die Theilungscom-
mission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulirung
des Domaniallandes stockte, blieb auch sie nothgedrungen un-
thätig. Die Erbitterung der Reformpartei ist begreiflich. Selbst
Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus miſsbilligten
Scipios Auftreten. In andern Kreisen begnügte man sich nicht
mit der Miſsbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio
einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner angekündigt;
am Morgen dieses Tages ward er todt in seinem Bette gefun-
den. Daſs der sechsundfunfzigjährige in voller Gesundheit und
Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher öffentlich ge-
sprochen hatte und am Abend in vollem Wohlsein um seine
Rede für den nächsten Tag zu entwerfen sich früher als gewöhn-
lich in sein Schlafgemach zurückgezogen hatte, das Opfer eines
politischen Mordes geworden ist, ist nicht zu bezweifeln; er
selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten Mordanschläge
öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staats-
mann und den ersten Feldherrn seiner Zeit in nächtlicher Weile
erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen und es ziemt der
Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch über-
lieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch
anzustellen auf solche Acten hin Wahrheit zu ermitteln. Daſs
der Anstifter der That der Gracchenpartei angehört haben muſs,
ist einleuchtend; Scipios Ermordung war die demokratische
Antwort auf die aristokratische Blutscene am Tempel der Treue;
die Parteien schienen zu wetteifern im rücksichtslosen Frevel.
Die Gerichte schritten nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht
fürchtend, daſs ihre Führer, Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo,
schuldig oder nicht, in den Prozeſs möchten verwickelt werden,
widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersu-
chung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebenso sehr
einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, lieſs nicht ungern
die Sache ruhen. Die Menge und die gemäſsigten Männer stan-
den entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Ein-
schreiten gegen die Reform gemiſsbilligt hatte, aber von solchen
Bundesgenossen schaudernd sich abwandte und seinen vier Söh-
nen befahl die Bahre des groſsen Gegners zur Feuerstätte zu tra-
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