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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL III.
hinrichten zu lassen ward durch ihn indirect, aber sehr wesent-
lich beschränkt, indem er diejenigen gemeinen Verbrechen, die
am häufigsten zu Todesurtheilen Veranlassung gaben, Giftmi-
scherei und überhaupt Mord der Bürgerschaft entzog und an
ständige Commissionsgerichte überwies, welche nicht wie die
Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns gesprengt wer-
den konnten und von denen nicht bloss keine Appellation an
das Volk ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie
die der althergebrachten Civilgeschwornen der Cassation durch
das Volk unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, na-
mentlich bei den eigentlich politischen Prozessen, zwar auch
längst Regel, dass der Angeklagte auf freiem Fuss prozessirt und
ihm gestattet ward durch Aufgebung seines Bürgerrechts der
Strafe sich zu entziehen und Leben und Freiheit zu retten so
wie sein Vermögen zu behalten, natürlich so weit nicht Civil-
ansprüche gegen das letztere erhoben worden waren. Allein vor-
gängige Verhaftung und vollständige Execution blieben hier
wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme
noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius Hostilius Tu-
bulus Praetor 612, der wegen eines schweren Verbrechens auf
den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts fest-
genommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Civil-
prozess hervorgegangenen Commissionsgerichte konnten von
Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und es
ward die Verbannung, bisher eine dem schuldigen Mann gestat-
tete Strafmilderung, dadurch zuerst zur förmlichen Strafe; auch
diese aber liess gleich dem freiwilligen Exil dem Verbannten das
Vermögen, so weit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderun-
gen und Geldbussen drauf ging. -- Endlich hat Gaius Gracchus
um Schuldwesen zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr
achtbare Zeugen, dass er den verschuldeten Leuten auf Minde-
rung oder Erlass der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was,
wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radical populären Massre-
geln beizuzählen ist.

Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von
ihm eine materielle Verbesserung ihrer Lage theils erwartete,
theils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin
der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloss auf
das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war
er vor allem darauf bedacht die Aristokratie zu spalten und
einen Theil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente
einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der

VIERTES BUCH. KAPITEL III.
hinrichten zu lassen ward durch ihn indirect, aber sehr wesent-
lich beschränkt, indem er diejenigen gemeinen Verbrechen, die
am häufigsten zu Todesurtheilen Veranlassung gaben, Giftmi-
scherei und überhaupt Mord der Bürgerschaft entzog und an
ständige Commissionsgerichte überwies, welche nicht wie die
Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns gesprengt wer-
den konnten und von denen nicht bloſs keine Appellation an
das Volk ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie
die der althergebrachten Civilgeschwornen der Cassation durch
das Volk unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, na-
mentlich bei den eigentlich politischen Prozessen, zwar auch
längst Regel, daſs der Angeklagte auf freiem Fuſs prozessirt und
ihm gestattet ward durch Aufgebung seines Bürgerrechts der
Strafe sich zu entziehen und Leben und Freiheit zu retten so
wie sein Vermögen zu behalten, natürlich so weit nicht Civil-
ansprüche gegen das letztere erhoben worden waren. Allein vor-
gängige Verhaftung und vollständige Execution blieben hier
wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme
noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius Hostilius Tu-
bulus Praetor 612, der wegen eines schweren Verbrechens auf
den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts fest-
genommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Civil-
prozeſs hervorgegangenen Commissionsgerichte konnten von
Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und es
ward die Verbannung, bisher eine dem schuldigen Mann gestat-
tete Strafmilderung, dadurch zuerst zur förmlichen Strafe; auch
diese aber lieſs gleich dem freiwilligen Exil dem Verbannten das
Vermögen, so weit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderun-
gen und Geldbuſsen drauf ging. — Endlich hat Gaius Gracchus
um Schuldwesen zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr
achtbare Zeugen, daſs er den verschuldeten Leuten auf Minde-
rung oder Erlaſs der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was,
wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radical populären Maſsre-
geln beizuzählen ist.

Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von
ihm eine materielle Verbesserung ihrer Lage theils erwartete,
theils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin
der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloſs auf
das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war
er vor allem darauf bedacht die Aristokratie zu spalten und
einen Theil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente
einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der

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[102/0112] VIERTES BUCH. KAPITEL III. hinrichten zu lassen ward durch ihn indirect, aber sehr wesent- lich beschränkt, indem er diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu Todesurtheilen Veranlassung gaben, Giftmi- scherei und überhaupt Mord der Bürgerschaft entzog und an ständige Commissionsgerichte überwies, welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns gesprengt wer- den konnten und von denen nicht bloſs keine Appellation an das Volk ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der althergebrachten Civilgeschwornen der Cassation durch das Volk unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, na- mentlich bei den eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daſs der Angeklagte auf freiem Fuſs prozessirt und ihm gestattet ward durch Aufgebung seines Bürgerrechts der Strafe sich zu entziehen und Leben und Freiheit zu retten so wie sein Vermögen zu behalten, natürlich so weit nicht Civil- ansprüche gegen das letztere erhoben worden waren. Allein vor- gängige Verhaftung und vollständige Execution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius Hostilius Tu- bulus Praetor 612, der wegen eines schweren Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts fest- genommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Civil- prozeſs hervorgegangenen Commissionsgerichte konnten von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und es ward die Verbannung, bisher eine dem schuldigen Mann gestat- tete Strafmilderung, dadurch zuerst zur förmlichen Strafe; auch diese aber lieſs gleich dem freiwilligen Exil dem Verbannten das Vermögen, so weit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderun- gen und Geldbuſsen drauf ging. — Endlich hat Gaius Gracchus um Schuldwesen zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, daſs er den verschuldeten Leuten auf Minde- rung oder Erlaſs der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radical populären Maſsre- geln beizuzählen ist. Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer Lage theils erwartete, theils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloſs auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht die Aristokratie zu spalten und einen Theil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/112>, abgerufen am 23.11.2024.