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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
der beiden Consuln wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
bisher dabei geübte indirecte Druck auf die höchsten Beamten
dadurch vernichtet, dass der Senat angewiesen ward diese Com-
petenzen festzustellen, bevor die betreffenden Consuln gewählt
seien. Mit beispielloser Thätigkeit endlich concentrirte Gaius die
verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in
seiner Person, er selbst überwachte die Getreidevertheilung, er-
las die Geschwornen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt
ihn fesselnden Amtes persönlich die Colonien, regulirte das
Wegewesen und schloss die Bauverträge ab, leitete die Senats-
verhandlungen, bestimmte die Consulwahlen -- kurz er ge-
wöhnte das Volk daran, dass in allen Dingen ein Mann der erste
sei und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung des sena-
torischen Collegiums durch sein kräftiges und gewandtes per-
sönliches Regiment. -- Noch energischer als in die Verwaltung
griff Gracchus ein in die senatorische Jurisdiction. Dass er die
ordentliche Gerichtsbarkeit der Senatoren beseitigte, ward schon
gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiction, die der Senat als
oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmsfällen gestattete.
Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuer-
ten Provocationsgesetz *, die Niedersetzung ausserordentlicher
Hochverrathscommissionen durch Senatsbeschluss, wie diejenige
gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über des-
sen Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser
Massregeln ist, dass der Senat die Controle ganz verlor und von
der Verwaltung nur behielt, was das Staatshaupt ihm zu lassen
für gut fand. Indess diese constituiven Massregeln genügten
nicht; es musste auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie
unmittelbar zu Leibe gegangen werden. Ein blosser Act der
Rache war es, dass dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende
Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Na-
sicas inzwischen erfolgtem Tode der Hass der Demokraten haupt-
sächlich traf, Publius Popillius genöthigt ward das Land zu mei-
den. Merkwürdiger Weise ging dieser Antrag nur mit 18 gegen
17 Stimmen in der Bezirksversammlung durch -- ein Zeichen,
was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der Ein-
fluss der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches,
aber weit minder zu rechtfertigendes Decret, den gegen Marcus
Octavius gerichteten Antrag, dass wer durch Volksschluss sein

* Dieses und das Gesetz ne quis iudicio circumxeniatur dürften iden-
tisch sein.

DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
der beiden Consuln wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
bisher dabei geübte indirecte Druck auf die höchsten Beamten
dadurch vernichtet, daſs der Senat angewiesen ward diese Com-
petenzen festzustellen, bevor die betreffenden Consuln gewählt
seien. Mit beispielloser Thätigkeit endlich concentrirte Gaius die
verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in
seiner Person, er selbst überwachte die Getreidevertheilung, er-
las die Geschwornen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt
ihn fesselnden Amtes persönlich die Colonien, regulirte das
Wegewesen und schloſs die Bauverträge ab, leitete die Senats-
verhandlungen, bestimmte die Consulwahlen — kurz er ge-
wöhnte das Volk daran, daſs in allen Dingen ein Mann der erste
sei und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung des sena-
torischen Collegiums durch sein kräftiges und gewandtes per-
sönliches Regiment. — Noch energischer als in die Verwaltung
griff Gracchus ein in die senatorische Jurisdiction. Daſs er die
ordentliche Gerichtsbarkeit der Senatoren beseitigte, ward schon
gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiction, die der Senat als
oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmsfällen gestattete.
Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuer-
ten Provocationsgesetz *, die Niedersetzung auſserordentlicher
Hochverrathscommissionen durch Senatsbeschluſs, wie diejenige
gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über des-
sen Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser
Maſsregeln ist, daſs der Senat die Controle ganz verlor und von
der Verwaltung nur behielt, was das Staatshaupt ihm zu lassen
für gut fand. Indeſs diese constituiven Maſsregeln genügten
nicht; es muſste auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie
unmittelbar zu Leibe gegangen werden. Ein bloſser Act der
Rache war es, daſs dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende
Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Na-
sicas inzwischen erfolgtem Tode der Haſs der Demokraten haupt-
sächlich traf, Publius Popillius genöthigt ward das Land zu mei-
den. Merkwürdiger Weise ging dieser Antrag nur mit 18 gegen
17 Stimmen in der Bezirksversammlung durch — ein Zeichen,
was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der Ein-
fluſs der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches,
aber weit minder zu rechtfertigendes Decret, den gegen Marcus
Octavius gerichteten Antrag, daſs wer durch Volksschluſs sein

* Dieses und das Gesetz ne quis iudicio circumxeniatur dürften iden-
tisch sein.
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[107/0117] DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. der beiden Consuln wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der bisher dabei geübte indirecte Druck auf die höchsten Beamten dadurch vernichtet, daſs der Senat angewiesen ward diese Com- petenzen festzustellen, bevor die betreffenden Consuln gewählt seien. Mit beispielloser Thätigkeit endlich concentrirte Gaius die verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner Person, er selbst überwachte die Getreidevertheilung, er- las die Geschwornen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden Amtes persönlich die Colonien, regulirte das Wegewesen und schloſs die Bauverträge ab, leitete die Senats- verhandlungen, bestimmte die Consulwahlen — kurz er ge- wöhnte das Volk daran, daſs in allen Dingen ein Mann der erste sei und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung des sena- torischen Collegiums durch sein kräftiges und gewandtes per- sönliches Regiment. — Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die senatorische Jurisdiction. Daſs er die ordentliche Gerichtsbarkeit der Senatoren beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiction, die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmsfällen gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuer- ten Provocationsgesetz *, die Niedersetzung auſserordentlicher Hochverrathscommissionen durch Senatsbeschluſs, wie diejenige gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über des- sen Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maſsregeln ist, daſs der Senat die Controle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das Staatshaupt ihm zu lassen für gut fand. Indeſs diese constituiven Maſsregeln genügten nicht; es muſste auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie unmittelbar zu Leibe gegangen werden. Ein bloſser Act der Rache war es, daſs dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Na- sicas inzwischen erfolgtem Tode der Haſs der Demokraten haupt- sächlich traf, Publius Popillius genöthigt ward das Land zu mei- den. Merkwürdiger Weise ging dieser Antrag nur mit 18 gegen 17 Stimmen in der Bezirksversammlung durch — ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der Ein- fluſs der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes Decret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, daſs wer durch Volksschluſs sein * Dieses und das Gesetz ne quis iudicio circumxeniatur dürften iden- tisch sein.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/117>, abgerufen am 24.11.2024.