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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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die Rede fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des
alten Ständehaders (I, 177) die schwerste Strafe gesetzt hatte.
Der Consul Lucius Opimius traf seine Massregeln, um den Auf-
stand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit gewaffneter
Hand zu unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im
Castortempel am Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das
Capitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathhaus und Markt
mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der
ihnen anhängigen Fraction der Ritterschaft, welche auf Geheiss
des Consuls sämmtlich bewaffnet und jeder von zwei bewaffneten
Sclaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner von
der Aristokratie; selbst der ehrwürdige hochbejahrte und der
Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und
Schwert erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Krie-
gen erprobter Offizier, Decimus Brutus übernahm das Commando
der bewaffneten Macht; der Rath trat in der Curie zusammen.
Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der
Curie niedergesetzt; der Rath, gleichsam überrascht, erschien in
Masse an der Thüre um die Leiche in Augenschein zu nehmen
und zog sich sodann wieder zurück um das Weitere zu beschlie-
ssen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Capitol in ihre
Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zuge-
bracht zum Strassenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu
verschmähen schien mit dem Verhängniss zu kämpfen. Als man
am andern Morgen die auf dem Capitol und dem Markt getroffe-
nen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben sie sich auf den Aven-
tin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patricier
und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dort
hin; Flaccus rief die Sclaven zu den Waffen und verschanzte
sich im Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren
Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um wo möglich
einen Vergleich zu vermitteln. Er kam zurück mit der Meldung,
dass die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich
brachte er die Ladung des Senats an Gracchus und Flaccus vor
dem Senat zu erscheinen und wegen Verletzung der tribunici-
schen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte der Vor-
ladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte
statt dessen den ebenso albernen wie feigen Versuch mit solchen
Gegnern zu einem Vergleich zu gelangen. Als statt der beiden
vorgeladenen Führer bloss der junge Quintus Flaccus abermals
sich einstellte, behandelte der Consul die Weigerung jener sich

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die Rede fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des
alten Ständehaders (I, 177) die schwerste Strafe gesetzt hatte.
Der Consul Lucius Opimius traf seine Maſsregeln, um den Auf-
stand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit gewaffneter
Hand zu unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im
Castortempel am Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das
Capitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathhaus und Markt
mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der
ihnen anhängigen Fraction der Ritterschaft, welche auf Geheiſs
des Consuls sämmtlich bewaffnet und jeder von zwei bewaffneten
Sclaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner von
der Aristokratie; selbst der ehrwürdige hochbejahrte und der
Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und
Schwert erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Krie-
gen erprobter Offizier, Decimus Brutus übernahm das Commando
der bewaffneten Macht; der Rath trat in der Curie zusammen.
Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der
Curie niedergesetzt; der Rath, gleichsam überrascht, erschien in
Masse an der Thüre um die Leiche in Augenschein zu nehmen
und zog sich sodann wieder zurück um das Weitere zu beschlie-
ſsen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Capitol in ihre
Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zuge-
bracht zum Straſsenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu
verschmähen schien mit dem Verhängniſs zu kämpfen. Als man
am andern Morgen die auf dem Capitol und dem Markt getroffe-
nen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben sie sich auf den Aven-
tin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patricier
und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dort
hin; Flaccus rief die Sclaven zu den Waffen und verschanzte
sich im Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren
Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um wo möglich
einen Vergleich zu vermitteln. Er kam zurück mit der Meldung,
daſs die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich
brachte er die Ladung des Senats an Gracchus und Flaccus vor
dem Senat zu erscheinen und wegen Verletzung der tribunici-
schen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte der Vor-
ladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte
statt dessen den ebenso albernen wie feigen Versuch mit solchen
Gegnern zu einem Vergleich zu gelangen. Als statt der beiden
vorgeladenen Führer bloſs der junge Quintus Flaccus abermals
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[116/0126] VIERTES BUCH. KAPITEL III. die Rede fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders (I, 177) die schwerste Strafe gesetzt hatte. Der Consul Lucius Opimius traf seine Maſsregeln, um den Auf- stand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit gewaffneter Hand zu unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Castortempel am Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Capitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathhaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraction der Ritterschaft, welche auf Geheiſs des Consuls sämmtlich bewaffnet und jeder von zwei bewaffneten Sclaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige hochbejahrte und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Krie- gen erprobter Offizier, Decimus Brutus übernahm das Commando der bewaffneten Macht; der Rath trat in der Curie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der Curie niedergesetzt; der Rath, gleichsam überrascht, erschien in Masse an der Thüre um die Leiche in Augenschein zu nehmen und zog sich sodann wieder zurück um das Weitere zu beschlie- ſsen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Capitol in ihre Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zuge- bracht zum Straſsenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien mit dem Verhängniſs zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Capitol und dem Markt getroffe- nen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben sie sich auf den Aven- tin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patricier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dort hin; Flaccus rief die Sclaven zu den Waffen und verschanzte sich im Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um wo möglich einen Vergleich zu vermitteln. Er kam zurück mit der Meldung, daſs die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats an Gracchus und Flaccus vor dem Senat zu erscheinen und wegen Verletzung der tribunici- schen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte der Vor- ladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte statt dessen den ebenso albernen wie feigen Versuch mit solchen Gegnern zu einem Vergleich zu gelangen. Als statt der beiden vorgeladenen Führer bloſs der junge Quintus Flaccus abermals sich einstellte, behandelte der Consul die Weigerung jener sich

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/126>, abgerufen am 26.05.2024.