Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL IV. gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen vonRechtswegen cassirte. -- Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war eben wie Kleon einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in seiner Heimath Kilikien gewesen und von dort als Sclave nach Sicilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger versicherte er sich der Gemüther der Griechen und Syrer vor allem durch Prophezeihungen und andern erbaulichen Schwindel; aber kriegs- kundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht wie die übri- gen Führer die ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, son- dern bildete aus der kriegslustigen Mannschaft ein organisirtes Heer, bei dem er die strengste Mannszucht hielt und den Unbot- mässigen und Schwankenden mit furchtbarer Strenge schreckte, während er die Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies und gegen die Landschaft und selbst die Gefangenen mit Milde auf- trat. Die Hoffnung, dass die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen König Tryphon und er- hielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Scla- ven hielten; die römischen Behörden waren nicht im Stande gegen sie das Feld zu nehmen und mussten sich begnügen mit dem sicilischen und dem eiligst herangezogenen africanischen Landsturm die Städte zu schützen, welche in der beklagenswer- thesten Verfassung sich befanden. Die Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Thor, kein Landmann sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnoth herein und selbst die römischen Behörden fanden sich genöthigt die städti- sche Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel durch Getreideunterstützungen vor dem Verhungern zu retten. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der Stadtsclaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Mes- sana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der Regierung fiel während des ernsten kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, so sah sie sich doch unvermeidlich genöthigt im J. 651 ein Heer von 14000 Römern und Italikern, ungerechnet die überseeischen Milizen, unter dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das ver- einigte Sclavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und VIERTES BUCH. KAPITEL IV. gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen vonRechtswegen cassirte. — Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war eben wie Kleon einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in seiner Heimath Kilikien gewesen und von dort als Sclave nach Sicilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger versicherte er sich der Gemüther der Griechen und Syrer vor allem durch Prophezeihungen und andern erbaulichen Schwindel; aber kriegs- kundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht wie die übri- gen Führer die ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, son- dern bildete aus der kriegslustigen Mannschaft ein organisirtes Heer, bei dem er die strengste Mannszucht hielt und den Unbot- mäſsigen und Schwankenden mit furchtbarer Strenge schreckte, während er die Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies und gegen die Landschaft und selbst die Gefangenen mit Milde auf- trat. Die Hoffnung, daſs die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen König Tryphon und er- hielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Scla- ven hielten; die römischen Behörden waren nicht im Stande gegen sie das Feld zu nehmen und muſsten sich begnügen mit dem sicilischen und dem eiligst herangezogenen africanischen Landsturm die Städte zu schützen, welche in der beklagenswer- thesten Verfassung sich befanden. Die Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Thor, kein Landmann sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnoth herein und selbst die römischen Behörden fanden sich genöthigt die städti- sche Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel durch Getreideunterstützungen vor dem Verhungern zu retten. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der Stadtsclaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Mes- sana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der Regierung fiel während des ernsten kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, so sah sie sich doch unvermeidlich genöthigt im J. 651 ein Heer von 14000 Römern und Italikern, ungerechnet die überseeischen Milizen, unter dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das ver- einigte Sclavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0140" n="130"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/> gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen von<lb/> Rechtswegen cassirte. — Während also im Innern der Insel der<lb/> Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter<lb/> aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier Athenion. Er<lb/> war eben wie Kleon einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in<lb/> seiner Heimath Kilikien gewesen und von dort als Sclave nach<lb/> Sicilien geführt worden. 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VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen von
Rechtswegen cassirte. — Während also im Innern der Insel der
Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter
aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier Athenion. Er
war eben wie Kleon einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in
seiner Heimath Kilikien gewesen und von dort als Sclave nach
Sicilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger versicherte
er sich der Gemüther der Griechen und Syrer vor allem durch
Prophezeihungen und andern erbaulichen Schwindel; aber kriegs-
kundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht wie die übri-
gen Führer die ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, son-
dern bildete aus der kriegslustigen Mannschaft ein organisirtes
Heer, bei dem er die strengste Mannszucht hielt und den Unbot-
mäſsigen und Schwankenden mit furchtbarer Strenge schreckte,
während er die Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies und
gegen die Landschaft und selbst die Gefangenen mit Milde auf-
trat. Die Hoffnung, daſs die beiden Führer sich veruneinigen
würden, schlug den Römern auch diesmal fehl; freiwillig fügte
sich Athenion dem weit minder fähigen König Tryphon und er-
hielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten
diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo die
freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Scla-
ven hielten; die römischen Behörden waren nicht im Stande
gegen sie das Feld zu nehmen und muſsten sich begnügen mit
dem sicilischen und dem eiligst herangezogenen africanischen
Landsturm die Städte zu schützen, welche in der beklagenswer-
thesten Verfassung sich befanden. Die Rechtspflege stockte auf
der ganzen Insel und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein
Ackerbürger sich mehr vor das Thor, kein Landmann sich in die
Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnoth herein und
selbst die römischen Behörden fanden sich genöthigt die städti-
sche Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel durch
Getreideunterstützungen vor dem Verhungern zu retten. Dazu
drohten überall im Innern die Verschwörungen der Stadtsclaven
und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Mes-
sana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So
schwer es der Regierung fiel während des ernsten kimbrischen
Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, so sah sie sich doch
unvermeidlich genöthigt im J. 651 ein Heer von 14000 Römern
und Italikern, ungerechnet die überseeischen Milizen, unter dem
Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das ver-
einigte Sclavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und
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