Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL V. digkeit gethan; das heimathlose Volk der Kimbrer mit seinen Ge-nossen war nicht mehr. Ueber den Leichen haderten die politi- schen Parteien Roms ihren kümmerlichen Hader weiter, ohne um das grosse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, dass an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit gethan hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloss poli- tische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catu- lus mochte mit Recht behaupten, dass das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und dass von seinen Sol- daten einunddreissig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien -- seine Soldaten führten sogar die Abgeord- neten der Stadt Parma durch die Leichenhaufen um ihnen zu zeigen, dass Marius tausend geschlagen habe, Catulus aber zehn- tausend. Nichts desto weniger galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloss weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Ober- befehl geführt hatte und an militärischer Begabung und Erfahrung seinem Collegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor allem weil der zweite Sieg von Vercellae in der That nur möglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter Mann, ein so anmuthiger Sprecher, dass der Wohllaut seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunst- richter; aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des gro- ben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke gegen die Regie- rung auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht bloss Nieder- lagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnun- gen als die, dass man wieder ungestört jenseit der Alpen Geld- geschäfte machen oder diesseit den Acker bauen könne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus blutende Leiche die Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regi- VIERTES BUCH. KAPITEL V. digkeit gethan; das heimathlose Volk der Kimbrer mit seinen Ge-nossen war nicht mehr. Ueber den Leichen haderten die politi- schen Parteien Roms ihren kümmerlichen Hader weiter, ohne um das groſse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daſs an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit gethan hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloſs poli- tische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catu- lus mochte mit Recht behaupten, daſs das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daſs von seinen Sol- daten einunddreiſsig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien — seine Soldaten führten sogar die Abgeord- neten der Stadt Parma durch die Leichenhaufen um ihnen zu zeigen, daſs Marius tausend geschlagen habe, Catulus aber zehn- tausend. Nichts desto weniger galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloſs weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Ober- befehl geführt hatte und an militärischer Begabung und Erfahrung seinem Collegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor allem weil der zweite Sieg von Vercellae in der That nur möglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter Mann, ein so anmuthiger Sprecher, daſs der Wohllaut seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunst- richter; aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des gro- ben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke gegen die Regie- rung auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht bloſs Nieder- lagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnun- gen als die, daſs man wieder ungestört jenseit der Alpen Geld- geschäfte machen oder diesseit den Acker bauen könne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus blutende Leiche die Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regi- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0188" n="178"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL V.</fw><lb/> digkeit gethan; das heimathlose Volk der Kimbrer mit seinen Ge-<lb/> nossen war nicht mehr. Ueber den Leichen haderten die politi-<lb/> schen Parteien Roms ihren kümmerlichen Hader weiter, ohne um<lb/> das groſse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, davon<lb/> hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur<lb/> Raum zu geben dem reinen Gefühl, daſs an diesem Tage Roms<lb/> Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit gethan<lb/> hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloſs poli-<lb/> tische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg<lb/> der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam<lb/> sofort nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. 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VIERTES BUCH. KAPITEL V.
digkeit gethan; das heimathlose Volk der Kimbrer mit seinen Ge-
nossen war nicht mehr. Ueber den Leichen haderten die politi-
schen Parteien Roms ihren kümmerlichen Hader weiter, ohne um
das groſse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, davon
hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur
Raum zu geben dem reinen Gefühl, daſs an diesem Tage Roms
Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit gethan
hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloſs poli-
tische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg
der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam
sofort nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catu-
lus mochte mit Recht behaupten, daſs das Mitteltreffen, das er
befehligte, den Sieg entschieden habe und daſs von seinen Sol-
daten einunddreiſsig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen
eingebracht seien — seine Soldaten führten sogar die Abgeord-
neten der Stadt Parma durch die Leichenhaufen um ihnen zu
zeigen, daſs Marius tausend geschlagen habe, Catulus aber zehn-
tausend. Nichts desto weniger galt Marius als der eigentliche
Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloſs weil er kraft
seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Ober-
befehl geführt hatte und an militärischer Begabung und Erfahrung
seinem Collegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor
allem weil der zweite Sieg von Vercellae in der That nur möglich
geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in
der damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den
Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben
ganz und voll an Marius Namen knüpften, als die politischen
Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter Mann,
ein so anmuthiger Sprecher, daſs der Wohllaut seiner Worte fast
wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und
Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunst-
richter; aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und
sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des gro-
ben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke gegen die Regie-
rung auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk zum
Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht bloſs Nieder-
lagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der
Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnun-
gen als die, daſs man wieder ungestört jenseit der Alpen Geld-
geschäfte machen oder diesseit den Acker bauen könne. Zwanzig
Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus blutende Leiche die
Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regi-
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