Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.MARIUS UND DRUSUS. oder nach ihm, populär durch seine Tugenden wie durch seineFehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hiess der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herr- lichkeit, wenn er seinen Zug von Africa ins Keltenland den Sie- gesfahrten des Dionysos von Erdtheil zu Erdtheil verglich und einen Becher -- keinen von den kleinsten -- nach dem Muster des bakchischen für seinen Gebrauch sich fertigen liess. Es war eben so viel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Be- geisterung des Volkes, die einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius Werk war nicht vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht wie er gut comman- dirte und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegen- über eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende Menge; aber es kam darauf nicht an. Seine militäri- sche und politische Stellung war von der Art, dass, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen und auf seine glänzende Zukunft nicht verzichten wollte, er nothwendig vor- gehen musste zum Kampfe gegen die Regierung. Eine furchtbare Waffe dazu hielt er in der Hand in der neu MARIUS UND DRUSUS. oder nach ihm, populär durch seine Tugenden wie durch seineFehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieſs der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herr- lichkeit, wenn er seinen Zug von Africa ins Keltenland den Sie- gesfahrten des Dionysos von Erdtheil zu Erdtheil verglich und einen Becher — keinen von den kleinsten — nach dem Muster des bakchischen für seinen Gebrauch sich fertigen lieſs. Es war eben so viel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Be- geisterung des Volkes, die einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius Werk war nicht vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht wie er gut comman- dirte und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegen- über eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende Menge; aber es kam darauf nicht an. Seine militäri- sche und politische Stellung war von der Art, daſs, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen und auf seine glänzende Zukunft nicht verzichten wollte, er nothwendig vor- gehen muſste zum Kampfe gegen die Regierung. 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MARIUS UND DRUSUS.
oder nach ihm, populär durch seine Tugenden wie durch seine
Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit nicht
minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieſs der Menge
der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern
wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn
dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herr-
lichkeit, wenn er seinen Zug von Africa ins Keltenland den Sie-
gesfahrten des Dionysos von Erdtheil zu Erdtheil verglich und
einen Becher — keinen von den kleinsten — nach dem Muster
des bakchischen für seinen Gebrauch sich fertigen lieſs. Es war
eben so viel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Be-
geisterung des Volkes, die einen Mann von kälterem Blut und
gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius
Werk war nicht vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf
dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne
Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition
kam es zu Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm,
dem Bauer und Soldaten, das hauptstädtische politische Treiben
fremd und unbequem; er sprach so schlecht wie er gut comman-
dirte und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegen-
über eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder
zischende Menge; aber es kam darauf nicht an. Seine militäri-
sche und politische Stellung war von der Art, daſs, wenn er mit
seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen und auf seine
glänzende Zukunft nicht verzichten wollte, er nothwendig vor-
gehen muſste zum Kampfe gegen die Regierung.
Eine furchtbare Waffe dazu hielt er in der Hand in der neu
organisirten Armee. Das bisherige Bürgerheer ruhte gesetzlich
im Wesentlichen noch auf den Grundlagen der servianischen
Verfassung. Zwar hatte man von dem Grundsatz die Aushebung
lediglich auf die vermögenden Bürger zu beschränken und die Un-
terschiede der Waffengattungen allein nach den Vermögensclassen
zu ordnen (I, 67. 197) zum Theil schon nachlassen müssen; es
war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende Minimal-
vermögen von 11000 Assen (786 Thlr.) herabgesetzt worden
auf 4000 (286 Thlr.); es waren die älteren sechs in den Waffen-
gattungen unterschiedenen Vermögensclassen beschränkt worden
auf drei, so daſs man zwar wie nach der servianischen Ordnung
die Reiter aus den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den
ärmsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigent-
liche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen,
sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten,
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