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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
Saturninus als Volkstribun für 654; an Quintus Metellus Stelle
erhielt ein unbedeutender Mann Lucius Valerius Flaccus die
zweite Consulstelle; die verbündeten Männer konnten daran
gehen ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und
das 633 unterbrochene Werk zu vollenden.

Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit
welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt die Oligarchie nach
innen wie nach aussen zu brechen, also theils die vom Senat völ-
lig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre ursprünglichen
souveränen Rechte wieder einzusetzen und die Rathversammlung
aus der regierenden wieder in eine berathende Behörde umzu-
wandeln, theils der aristokratischen Gliederung des Staats in die
drei Klassen der herrschenden Bürger-, der italischen Bundes-
genossen- und der Unterthanenschaft durch allmählige Ausglei-
chung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unverträg-
lichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen
die drei verbündeten Männer wieder auf in den Colonialgesetzen,
die Saturninus als Volkstribun 654 einbrachte. Zufolge dersel-
ben wurde zunächst zu Gunsten der marianischen Soldaten, der
Bürger nicht bloss sondern wie es scheint auch der italischen
Bundesgenossen, die unterbrochene Vertheilung des karthagi-
schen Gebiets wieder in Angriff genommen und jedem dieser Ve-
teranen ein Landloos von 100 Morgen oder etwa dem fünffachen
Mass eines gewöhnlichen italischen Bauerhofs in der Provinz
Africa, so wie aus den unterschlagenen, aber von den schuldigen
Aristokraten zu erstattenden Tempelschätzen von Tolosa die zur
Anschaffung des Beschlags erforderliche Summe zugesichert.
Sodann ward für die römisch-italische Emigration nicht bloss
das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in weitester
Ausdehnung, sondern auch durch die rechtliche Fiction, dass den
Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesammte von
diesen besetzte Gebiet von Rechtswegen erworben sei, das ge-
sammte Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseit der
Alpen in Anspruch genommen. Zur Leitung der Landanweisun-
gen wie der zu diesem Behuf etwa nöthig erscheinenden weiteren
Massregeln ward Gaius Marius berufen. Dieses Gesetz nahm also
nicht bloss die Eroberungspläne jenseit der Alpen und die trans-
alpinischen und überseeischen Colonisationsentwürfe, wie Gaius
Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, vollständig wieder
auf, sondern zugleich ward damit, dass die Italiker neben den
Römern zur Emigration zugelassen und ohne Zweifel die sämmt-
lichen neuen Gemeinden bestimmt waren als Bürgercolonien ein-

VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
Saturninus als Volkstribun für 654; an Quintus Metellus Stelle
erhielt ein unbedeutender Mann Lucius Valerius Flaccus die
zweite Consulstelle; die verbündeten Männer konnten daran
gehen ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und
das 633 unterbrochene Werk zu vollenden.

Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit
welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt die Oligarchie nach
innen wie nach auſsen zu brechen, also theils die vom Senat völ-
lig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre ursprünglichen
souveränen Rechte wieder einzusetzen und die Rathversammlung
aus der regierenden wieder in eine berathende Behörde umzu-
wandeln, theils der aristokratischen Gliederung des Staats in die
drei Klassen der herrschenden Bürger-, der italischen Bundes-
genossen- und der Unterthanenschaft durch allmählige Ausglei-
chung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unverträg-
lichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen
die drei verbündeten Männer wieder auf in den Colonialgesetzen,
die Saturninus als Volkstribun 654 einbrachte. Zufolge dersel-
ben wurde zunächst zu Gunsten der marianischen Soldaten, der
Bürger nicht bloſs sondern wie es scheint auch der italischen
Bundesgenossen, die unterbrochene Vertheilung des karthagi-
schen Gebiets wieder in Angriff genommen und jedem dieser Ve-
teranen ein Landloos von 100 Morgen oder etwa dem fünffachen
Maſs eines gewöhnlichen italischen Bauerhofs in der Provinz
Africa, so wie aus den unterschlagenen, aber von den schuldigen
Aristokraten zu erstattenden Tempelschätzen von Tolosa die zur
Anschaffung des Beschlags erforderliche Summe zugesichert.
Sodann ward für die römisch-italische Emigration nicht bloſs
das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in weitester
Ausdehnung, sondern auch durch die rechtliche Fiction, daſs den
Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesammte von
diesen besetzte Gebiet von Rechtswegen erworben sei, das ge-
sammte Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseit der
Alpen in Anspruch genommen. Zur Leitung der Landanweisun-
gen wie der zu diesem Behuf etwa nöthig erscheinenden weiteren
Maſsregeln ward Gaius Marius berufen. Dieses Gesetz nahm also
nicht bloſs die Eroberungspläne jenseit der Alpen und die trans-
alpinischen und überseeischen Colonisationsentwürfe, wie Gaius
Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, vollständig wieder
auf, sondern zugleich ward damit, daſs die Italiker neben den
Römern zur Emigration zugelassen und ohne Zweifel die sämmt-
lichen neuen Gemeinden bestimmt waren als Bürgercolonien ein-

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[192/0202] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. Saturninus als Volkstribun für 654; an Quintus Metellus Stelle erhielt ein unbedeutender Mann Lucius Valerius Flaccus die zweite Consulstelle; die verbündeten Männer konnten daran gehen ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 unterbrochene Werk zu vollenden. Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt die Oligarchie nach innen wie nach auſsen zu brechen, also theils die vom Senat völ- lig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte wieder einzusetzen und die Rathversammlung aus der regierenden wieder in eine berathende Behörde umzu- wandeln, theils der aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der italischen Bundes- genossen- und der Unterthanenschaft durch allmählige Ausglei- chung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unverträg- lichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbündeten Männer wieder auf in den Colonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun 654 einbrachte. Zufolge dersel- ben wurde zunächst zu Gunsten der marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloſs sondern wie es scheint auch der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Vertheilung des karthagi- schen Gebiets wieder in Angriff genommen und jedem dieser Ve- teranen ein Landloos von 100 Morgen oder etwa dem fünffachen Maſs eines gewöhnlichen italischen Bauerhofs in der Provinz Africa, so wie aus den unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten zu erstattenden Tempelschätzen von Tolosa die zur Anschaffung des Beschlags erforderliche Summe zugesichert. Sodann ward für die römisch-italische Emigration nicht bloſs das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in weitester Ausdehnung, sondern auch durch die rechtliche Fiction, daſs den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesammte von diesen besetzte Gebiet von Rechtswegen erworben sei, das ge- sammte Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseit der Alpen in Anspruch genommen. Zur Leitung der Landanweisun- gen wie der zu diesem Behuf etwa nöthig erscheinenden weiteren Maſsregeln ward Gaius Marius berufen. Dieses Gesetz nahm also nicht bloſs die Eroberungspläne jenseit der Alpen und die trans- alpinischen und überseeischen Colonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, vollständig wieder auf, sondern zugleich ward damit, daſs die Italiker neben den Römern zur Emigration zugelassen und ohne Zweifel die sämmt- lichen neuen Gemeinden bestimmt waren als Bürgercolonien ein-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/202>, abgerufen am 27.11.2024.