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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
Wenn somit die heller sehende Aristokratie mit diesen halben und
missgünstigen Concessionen ebensowenig zufrieden sein konnte
wie die Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste
sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vor-
züglichen Männer, die die varische Hochverrathscommission ins
Elend gesandt hatte und die zurückzuberufen desswegen schwierig
war, weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschwornen-
gerichte verurtheilt worden waren; denn so wenig man Bedenken
trug einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch einen zwei-
ten zu cassiren, so erschien doch die Cassation eines Geschwor-
nenverdicts durch das Volk eben der bessern Aristokratie als ein
sehr gefährlicher Vorgang. So waren weder die Ultras noch die
Gemässigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber
von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit
neuen Hoffnungen in den italischen Krieg gezogen und daraus un-
freiwillig zurückgekommen war mit dem Bewusstsein neue Dienste
geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu ha-
ben, mit dem bittern Gefühle von den Feinden nicht mehr gefürch-
tet, sondern gering geschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache
im Herzen, der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von
ihm galt, was von den Neubürgern und den Ausgeschlossenen:
unfähig und unbehülflich wie er sich erwiesen hatte, war doch
sein populärer Name in der Hand eines Demagogen ein furcht-
bares Werkzeug. -- Mit diesen Elementen politischer Convulsionen
verband sich der rasch sich steigernde Verfall der ehrbaren Kriegs-
sitte und der militärischen Disciplin. Die Keime, welche die Ein-
stellung der Proletarier in das Heer in sich enthielt, entwickelten
sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des demorali-
sirenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne
Unterschied zum Dienst zuzulassen nöthigte und vor allem die
politische Propaganda unmittelbar in das Hauptquartier wie in
das Soldatenzelt trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Er-
schlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der
Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des sullanischen
Belagerungscorps, der Consular Aulus Postumius Albinus von
seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde sich ver-
rathen glaubten, mit Steinen und Knitteln erschlagen; und der
Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich die Truppen zu ermahnen
durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an die-
sen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser That waren die
Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe:
bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene

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Wenn somit die heller sehende Aristokratie mit diesen halben und
miſsgünstigen Concessionen ebensowenig zufrieden sein konnte
wie die Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermiſste
sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vor-
züglichen Männer, die die varische Hochverrathscommission ins
Elend gesandt hatte und die zurückzuberufen deſswegen schwierig
war, weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschwornen-
gerichte verurtheilt worden waren; denn so wenig man Bedenken
trug einen Volksschluſs auch richterlicher Natur durch einen zwei-
ten zu cassiren, so erschien doch die Cassation eines Geschwor-
nenverdicts durch das Volk eben der bessern Aristokratie als ein
sehr gefährlicher Vorgang. So waren weder die Ultras noch die
Gemäſsigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber
von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit
neuen Hoffnungen in den italischen Krieg gezogen und daraus un-
freiwillig zurückgekommen war mit dem Bewuſstsein neue Dienste
geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu ha-
ben, mit dem bittern Gefühle von den Feinden nicht mehr gefürch-
tet, sondern gering geschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache
im Herzen, der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von
ihm galt, was von den Neubürgern und den Ausgeschlossenen:
unfähig und unbehülflich wie er sich erwiesen hatte, war doch
sein populärer Name in der Hand eines Demagogen ein furcht-
bares Werkzeug. — Mit diesen Elementen politischer Convulsionen
verband sich der rasch sich steigernde Verfall der ehrbaren Kriegs-
sitte und der militärischen Disciplin. Die Keime, welche die Ein-
stellung der Proletarier in das Heer in sich enthielt, entwickelten
sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des demorali-
sirenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne
Unterschied zum Dienst zuzulassen nöthigte und vor allem die
politische Propaganda unmittelbar in das Hauptquartier wie in
das Soldatenzelt trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Er-
schlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der
Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des sullanischen
Belagerungscorps, der Consular Aulus Postumius Albinus von
seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde sich ver-
rathen glaubten, mit Steinen und Knitteln erschlagen; und der
Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich die Truppen zu ermahnen
durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an die-
sen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser That waren die
Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe:
bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene

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[238/0248] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. Wenn somit die heller sehende Aristokratie mit diesen halben und miſsgünstigen Concessionen ebensowenig zufrieden sein konnte wie die Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermiſste sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vor- züglichen Männer, die die varische Hochverrathscommission ins Elend gesandt hatte und die zurückzuberufen deſswegen schwierig war, weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschwornen- gerichte verurtheilt worden waren; denn so wenig man Bedenken trug einen Volksschluſs auch richterlicher Natur durch einen zwei- ten zu cassiren, so erschien doch die Cassation eines Geschwor- nenverdicts durch das Volk eben der bessern Aristokratie als ein sehr gefährlicher Vorgang. So waren weder die Ultras noch die Gemäſsigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit neuen Hoffnungen in den italischen Krieg gezogen und daraus un- freiwillig zurückgekommen war mit dem Bewuſstsein neue Dienste geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu ha- ben, mit dem bittern Gefühle von den Feinden nicht mehr gefürch- tet, sondern gering geschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und unbehülflich wie er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der Hand eines Demagogen ein furcht- bares Werkzeug. — Mit diesen Elementen politischer Convulsionen verband sich der rasch sich steigernde Verfall der ehrbaren Kriegs- sitte und der militärischen Disciplin. Die Keime, welche die Ein- stellung der Proletarier in das Heer in sich enthielt, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des demorali- sirenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nöthigte und vor allem die politische Propaganda unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Er- schlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des sullanischen Belagerungscorps, der Consular Aulus Postumius Albinus von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde sich ver- rathen glaubten, mit Steinen und Knitteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich die Truppen zu ermahnen durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an die- sen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser That waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/248>, abgerufen am 22.11.2024.