Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. Von Rechtswegen hätten dies sämmtliche Offiziere sein müssen,die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte, ward bestimmt für eigene und fremde Schuld zu büssen. Seiner Insignien entkleidet ward der römische Consular zu den feindli- chen Vorposten geführt und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr im Hemd und die Hände auf den Rücken gebunden einen Tag lang vor den Thoren von Numantia, Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus Nachfolger, seinen Collegen im Consulat Marcus Aemilius Lepidus schien die bittere Lehre völ- lig verloren. Während die Verhandlungen über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwänden, eben wie sechszehn Jahr zuvor Lucullus, das freie Volk der Vac- caeer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618). Ausdrücklich befahl ihm ein Senatsbeschluss von dem Krieg abzustehen; nichts- destoweniger setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstände in- zwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Allein Lepidus war als Soldat nicht besser denn als Bürger; nachdem er lange vor der grossen und festen Stadt gelagert hatte und ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene rö- mische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Da- für ward denn dem hochgebornen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618) und Gaius Calpurnius Piso (619) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen und da sie eben gar nichts thaten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die rö- mische Regierung fing endlich an einzusehen, dass man so nicht länger fortfahren könne; man entschloss sich die Bezwin- gung der kleinen spanischen Landstadt ausserordentlicher Weise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus zu übertragen. Allein selbst ihm wurden die Geldmittel zur Kriegsführung nur in sehr knapper Weise verwilligt, die verlangte Erlaubniss aber Sol- daten auszuheben geradezu verweigert, wobei Coterieintriguen und die Furcht der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. Von Rechtswegen hätten dies sämmtliche Offiziere sein müssen,die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte, ward bestimmt für eigene und fremde Schuld zu büſsen. Seiner Insignien entkleidet ward der römische Consular zu den feindli- chen Vorposten geführt und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr im Hemd und die Hände auf den Rücken gebunden einen Tag lang vor den Thoren von Numantia, Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus Nachfolger, seinen Collegen im Consulat Marcus Aemilius Lepidus schien die bittere Lehre völ- lig verloren. Während die Verhandlungen über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwänden, eben wie sechszehn Jahr zuvor Lucullus, das freie Volk der Vac- caeer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618). Ausdrücklich befahl ihm ein Senatsbeschluſs von dem Krieg abzustehen; nichts- destoweniger setzte er, unter dem Vorwand, daſs die Umstände in- zwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Allein Lepidus war als Soldat nicht besser denn als Bürger; nachdem er lange vor der groſsen und festen Stadt gelagert hatte und ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, muſste er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene rö- mische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Da- für ward denn dem hochgebornen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuſse auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618) und Gaius Calpurnius Piso (619) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen und da sie eben gar nichts thaten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die rö- mische Regierung fing endlich an einzusehen, daſs man so nicht länger fortfahren könne; man entschloſs sich die Bezwin- gung der kleinen spanischen Landstadt auſserordentlicher Weise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus zu übertragen. Allein selbst ihm wurden die Geldmittel zur Kriegsführung nur in sehr knapper Weise verwilligt, die verlangte Erlaubniſs aber Sol- daten auszuheben geradezu verweigert, wobei Coterieintriguen und die Furcht der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0025" n="15"/><fw place="top" type="header">DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.</fw><lb/> Von Rechtswegen hätten dies sämmtliche Offiziere sein müssen,<lb/> die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die<lb/> übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus<lb/> allein, der nicht den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte,<lb/> ward bestimmt für eigene und fremde Schuld zu büſsen. 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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
Von Rechtswegen hätten dies sämmtliche Offiziere sein müssen,
die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die
übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus
allein, der nicht den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte,
ward bestimmt für eigene und fremde Schuld zu büſsen. Seiner
Insignien entkleidet ward der römische Consular zu den feindli-
chen Vorposten geführt und da die Numantiner ihn anzunehmen
verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig
anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr im Hemd und
die Hände auf den Rücken gebunden einen Tag lang vor den
Thoren von Numantia, Freunden und Feinden ein klägliches
Schauspiel. Jedoch für Mancinus Nachfolger, seinen Collegen im
Consulat Marcus Aemilius Lepidus schien die bittere Lehre völ-
lig verloren. Während die Verhandlungen über den Vertrag mit
Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwänden,
eben wie sechszehn Jahr zuvor Lucullus, das freie Volk der Vac-
caeer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der
jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618). Ausdrücklich
befahl ihm ein Senatsbeschluſs von dem Krieg abzustehen; nichts-
destoweniger setzte er, unter dem Vorwand, daſs die Umstände in-
zwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Allein Lepidus
war als Soldat nicht besser denn als Bürger; nachdem er lange
vor der groſsen und festen Stadt gelagert hatte und ihm in dem
rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, muſste er
mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den Rückzug
beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte seiner
Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh
abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene rö-
mische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Da-
für ward denn dem hochgebornen General bei seiner Heimkehr
eine Geldbuſse auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus
(618) und Gaius Calpurnius Piso (619) hatten wieder gegen
die Numantiner Krieg zu führen und da sie eben gar nichts
thaten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die rö-
mische Regierung fing endlich an einzusehen, daſs man so nicht
länger fortfahren könne; man entschloſs sich die Bezwin-
gung der kleinen spanischen Landstadt auſserordentlicher Weise
dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus zu übertragen.
Allein selbst ihm wurden die Geldmittel zur Kriegsführung nur in
sehr knapper Weise verwilligt, die verlangte Erlaubniſs aber Sol-
daten auszuheben geradezu verweigert, wobei Coterieintriguen
und die Furcht der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden
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