Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.SULPICISCHE REVOLUTION. lassung geworden zu sein mit seinen revolutionären Vorschlä-gen vor der Bürgerschaft aufzutreten. Allem Anschein nach war es zunächst Leidenschaft und persönliche Erbitterung, die zu die- sen Anträgen ihn fortrissen; dennoch scheint der letzte Zweck derselben mehr conservativ im Sinn des Drusus gewesen als auf einen Umsturz der Verfassung, wie Gaius Gracchus und seine Nachfolger ihn beabsichtigten, hinausgegangen zu sein. Es bürgt hiefür sowohl die Persönlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers als auch der Charakter der Gesetze selbst. Die Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die theilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen An- träge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die varischen Geschwornen Verurtheilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschwornenwahrspruchs, für den Sulpicius früher selbst mit der That eingestanden hatte, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den gemässigten Conservativen zu Gute, und es scheint die auffallende Inconsequenz des Rufus sich einfach daraus zu erklären, dass er die Frage in ruhiger Stimmung prin- cipiell, in leidenschaftlich erregter persönlich fasste. Die Massre- gel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Blosslegung der trotz alles äusseren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden Fa- milien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber doch im wohlverstandenen Interesse der Aristo- kratie, wenn, wie dies die Folge des sulpicischen Antrags sein musste, alle Individuen aus dem Senat ausschieden die ihre Pas- siva rasch zu liquidiren nicht vermochten; wobei natürlich die schroffe und gehässige Durchführung dieser Epuration und die darin enthaltene Geissel für das aristokratische Coteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch her- beigeführten Abhängigkeit von den reichen Collegen einen haupt- sächlichen Halt fand, einzig auf Rechnung der persönlichen Differenzen des Antragstellers mit der regierenden Aristokratie zu bringen ist. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Frei- gelassenen war, seitdem man angefangen hatte dieselben zum Mi- litärdienst mit hinzuzuziehen, gewissermassen gerechtfertigt, da Stimmrecht und Dienstpflicht Hand in Hand gingen, vor allen Dingen aber politisch wesentlich indifferent, da bei der Nichtig- keit der Comitien sehr wenig darauf ankam, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Schwierigkeit für die Röm. Gesch. II. 16
SULPICISCHE REVOLUTION. lassung geworden zu sein mit seinen revolutionären Vorschlä-gen vor der Bürgerschaft aufzutreten. Allem Anschein nach war es zunächst Leidenschaft und persönliche Erbitterung, die zu die- sen Anträgen ihn fortrissen; dennoch scheint der letzte Zweck derselben mehr conservativ im Sinn des Drusus gewesen als auf einen Umsturz der Verfassung, wie Gaius Gracchus und seine Nachfolger ihn beabsichtigten, hinausgegangen zu sein. Es bürgt hiefür sowohl die Persönlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers als auch der Charakter der Gesetze selbst. Die Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die theilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen An- träge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die varischen Geschwornen Verurtheilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschwornenwahrspruchs, für den Sulpicius früher selbst mit der That eingestanden hatte, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den gemäſsigten Conservativen zu Gute, und es scheint die auffallende Inconsequenz des Rufus sich einfach daraus zu erklären, daſs er die Frage in ruhiger Stimmung prin- cipiell, in leidenschaftlich erregter persönlich faſste. Die Maſsre- gel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloſslegung der trotz alles äuſseren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden Fa- milien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber doch im wohlverstandenen Interesse der Aristo- kratie, wenn, wie dies die Folge des sulpicischen Antrags sein muſste, alle Individuen aus dem Senat ausschieden die ihre Pas- siva rasch zu liquidiren nicht vermochten; wobei natürlich die schroffe und gehässige Durchführung dieser Epuration und die darin enthaltene Geiſsel für das aristokratische Coteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch her- beigeführten Abhängigkeit von den reichen Collegen einen haupt- sächlichen Halt fand, einzig auf Rechnung der persönlichen Differenzen des Antragstellers mit der regierenden Aristokratie zu bringen ist. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Frei- gelassenen war, seitdem man angefangen hatte dieselben zum Mi- litärdienst mit hinzuzuziehen, gewissermaſsen gerechtfertigt, da Stimmrecht und Dienstpflicht Hand in Hand gingen, vor allen Dingen aber politisch wesentlich indifferent, da bei der Nichtig- keit der Comitien sehr wenig darauf ankam, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Schwierigkeit für die Röm. Gesch. II. 16
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0251" n="241"/><fw place="top" type="header">SULPICISCHE REVOLUTION.</fw><lb/> lassung geworden zu sein mit seinen revolutionären Vorschlä-<lb/> gen vor der Bürgerschaft aufzutreten. Allem Anschein nach war<lb/> es zunächst Leidenschaft und persönliche Erbitterung, die zu die-<lb/> sen Anträgen ihn fortrissen; dennoch scheint der letzte Zweck<lb/> derselben mehr conservativ im Sinn des Drusus gewesen als auf<lb/> einen Umsturz der Verfassung, wie Gaius Gracchus und seine<lb/> Nachfolger ihn beabsichtigten, hinausgegangen zu sein. Es bürgt<lb/> hiefür sowohl die Persönlichkeit und die bisherige Parteistellung<lb/> ihres Urhebers als auch der Charakter der Gesetze selbst. Die<lb/> Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern war nichts als<lb/> die theilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen An-<lb/> träge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung<lb/> der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der<lb/> durch die varischen Geschwornen Verurtheilten opferte zwar den<lb/> Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschwornenwahrspruchs,<lb/> für den Sulpicius früher selbst mit der That eingestanden hatte,<lb/> aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen<lb/> des Antragstellers, den gemäſsigten Conservativen zu Gute, und<lb/> es scheint die auffallende Inconsequenz des Rufus sich einfach<lb/> daraus zu erklären, daſs er die Frage in ruhiger Stimmung prin-<lb/> cipiell, in leidenschaftlich erregter persönlich faſste. Die Maſsre-<lb/> gel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel<lb/> herbeigeführt durch die Bloſslegung der trotz alles äuſseren<lb/> Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden Fa-<lb/> milien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar<lb/> peinlich, aber doch im wohlverstandenen Interesse der Aristo-<lb/> kratie, wenn, wie dies die Folge des sulpicischen Antrags sein<lb/> muſste, alle Individuen aus dem Senat ausschieden die ihre Pas-<lb/> siva rasch zu liquidiren nicht vermochten; wobei natürlich die<lb/> schroffe und gehässige Durchführung dieser Epuration und die<lb/> darin enthaltene Geiſsel für das aristokratische Coteriewesen, das<lb/> in der Ueberschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch her-<lb/> beigeführten Abhängigkeit von den reichen Collegen einen haupt-<lb/> sächlichen Halt fand, einzig auf Rechnung der persönlichen<lb/> Differenzen des Antragstellers mit der regierenden Aristokratie<lb/> zu bringen ist. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Frei-<lb/> gelassenen war, seitdem man angefangen hatte dieselben zum Mi-<lb/> litärdienst mit hinzuzuziehen, gewissermaſsen gerechtfertigt, da<lb/> Stimmrecht und Dienstpflicht Hand in Hand gingen, vor allen<lb/> Dingen aber politisch wesentlich indifferent, da bei der Nichtig-<lb/> keit der Comitien sehr wenig darauf ankam, ob in diesen Sumpf<lb/> noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Schwierigkeit für die<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Röm. Gesch. II. 16</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [241/0251]
SULPICISCHE REVOLUTION.
lassung geworden zu sein mit seinen revolutionären Vorschlä-
gen vor der Bürgerschaft aufzutreten. Allem Anschein nach war
es zunächst Leidenschaft und persönliche Erbitterung, die zu die-
sen Anträgen ihn fortrissen; dennoch scheint der letzte Zweck
derselben mehr conservativ im Sinn des Drusus gewesen als auf
einen Umsturz der Verfassung, wie Gaius Gracchus und seine
Nachfolger ihn beabsichtigten, hinausgegangen zu sein. Es bürgt
hiefür sowohl die Persönlichkeit und die bisherige Parteistellung
ihres Urhebers als auch der Charakter der Gesetze selbst. Die
Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern war nichts als
die theilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen An-
träge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung
der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der
durch die varischen Geschwornen Verurtheilten opferte zwar den
Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschwornenwahrspruchs,
für den Sulpicius früher selbst mit der That eingestanden hatte,
aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen
des Antragstellers, den gemäſsigten Conservativen zu Gute, und
es scheint die auffallende Inconsequenz des Rufus sich einfach
daraus zu erklären, daſs er die Frage in ruhiger Stimmung prin-
cipiell, in leidenschaftlich erregter persönlich faſste. Die Maſsre-
gel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel
herbeigeführt durch die Bloſslegung der trotz alles äuſseren
Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden Fa-
milien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar
peinlich, aber doch im wohlverstandenen Interesse der Aristo-
kratie, wenn, wie dies die Folge des sulpicischen Antrags sein
muſste, alle Individuen aus dem Senat ausschieden die ihre Pas-
siva rasch zu liquidiren nicht vermochten; wobei natürlich die
schroffe und gehässige Durchführung dieser Epuration und die
darin enthaltene Geiſsel für das aristokratische Coteriewesen, das
in der Ueberschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch her-
beigeführten Abhängigkeit von den reichen Collegen einen haupt-
sächlichen Halt fand, einzig auf Rechnung der persönlichen
Differenzen des Antragstellers mit der regierenden Aristokratie
zu bringen ist. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Frei-
gelassenen war, seitdem man angefangen hatte dieselben zum Mi-
litärdienst mit hinzuzuziehen, gewissermaſsen gerechtfertigt, da
Stimmrecht und Dienstpflicht Hand in Hand gingen, vor allen
Dingen aber politisch wesentlich indifferent, da bei der Nichtig-
keit der Comitien sehr wenig darauf ankam, ob in diesen Sumpf
noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Schwierigkeit für die
Röm. Gesch. II. 16
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |