hiessen, sondern der eigenthümlich orientalische Mangel der Ini- tiative und es konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es ver- stand das Zeichen zu geben.
Es regierte damals in Kappadokien am schwarzen Meer oder im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem Beinamen Eu- pator (geb. um 624, + 691), der sein Geschlecht von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios Hystaspes Sohn, im achten auf den Stifter des pontischen Reiches Mithra- dates I. zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 als elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Noth und Gefahr. Die Vormünder, ja wie es scheint die eigene durch des Vaters Testament zur Mit- regierung berufene Mutter standen dem königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, dass er, um den Dolchen seiner ge- setzlichen Beschützer sich zu entziehen, in die Irre gegangen sei und sieben Jahre hindurch Nacht für Nacht die Ruhestätte wech- selnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein heimathloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im Wesentlichen auf die schriftlichen Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurück- gehen, so hat dennoch die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter eben wie die Wolkenkrone zum Charakter der höch- sten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in bei- den Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem riesengrossen Leibe des Königs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Ross und ver- mochte mit gewechselten Pferden an einem Tage bis 25 deutsche Meilen zurückzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit Sechszehn und gewann im Wettrennen manchen Preis -- freilich war es gefährlich in solchem Spiel dem König obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seines Gleichen -- er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausge-
VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
hieſsen, sondern der eigenthümlich orientalische Mangel der Ini- tiative und es konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es ver- stand das Zeichen zu geben.
Es regierte damals in Kappadokien am schwarzen Meer oder im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem Beinamen Eu- pator (geb. um 624, † 691), der sein Geschlecht von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios Hystaspes Sohn, im achten auf den Stifter des pontischen Reiches Mithra- dates I. zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 als elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Noth und Gefahr. Die Vormünder, ja wie es scheint die eigene durch des Vaters Testament zur Mit- regierung berufene Mutter standen dem königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daſs er, um den Dolchen seiner ge- setzlichen Beschützer sich zu entziehen, in die Irre gegangen sei und sieben Jahre hindurch Nacht für Nacht die Ruhestätte wech- selnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein heimathloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im Wesentlichen auf die schriftlichen Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurück- gehen, so hat dennoch die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter eben wie die Wolkenkrone zum Charakter der höch- sten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in bei- den Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem riesengroſsen Leibe des Königs Mithradates paſsten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roſs und ver- mochte mit gewechselten Pferden an einem Tage bis 25 deutsche Meilen zurückzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit Sechszehn und gewann im Wettrennen manchen Preis — freilich war es gefährlich in solchem Spiel dem König obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seines Gleichen — er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausge-
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VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
hieſsen, sondern der eigenthümlich orientalische Mangel der Ini-
tiative und es konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter
diesen weichlichen Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge
sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es ver-
stand das Zeichen zu geben.
Es regierte damals in Kappadokien am schwarzen Meer oder
im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem Beinamen Eu-
pator (geb. um 624, † 691), der sein Geschlecht von väterlicher
Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios Hystaspes
Sohn, im achten auf den Stifter des pontischen Reiches Mithra-
dates I. zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und
Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters
Mithradates Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war
er um 634 als elfjähriger Knabe König genannt worden; allein
das Diadem brachte ihm nur Noth und Gefahr. Die Vormünder,
ja wie es scheint die eigene durch des Vaters Testament zur Mit-
regierung berufene Mutter standen dem königlichen Knaben nach
dem Leben; es wird erzählt, daſs er, um den Dolchen seiner ge-
setzlichen Beschützer sich zu entziehen, in die Irre gegangen sei
und sieben Jahre hindurch Nacht für Nacht die Ruhestätte wech-
selnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein heimathloses
Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger
Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im Wesentlichen
auf die schriftlichen Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurück-
gehen, so hat dennoch die im Orient blitzschnell sich bildende
Sage den mächtigen König früh geschmückt mit manchen der
Züge ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehören zum
Charakter eben wie die Wolkenkrone zum Charakter der höch-
sten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in bei-
den Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht getrübt noch
wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem riesengroſsen
Leibe des Königs Mithradates paſsten, erregten das Staunen der
Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das
schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roſs und ver-
mochte mit gewechselten Pferden an einem Tage bis 25 deutsche
Meilen zurückzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit Sechszehn
und gewann im Wettrennen manchen Preis — freilich war es
gefährlich in solchem Spiel dem König obzusiegen. Auf der Jagd
traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab ohne zu
fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seines Gleichen — er
veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die
für den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausge-
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/266>, abgerufen am 21.11.2024.
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