Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 Italien zurückliess, sind früher dargelegt worden: die halb er- stickte Insurrection, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpirten Commando eines politisch sehr zweideutigen Gene- rals, die Verwirrung und die vielfach thätige Intrigue in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mässigung vielfältige Missvergnügte ge- macht. Die Capitalisten, von den Schlägen der schwersten Fi- nanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des italischen und asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte. Die Neubürger und die Freigelassenen waren un- zufrieden mit der Cassation der sulpicischen Gesetze. Der Stadt- pöbel litt unter der allgemeinen Bedrängniss und fand es uner- laubt, dass das Säbelregiment sich die verfassungsmässige Knit- telherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der sulpicischen Umwälzung Geächteten, der in Folge der ungemeinen Mässigung Sullas sehr zahlreich geblieben war, arbeitete eifrig daran ihre Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. All diese Verstimmungen waren eigentlich ziellos oder liefen hinaus auf ziemlich gleichgültige Nebenfragen; aber sie nährten das allge- meine Missbehagen und hatten schon mehr oder minder mitge-
KAPITEL IX. Cinna und Sulla.
Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 Italien zurücklieſs, sind früher dargelegt worden: die halb er- stickte Insurrection, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpirten Commando eines politisch sehr zweideutigen Gene- rals, die Verwirrung und die vielfach thätige Intrigue in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäſsigung vielfältige Miſsvergnügte ge- macht. Die Capitalisten, von den Schlägen der schwersten Fi- nanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des italischen und asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte. Die Neubürger und die Freigelassenen waren un- zufrieden mit der Cassation der sulpicischen Gesetze. Der Stadt- pöbel litt unter der allgemeinen Bedrängniſs und fand es uner- laubt, daſs das Säbelregiment sich die verfassungsmäſsige Knit- telherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der sulpicischen Umwälzung Geächteten, der in Folge der ungemeinen Mäſsigung Sullas sehr zahlreich geblieben war, arbeitete eifrig daran ihre Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. All diese Verstimmungen waren eigentlich ziellos oder liefen hinaus auf ziemlich gleichgültige Nebenfragen; aber sie nährten das allge- meine Miſsbehagen und hatten schon mehr oder minder mitge-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0302"n="[292]"/><divn="2"><head>KAPITEL IX.<lb/><hirendition="#g">Cinna und Sulla</hi>.</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla<lb/>
bei seiner Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667<lb/>
Italien zurücklieſs, sind früher dargelegt worden: die halb er-<lb/>
stickte Insurrection, die Hauptarmee unter dem mehr als halb<lb/>
usurpirten Commando eines politisch sehr zweideutigen Gene-<lb/>
rals, die Verwirrung und die vielfach thätige Intrigue in der<lb/>
Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte<lb/>
trotz oder wegen seiner Mäſsigung vielfältige Miſsvergnügte ge-<lb/>
macht. Die Capitalisten, von den Schlägen der schwersten Fi-<lb/>
nanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen,<lb/>
grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen,<lb/>
und wegen des italischen und asiatischen Krieges, die sie nicht<lb/>
verhütet hatte. Die Neubürger und die Freigelassenen waren un-<lb/>
zufrieden mit der Cassation der sulpicischen Gesetze. Der Stadt-<lb/>
pöbel litt unter der allgemeinen Bedrängniſs und fand es uner-<lb/>
laubt, daſs das Säbelregiment sich die verfassungsmäſsige Knit-<lb/>
telherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der<lb/>
hauptstädtische Anhang der nach der sulpicischen Umwälzung<lb/>
Geächteten, der in Folge der ungemeinen Mäſsigung Sullas sehr<lb/>
zahlreich geblieben war, arbeitete eifrig daran ihre Rückkehr<lb/>
zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen<lb/>
sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. All diese<lb/>
Verstimmungen waren eigentlich ziellos oder liefen hinaus auf<lb/>
ziemlich gleichgültige Nebenfragen; aber sie nährten das allge-<lb/>
meine Miſsbehagen und hatten schon mehr oder minder mitge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[292]/0302]
KAPITEL IX.
Cinna und Sulla.
Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla
bei seiner Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667
Italien zurücklieſs, sind früher dargelegt worden: die halb er-
stickte Insurrection, die Hauptarmee unter dem mehr als halb
usurpirten Commando eines politisch sehr zweideutigen Gene-
rals, die Verwirrung und die vielfach thätige Intrigue in der
Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte
trotz oder wegen seiner Mäſsigung vielfältige Miſsvergnügte ge-
macht. Die Capitalisten, von den Schlägen der schwersten Fi-
nanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen,
grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen,
und wegen des italischen und asiatischen Krieges, die sie nicht
verhütet hatte. Die Neubürger und die Freigelassenen waren un-
zufrieden mit der Cassation der sulpicischen Gesetze. Der Stadt-
pöbel litt unter der allgemeinen Bedrängniſs und fand es uner-
laubt, daſs das Säbelregiment sich die verfassungsmäſsige Knit-
telherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der
hauptstädtische Anhang der nach der sulpicischen Umwälzung
Geächteten, der in Folge der ungemeinen Mäſsigung Sullas sehr
zahlreich geblieben war, arbeitete eifrig daran ihre Rückkehr
zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen
sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. All diese
Verstimmungen waren eigentlich ziellos oder liefen hinaus auf
ziemlich gleichgültige Nebenfragen; aber sie nährten das allge-
meine Miſsbehagen und hatten schon mehr oder minder mitge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. [292]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/302>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.