Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

CINNA UND SULLA.
ger: Auslieferung der den Samniten abgenommenen Gefangenen
und der Ueberläufer; Bewilligung des Bürgerrechts auch an die
zu den Samniten entwichenen Römer; Verzicht auf die Beute, die
die Samniten den Römern abgenommen hatten. Der Senat ver-
warf diese Anträge, die an das caudinische Joch erinnerten, selbst
in dieser Noth und so musste man sich begnügen, statt des gan-
zen in Samnium beschäftigten Corps nur Metellus selbst mit den
allenfalls entbehrlichen Truppen der bedrängten Hauptstadt zu
Hülfe herbeizuziehen. Dagegen bewilligte Gaius Marius ohne Be-
denken, was die Samniten nur irgend begehrten -- was lag ihm
noch an römischer Ehre! -- und war es wohl zufrieden, als die
Samniten das schwache von Metellus in Samnium zurückgelas-
sene Corps unter Plautius angriffen und besiegten. Die Cinna-
ner fingen an ein solches Uebergewicht zu gewinnen und die
Hauptstadt so ernstlich zu bedrängen, dass selbst Strabo es noth-
wendig fand heranzurücken und die Vertheidigung gegen Ser-
torius zu übernehmen. Militärisch war die Senatspartei jetzt
ihren Gegnern wieder wenigstens gewachsen; sie konnte wieder
ausrücken und am Albanergebirg gegen Marius, vor dem colli-
nischen Thor gegen Sertorius zum Kampf sich stellen; ein Ver-
such des Marius durch Einverständniss mit einem der Offiziere
der Besatzung sich des Janiculums zu bemächtigen, ward von
Gnaeus Octavius vereitelt und die bereits durch die geöffnete
Pforte Eingedrungenen wieder hinausgeschlagen. Aber Hunger,
Seuchen und Zwiespalt erwiesen sich gefährlicher als der Feind
vor den Mauern. Dass der grossen volkreichen und stark mit Mi-
litär besetzten Stadt die Vorräthe rasch anfingen auf die Neige zu
gehen, versteht sich; das Abschneiden der Zufuhr liess nament-
lich Marius sich angelegen sein, indem er die noch offenen Stras-
sen durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und an-
deren Ortschaften in seine Gewalt brachte -- wo er auf Gegen-
wehr stiess, musste die gesammte Bürgerschaft, mit Ausnahme
derer, die ihm die Stadt verrathen, über die Klinge springen.
Ansteckende Krankheiten lichteten fürchterlich die dicht um die
Hauptstadt zusammengedrängten Heere; es sollen von Strabos
Veteranenheer 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann
denselben erlegen sein. Auch Strabo starb, nicht an der Pest,
sondern -- angeblich wenigstens -- vom Blitz erschlagen; die
erbitterte hauptstädtische Menge, die nicht mit Unrecht vor allen
ihm grollte, riss seinen Leichnam von der Bahre und schleifte ihn
durch die Strassen. Die Optimaten wurden selbst unsicher.
Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerthe, aber stör-

CINNA UND SULLA.
ger: Auslieferung der den Samniten abgenommenen Gefangenen
und der Ueberläufer; Bewilligung des Bürgerrechts auch an die
zu den Samniten entwichenen Römer; Verzicht auf die Beute, die
die Samniten den Römern abgenommen hatten. Der Senat ver-
warf diese Anträge, die an das caudinische Joch erinnerten, selbst
in dieser Noth und so muſste man sich begnügen, statt des gan-
zen in Samnium beschäftigten Corps nur Metellus selbst mit den
allenfalls entbehrlichen Truppen der bedrängten Hauptstadt zu
Hülfe herbeizuziehen. Dagegen bewilligte Gaius Marius ohne Be-
denken, was die Samniten nur irgend begehrten — was lag ihm
noch an römischer Ehre! — und war es wohl zufrieden, als die
Samniten das schwache von Metellus in Samnium zurückgelas-
sene Corps unter Plautius angriffen und besiegten. Die Cinna-
ner fingen an ein solches Uebergewicht zu gewinnen und die
Hauptstadt so ernstlich zu bedrängen, daſs selbst Strabo es noth-
wendig fand heranzurücken und die Vertheidigung gegen Ser-
torius zu übernehmen. Militärisch war die Senatspartei jetzt
ihren Gegnern wieder wenigstens gewachsen; sie konnte wieder
ausrücken und am Albanergebirg gegen Marius, vor dem colli-
nischen Thor gegen Sertorius zum Kampf sich stellen; ein Ver-
such des Marius durch Einverständniſs mit einem der Offiziere
der Besatzung sich des Janiculums zu bemächtigen, ward von
Gnaeus Octavius vereitelt und die bereits durch die geöffnete
Pforte Eingedrungenen wieder hinausgeschlagen. Aber Hunger,
Seuchen und Zwiespalt erwiesen sich gefährlicher als der Feind
vor den Mauern. Daſs der groſsen volkreichen und stark mit Mi-
litär besetzten Stadt die Vorräthe rasch anfingen auf die Neige zu
gehen, versteht sich; das Abschneiden der Zufuhr lieſs nament-
lich Marius sich angelegen sein, indem er die noch offenen Stras-
sen durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und an-
deren Ortschaften in seine Gewalt brachte — wo er auf Gegen-
wehr stieſs, muſste die gesammte Bürgerschaft, mit Ausnahme
derer, die ihm die Stadt verrathen, über die Klinge springen.
Ansteckende Krankheiten lichteten fürchterlich die dicht um die
Hauptstadt zusammengedrängten Heere; es sollen von Strabos
Veteranenheer 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann
denselben erlegen sein. Auch Strabo starb, nicht an der Pest,
sondern — angeblich wenigstens — vom Blitz erschlagen; die
erbitterte hauptstädtische Menge, die nicht mit Unrecht vor allen
ihm grollte, riſs seinen Leichnam von der Bahre und schleifte ihn
durch die Straſsen. Die Optimaten wurden selbst unsicher.
Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerthe, aber stör-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0307" n="297"/><fw place="top" type="header">CINNA UND SULLA.</fw><lb/>
ger: Auslieferung der den Samniten abgenommenen Gefangenen<lb/>
und der Ueberläufer; Bewilligung des Bürgerrechts auch an die<lb/>
zu den Samniten entwichenen Römer; Verzicht auf die Beute, die<lb/>
die Samniten den Römern abgenommen hatten. Der Senat ver-<lb/>
warf diese Anträge, die an das caudinische Joch erinnerten, selbst<lb/>
in dieser Noth und so mu&#x017F;ste man sich begnügen, statt des gan-<lb/>
zen in Samnium beschäftigten Corps nur Metellus selbst mit den<lb/>
allenfalls entbehrlichen Truppen der bedrängten Hauptstadt zu<lb/>
Hülfe herbeizuziehen. Dagegen bewilligte Gaius Marius ohne Be-<lb/>
denken, was die Samniten nur irgend begehrten &#x2014; was lag ihm<lb/>
noch an römischer Ehre! &#x2014; und war es wohl zufrieden, als die<lb/>
Samniten das schwache von Metellus in Samnium zurückgelas-<lb/>
sene Corps unter Plautius angriffen und besiegten. Die Cinna-<lb/>
ner fingen an ein solches Uebergewicht zu gewinnen und die<lb/>
Hauptstadt so ernstlich zu bedrängen, da&#x017F;s selbst Strabo es noth-<lb/>
wendig fand heranzurücken und die Vertheidigung gegen Ser-<lb/>
torius zu übernehmen. Militärisch war die Senatspartei jetzt<lb/>
ihren Gegnern wieder wenigstens gewachsen; sie konnte wieder<lb/>
ausrücken und am Albanergebirg gegen Marius, vor dem colli-<lb/>
nischen Thor gegen Sertorius zum Kampf sich stellen; ein Ver-<lb/>
such des Marius durch Einverständni&#x017F;s mit einem der Offiziere<lb/>
der Besatzung sich des Janiculums zu bemächtigen, ward von<lb/>
Gnaeus Octavius vereitelt und die bereits durch die geöffnete<lb/>
Pforte Eingedrungenen wieder hinausgeschlagen. Aber Hunger,<lb/>
Seuchen und Zwiespalt erwiesen sich gefährlicher als der Feind<lb/>
vor den Mauern. Da&#x017F;s der gro&#x017F;sen volkreichen und stark mit Mi-<lb/>
litär besetzten Stadt die Vorräthe rasch anfingen auf die Neige zu<lb/>
gehen, versteht sich; das Abschneiden der Zufuhr lie&#x017F;s nament-<lb/>
lich Marius sich angelegen sein, indem er die noch offenen Stras-<lb/>
sen durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und an-<lb/>
deren Ortschaften in seine Gewalt brachte &#x2014; wo er auf Gegen-<lb/>
wehr stie&#x017F;s, mu&#x017F;ste die gesammte Bürgerschaft, mit Ausnahme<lb/>
derer, die ihm die Stadt verrathen, über die Klinge springen.<lb/>
Ansteckende Krankheiten lichteten fürchterlich die dicht um die<lb/>
Hauptstadt zusammengedrängten Heere; es sollen von Strabos<lb/>
Veteranenheer 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann<lb/>
denselben erlegen sein. Auch Strabo starb, nicht an der Pest,<lb/>
sondern &#x2014; angeblich wenigstens &#x2014; vom Blitz erschlagen; die<lb/>
erbitterte hauptstädtische Menge, die nicht mit Unrecht vor allen<lb/>
ihm grollte, ri&#x017F;s seinen Leichnam von der Bahre und schleifte ihn<lb/>
durch die Stra&#x017F;sen. Die Optimaten wurden selbst unsicher.<lb/>
Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerthe, aber stör-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0307] CINNA UND SULLA. ger: Auslieferung der den Samniten abgenommenen Gefangenen und der Ueberläufer; Bewilligung des Bürgerrechts auch an die zu den Samniten entwichenen Römer; Verzicht auf die Beute, die die Samniten den Römern abgenommen hatten. Der Senat ver- warf diese Anträge, die an das caudinische Joch erinnerten, selbst in dieser Noth und so muſste man sich begnügen, statt des gan- zen in Samnium beschäftigten Corps nur Metellus selbst mit den allenfalls entbehrlichen Truppen der bedrängten Hauptstadt zu Hülfe herbeizuziehen. Dagegen bewilligte Gaius Marius ohne Be- denken, was die Samniten nur irgend begehrten — was lag ihm noch an römischer Ehre! — und war es wohl zufrieden, als die Samniten das schwache von Metellus in Samnium zurückgelas- sene Corps unter Plautius angriffen und besiegten. Die Cinna- ner fingen an ein solches Uebergewicht zu gewinnen und die Hauptstadt so ernstlich zu bedrängen, daſs selbst Strabo es noth- wendig fand heranzurücken und die Vertheidigung gegen Ser- torius zu übernehmen. Militärisch war die Senatspartei jetzt ihren Gegnern wieder wenigstens gewachsen; sie konnte wieder ausrücken und am Albanergebirg gegen Marius, vor dem colli- nischen Thor gegen Sertorius zum Kampf sich stellen; ein Ver- such des Marius durch Einverständniſs mit einem der Offiziere der Besatzung sich des Janiculums zu bemächtigen, ward von Gnaeus Octavius vereitelt und die bereits durch die geöffnete Pforte Eingedrungenen wieder hinausgeschlagen. Aber Hunger, Seuchen und Zwiespalt erwiesen sich gefährlicher als der Feind vor den Mauern. Daſs der groſsen volkreichen und stark mit Mi- litär besetzten Stadt die Vorräthe rasch anfingen auf die Neige zu gehen, versteht sich; das Abschneiden der Zufuhr lieſs nament- lich Marius sich angelegen sein, indem er die noch offenen Stras- sen durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und an- deren Ortschaften in seine Gewalt brachte — wo er auf Gegen- wehr stieſs, muſste die gesammte Bürgerschaft, mit Ausnahme derer, die ihm die Stadt verrathen, über die Klinge springen. Ansteckende Krankheiten lichteten fürchterlich die dicht um die Hauptstadt zusammengedrängten Heere; es sollen von Strabos Veteranenheer 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann denselben erlegen sein. Auch Strabo starb, nicht an der Pest, sondern — angeblich wenigstens — vom Blitz erschlagen; die erbitterte hauptstädtische Menge, die nicht mit Unrecht vor allen ihm grollte, riſs seinen Leichnam von der Bahre und schleifte ihn durch die Straſsen. Die Optimaten wurden selbst unsicher. Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerthe, aber stör-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/307
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/307>, abgerufen am 02.06.2024.